Basketball:Bereit zu träumen

Lesezeit: 4 min

Erste Deutsche: Am NBA-Nachwuchscamp „Basketball without borders“ durfte Emily Bessoir gleich zweimal teilnehmen. (Foto: Tim Cowie /Getty Images)

Nach Monaten der Ungewissheit bricht die Münchnerin Emily Bessoir zum Stipendium nach Los Angeles auf. Sie gilt als eines der größten deutschen Basketball-Talente.

Von Andreas Liebmann, München

Die Assoziation ist naheliegend und doch weit hergeholt. Als die US-Rockband "The Lovin Spoonful" ihren größten Hit produzierte, das später oft gecoverte "Summer in the City", da war die Basketballerin Emily Bessoir, nun ja ... - da war ihr Vater im Kindergartenalter. Aber sie sagt es nun mal genau so: Dass es eigentlich ganz schön gewesen sei, mal einen "Sommer in der Stadt" zu verbringen. Sie hat versucht, das Ganze positiv zu sehen.

Der Flieger, in den die 18-Jährige am Mittwoch stieg, hätte eigentlich Ende Juni abheben sollen, kurz nach Erhalt ihres Abiturzeugnisses. Seitdem wusste sie fast zweieinhalb Monate lang nicht, wie es weitergeht, mit ihrer Basketballkarriere, ihrem Stipendium, dem neuen Leben in Kalifornien. Es werde schon noch klappen mit den USA, habe sie sich gesagt, auch als wegen der Pandemie niemand einreisen durfte; obwohl es Gerüchte gab, dass die Saison dort ganz gestrichen werde; obwohl Präsident Trump Anfang Juli ausländischen Studenten gar mit Ausweisung drohte.

In all den vorherigen Sommern, da war Emily Bessoir mit Nachwuchs-Nationalteams unterwegs. Irgendwo war immer eine Welt- oder Europameisterschaft, an der sie teilnahm. Wie 2018, als die damals 16-Jährige mit der U18 in Udine den EM-Titel gewann, den ersten für Deutschland. In diesem Sommer - hatte sie mal richtig Zeit.

Irgendwann sei es dennoch schwierig geworden mit der Motivation, erzählt sie. Als die Vereine ihre Vorbereitung begannen, während sie "in der Luft hing". Sie trainierte ein bisschen in München mit, ein bisschen in Wasserburg, oft ging sie mit ihrem Vater in die Halle. Sie ist das nicht gewohnt. Von klein auf ist sie immer hoch motiviert gewesen, der Sport hat ihr ganzes Leben durchgetaktet. Aber nun ist Bessoirs Flugzeug ja doch abgehoben. Vor drei Tagen hat ihre Uni den Campus geöffnet. Plötzlich sei alles so schnell gegangen, erzählt sie, dass sie sogar Schwierigkeiten bekam, sich von allen Freunden zu verabschieden; und mit ihr flog also nun die größte Zukunftshoffnung des Zweitligisten TS Jahn München auf und davon, vielleicht für immer. Aber das war lange vor Corona klar.

Ihr Plan steht schon viel länger. 2018 führte Emily Bessoir die Mädchen der TS Jahn zum deutschen Meistertitel, im Finalturnier der WNBL war sie die Beste. Mit 15 schon spielte sie bei den Frauen in der zweiten Liga, wurde dort zur unverzichtbaren Leistungsträgerin. Doch sie besitzt eben auch die amerikanische Staatsbürgerschaft. Ihr Vater Bill zog einst als Basketballprofi von Pennsylvania nach Deutschland, der Rest seiner Familie lebt noch in den Staaten. Ihre Idee, dort zu studieren, war also naheliegend. Dass sie sich für das Stipendium an der legendären UCLA entschied, der University of California, ist 15 Monate her. Vor zehn Monaten unterschrieb sie dort. In München wusste jeder, dass sie zu talentiert ist für einen Zweitligisten. "Emmy ist die Beste, die wir vielleicht je haben werden", sagte Armin Sperber, ihr früherer WNBL-Trainer, schon vor Jahren.

Sie war zum NBA-Nachwuchscamp "Basketball without borders" eingeladen - als erste Deutsche

Sommer in der Stadt. The Lovin Spoonful besangen 1966 die Hitze in den Häuserschluchten New Yorks. Das ist eine andere Kategorie von Stadt. Bessoir spricht ja von München, sie wohnte dort bislang mit ihren Eltern und dem älteren Bruder in einer kleinen Wohnanlage in Daglfing, unweit der Rennbahn. Hier staut sich keine Hitze.

