Amateurfußball:An der Schmerzgrenze

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Keine Zuschauer, keine Partys, keine Einnahmen: Die Krise bringt auch die Amateur-Vereine in arge Bedrängnis. Ein Rundgang.

Von Benjamin Emonts

Der Rasen auf dem Sportplatz der Spielvereinigung Erdweg sieht gesund aus in diesen Tagen. Vereinzelt wachsen dichte Grasbüschel, die den Rasenmäherbulldog sonst nicht überlebt hätten. Auf dem kargen Fleckchen vor dem Trainingstor, das sonst immer niedergetrampelt wird, sprießen tatsächlich einige Grashalme. Doch damit ist das Positive auch schon gesagt. Die Fußballer des Kreisligisten schonen ihren Rasen nicht freiwillig. Ein Gegner namens Corona zwingt sie dazu. Er hat sie körperlich bisher zwar verschont. Aber wirtschaftlich bringt er sie in Bedrängnis.

Die Amateur-Klubs aus der Region müssen weder die Saläre teurer Stars bezahlen noch bangen sie um millionenschwere Fernsehgelder, wie sie für Bundesligisten überlebenswichtig sind. "Für den nicht kommerziellen Fußball gilt: Je niedriger die Liga, desto geringer sind die direkten Auswirkungen der Krise", erklärt dazu der renommierte Kölner Sportökonom Christoph Breuer. Und dennoch: Die Zwangspause setzt auch unterklassigen Vereinen zu. Auch sie haben laufende Ausgaben. Auch sie bezahlen Trainer und Spieler, die oft mehr verdienen, als man es dem Amateursport wünschen würde. Auch ihnen tut es weh, wenn Zuschauereinnahmen wegbrechen und Bratwürste unverkauft bleiben. Mittelfristig, befürchtet Breuer, könnten den Vereinen auch Einnahmen durch Banden- und Trikotwerbung wegbrechen. Sponsoren könnten sich distanzieren. Nicht zu schweigen von den lukrativen Festen, die Vereine auf ungewisse Zeit nicht mehr ausrichten dürfen.

Die Erdweger, die im Landkreis Dachau zu Hause sind, trifft dieser Punkt besonders hart. Sie finanzieren einen Großteil ihres Spielbetriebs über die sogenannten Hawaiifeste. Früher waren die Sommerpartys legendär, mehr als 6000 Menschen aus ganz Bayern strömten in die Erdweger Sandgrube und schlürften Pina Colada aus Kokosnüssen. Der Andrang ließ über die Jahre nach. Wegen Corona fallen die Partys jetzt vermutlich ganz aus, wodurch planbare Einnahmen fehlen. Für Platzwart, Trainer und Sportheim brauchen sie monatlich bis zu 1500 Euro, sagt Fußball-Abteilungsleiter Robert Strixner. "Die Krise geht an unsere Schmerzgrenze."

Momentan wuchert in den Stadien der Amateurvereine nur der Rasen, wie beim Kreisligisten SpVgg Erdweg. (Foto: Benjamin Emonts)

Ihr zweites Sorgenkind ist das Sportheim. Die vormalige Betreiberin, die allseits geschätzt wurde, hörte nach zehn Jahren auf. Der neue Wirt, der erst nach monatelanger Suche gefunden war, taufte die Gaststätte ambitioniert "Sportsbar an der 13ten" und investierte viel Geld. Nach nur einem Heimspiel aber klebt nun ein Zettel in der Tür: "Wegen Corona geschlossen." Der Verein erlässt ihm die Pacht. Doch es ist die wohl denkbar schlechteste Zeit für einen Wirt, um sich in einem Dorfverein als guter Gastgeber zu beweisen.

Kleine Vereine wie Erdweg haben laut Sportökonom Breuer den Vorteil, sich auf ihre vielen Ehrenamtlichen verlassen zu können. "Sie müssen deutlich weniger für Personal, Spieler und Trainer ausgeben."

Acht Kilometer Luftlinie entfernt, beim Bayernliga-Primus FC Pipinsried, backen sie allerdings größere Brötchen. Der Verein leistet sich einen kostspieligen Kader, um sein Ziel vom Wiederaufstieg in die Regionalliga zu realisieren. Der Geschäftsführer Uli Bergmann vergleicht seine Mannschaft in diesen Tagen gerne mit jener des FC Liverpool. Ganz übel nehmen kann man ihm das nicht. Beide Vereine sind den Konkurrenten in ihrer Liga uneinholbar enteilt. Und beide fürchten nun, um die verdienten Früchte ihrer Arbeit gebracht zu werden, falls die Saison annulliert würde. Es wäre das Horrorszenario schlechthin für die Pipinsrieder.

Denn auch wirtschaftlich setzt die Krise den Verein unter Druck. Der hochkarätig besetzte Kader, in der auch Ex-Profis kicken, kostet laut Bergmann jeden Monat einen "schönen fünfstelligen Betrag". Mit jedem Heimspiel, so rechnet er, fehlen Eintrittsgelder von mehr als 4000 Euro. Um dies zu überstehen, hat der Klub aus dem 600-Seelen-Dorf drastische Maßnahmen ergriffen. Die beiden Trainer Fabian Hürzeler und Muriz Salemovic wurden in Kurzarbeit geschickt. Die Gehälter der Spieler werden seit April vorerst nicht mehr gezahlt. Eine andere Wahl habe ein Verein wie Pipinsried kaum, sagt Bergmann.

Die Spieler haben sich längst verabschiedet, wie beim Bayernliga-Tabellenführer FC Pipinsried. Dort haben sie höhere Kosten und somit größere Probleme. Offen bleibt nicht nur wann die Spieler zurückkehren, sondern auch welche. (Foto: Toni Heigl)

Selbst in der Winterpause, in der die Gehälter fortgezahlt wurden, sei die noch junge GmbH leicht in Nöte geraten, trotz der Unterstützung von rund 80 Sponsoren. Die Finanzierung der Mannschaft sei "auf Kante genäht", betont Bergmann. Sponsoren und Spieler zeigten sich in der misslichen Lage aber solidarisch, wie es der Manager auch fordert: "Wer nicht trainiert und nicht spielt, der sollte auch nichts verlangen. In dieser Situation darf es keinen einseitigen Egoismus geben." Unklar ist dem Funktionär noch, wie es mit den Spielerverträgen weitergehen soll. Etwa ein Drittel der Verträge läuft zum 30. Juni aus. Was aber, wenn die Saison über diesen Zeitpunkt hinaus fortgesetzt wird? Beim Bayerischen Fußballverband (BFV) wollen sie sich in diesem Fall für eine Verlängerung des Spielsrechts bis zum tatsächlichen Saisonende stark machen. Die bestehende Regelung, dass Fußballer, die sechs Monate nicht gespielt haben, jederzeit wechseln dürfen, soll vorübergehend außer Kraft gesetzt werden. Der Erdweger Funktionär Robert Strixner berichtet übrigens aus einem der Webinare von Verbandsvertretern und Vereinen, dass der BFV die unterbrochene Spielzeit unbedingt zu Ende spielen wolle.

Auf finanzielle Hilfe des Verbandes aber können Vereine wie Pipinsried nicht zählen. Der Verband, sagt Präsident Rainer Koch, "muss in diesen schwierigen Tagen vor allem als Kümmerer für seine Vereine auftreten". Direkte Zuschüsse oder Darlehen seien dem BFV "weder erlaubt noch möglich", heißt es auf dessen Website. Über ein Online-Formular sollen Vereine ihre Einbußen durch das Coronavirus an den Bayerischen Landessportverband (BLSV) übermitteln. Er bemüht sich bei der Regierung um finanzielle Unterstützung.

Beim TSV Gerberau, dem Tabellenletzten der B-Klasse, können sie wohl verzichten. "Wir werden die Krise überstehen", sagt am Telefon Fußball-Abteilungsleiter Christian Bauer - und wirkt leicht verwundert über die Nachfrage. Der Verein zahle Trainern und Spielern kein Geld, betont Bauer, die wirtschaftlichen Folgen seien überschaubar. Frust bereite jedoch die sportliche Situation. Für das große Ziel Klassenerhalt haben die Schwarz-Gelben extra den Trainer gefeuert und einige Ehemalige reaktiviert, die mit dem Ball etwas anfangen könnten. Der Trainingseifer vor der Krise sei "für Gerberauer Verhältnisse" erstaunlich gewesen. Wegen Corona, befürchtet Bauer, könnte die ganze Motivation jetzt im Sande verlaufen.

© SZ vom 12.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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