In New York wütete das Corona-Virus besonders brutal, natürlich hat Emily Bessoir das verfolgt. Im Juni, Juli sei dann auch Los Angeles zum Hotspot geworden, just als sie dort ihr Stipendium hätte angetreten sollen. Zu dieser Zeit, erzählt sie, sei sie doch ganz froh gewesen, länger in München festzusitzen, "wo es einigermaßen sicher ist". Auch in Los Angeles, mit vier Millionen Einwohnern die zweitgrößte Stadt der USA, trafen im Sommer die Pandemie und die Proteste gegen Polizeigewalt und Rassismus aufeinander. Sie sei eng in Kontakt gestanden mit ihrem neuen Team und den Coaches, erzählt Emily Bessoir, diese hätten sie beruhigt: Rund um die Uni sei es ruhig, die Gegend wenig betroffen. Dennoch: "Im Sommer war mir schon unwohl bei dem Gedanken, auch wenn ich wusste, dass sie sich am Campus gut um uns kümmern würden. Jetzt, wo ich die ganzen Konzepte kenne, habe ich keine Angst mehr."

Noch etwas hat sich geändert, seit sich Bessoir für L.A. entschied. Damals war Marie Gülich die einzige Deutsche in der WNBA, die einzige, die es nach der College-Laufbahn bis in die US-Profiliga der Frauen geschafft hatte. Mitbekommen hatten das eher Insider. Im April aber ging dann durch die Medien, dass Satou Sabally, Luisa Geiselsöder und Leonie Fiebich für die WNBA gedraftet wurden - drei junge Deutsche auf einen Schlag. Nun hat Sabally eine starke Debütsaison bei den Dallas Wings hinter sich, Geiselsöder (ebenfalls von Dallas ausgewählt) soll sich noch ein Jahr in Frankreich bewähren, Fiebich (vom Gülich-Klub Los Angeles Sparks gezogen) in Wasserburg - ehe sich für beide endgültig entscheidet, ob sie wirklich in die WNBA gelangen. Die Aufmerksamkeit hierzulande ist jedenfalls gewachsen, was Emily Bessoir gut gefällt. Auf ihrem möglichen Weg in die WNBA hätte sie dann Vorreiterinnen, die sie bestens kennt. Mit Geiselsöder, ihrer ehemaligen Münchner Mitspielerin Fiebich und Satou Saballys jüngerer Schwester Nyara hat sie damals die EM gewonnen, alle ähnlich hoch gewachsen wie sie, alle zwei Jahre älter. "Klar wäre die WNBA ein Traum", sagt sie; und mehr noch, wenn es ihr gelänge, dort etwa mit Fiebich gemeinsam zu spielen, wie schon in der WNBL und der zweiten Liga. "Wir könnten für den deutschen Basketball etwas Einmaliges erreichen", sagt Bessoir. "What a day for a daydream", auch ein Lovin-Spoonful-Hit.

Erst einmal geht es am College los, einen Online-Kurs hat sie schon von München aus bewältigt. Ihr Abenteuer L.A. startet mit sieben Tagen Quarantäne. Danach werde in Kleingruppen trainiert, viel auf Corona getestet, das ganze Team solle im selben Gebäude leben und sei angehalten, Kontakte nach außen zu minimieren. Vielleicht werde sogar die komplette College-Saison in einer Bubble stattfinden, einer abgeschotteten Blase, alles noch offen, berichtet Emily Bessoir. Irgendwann um den Jahreswechsel könnte es mit den Spielen losgehen, je nach Pandemie-Verlauf.

Natürlich hofft sie trotzdem, bis dahin auch mal an den Pazifikstrand zu dürfen. Sie kennt Los Angeles. Dort fand im Rahmen des NBA-Allstar-Wochenendes 2018 das NBA-Nachwuchscamp "Basketball without borders" statt, zu dem alljährlich die interessantesten Talente aus aller Welt eingeladen werden. Bessoir war damals dabei, als erste Deutsche überhaupt. 2019 in Charlotte wurde ihr dieselbe große Ehre gleich noch ein zweites Mal zuteil.

Priorität hat für Emily Bessoir, Abi-Schnitt 1,2, aber das Studium. Die Richtung ist noch offen: "Ich kann mich für vieles begeistern." Auch auf dem Basketballfeld ist sie vielseitig, sie kann dort mehrere Positionen spielen. Ein unrealistischer Traum ist die WNBA für sie sicher nicht. Ihr Onkel Bob übrigens lebt in L.A., er arbeitet dort als Beleuchter. In Hollywood, der Traumfabrik.

© SZ vom 17.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: