Actionsport:Zuflucht im U-Bahn-Tunnel

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Skateboarden erlebt in München einen Boom - das hat auch der Street-League-Contest im Olympiapark gezeigt. Dennoch fehlt nach wie vor eine Halle für die Wintermonate - trotz starker Lobby.

Von Sebastian Leisgang, München

Adrien Hannart, 24, sitzt auf einer hüfthohen Mauer an einem Seiteneingang des Olympia-Eisstadions, die Sonne steht in seinem Rücken am Himmel. Hannart hat sich auf seinem Skateboard niedergelassen - und das ist auch Thema des Gesprächs an diesem lauen Montagabend.

Der Street-League-Contest beim Actionsport-Festival Munich Mash zwei Tage zuvor? Hannart presst seine Lippen aneinander und pustet. "Wahnsinn!", ruft er dann mit französischem Akzent, "das Niveau war komplett wahnsinnig." Der Samstagabend hat Eindruck bei Hannart hinterlassen. Bei ihm, aber auch bei vielen anderen in der Skateboard-Szene.

An diesem Montag sind rund hundert Jugendliche zum Eisstadion gekommen, um den Kurs auszuprobieren, den die besten Skateboarder der Welt jüngst erst beim Munich Mash gefahren sind. Hier finden sie alles, was ihr Herz begehrt: ein Double-Set, ein Gap, eine Jump Ramp, diverse Rails - so heißen die Hindernisse im Fachjargon.

Hannart ist Franzose und stammt aus Clermont-Ferrand, rund vier Autostunden südlich von Paris. Seit April arbeitet er in München für High Five, eine Organisation, die Jugendliche aus schwierigen Verhältnissen sportlich und sozial fördern möchte. Hannart skatet, seit er elf Jahre alt ist. Inzwischen ist er Übungsleiter bei High Five und bietet an diesem Montagabend einen Workshop im Eisstadion an. Er sagt: "Es kommen sehr viele zu uns, die Skateboarden lernen wollen." Mehr als 5000 Skater rollen bereits in rund 40 Parks in München - die Szene erlebt derzeit einen ziemlichen Boom.

Der Plan ist, die alte Eggenfabrik in Pasing in eine Skaterhalle umzuwandeln - doch das dauert

Vor dem Eisstadion steht Fabian Lang, 27, ein deutscher Skateprofi. Auch wenn Skateboard längst im Kommen ist, ist es noch immer eine Nischensportart. Und für eine solche sind Identifikationsfiguren unabdingbar. Lang ist schon in Las Vegas, Miami, Melbourne oder Zagreb geskatet, die Jugendlichen, die an diesem Abend ins Eisstadion gekommen sind, begrüßen ihn zwar kumpelhaft, aber sie blicken auch zu ihm auf.

"Die Szene wächst stetig", sagt Lang jetzt, "in jedem Stadtteil gibt es mindestens einen Park. Und Events wie Munich Mash tragen dazu bei, dass Skateboarden immer sichtbarer wird. Wenn man durch die Street League den Erstkontakt mit der Sportart hat, ist das natürlich beeindruckend." In München gibt es derart viele Skateplätze wie wohl in keiner anderen Stadt Deutschlands. "Es passiert sehr viel", weiß Lang, "wir werden wahrgenommen - und das wissen wir zu schätzen."

Im Winter aber, und auch das gehört zur Wahrheit, sind die Skater heimatlos. Um das zu ändern, fasste die Stadt München bereits vor drei Jahren ein Areal in Pasing ins Auge. Der Plan: die alte Eggenfabrik zu einer Skaterhalle umwandeln. Doch das Projekt zieht sich hin. "Man kennt das ja von einem gewissen Berliner Flughafen", scherzt Lang und lacht. Den Humor lässt er sich nicht nehmen.

Spätestens 2019, sagt Lang nun auch in seiner Funktion als Vorsitzender des Vereins Skateboarding München, solle die Skaterhalle stehen. Aus ihm spricht die Hoffnung. "Vielleicht geht es auch etwas schneller voran", so Lang, "wir sind in einem guten Dialog mit der Stadt. Die eine Seite versteht die jeweils andere." Eine gute Basis also für einen konstruktiven Austausch, doch das Thema Skaterhalle ist längst ein Evergreen, es wabert seit Jahren durch die Szene. Generell, findet Lang, sei es sehr dürftig, dass München - oder wie Lang sagt: die Sporthauptstadt Deutschlands - keine Skaterhalle habe. Dann bemüht er einen Vergleich, der zwar etwas schief ist, die Nöte der Skater aber pointiert bebildert. Lang sagt: "Ich kenne keinen Fußballer, der eine Stunde zum nächsten Platz fahren muss."

Die Skater indes pendeln im Winter notgedrungen nach Pfaffenhofen, Freising und gar ins österreichische Innsbruck. Oder: Sie fahren im U-Bahn-Tunnel zwischen den Haltestellen Schwanthalerhöhe und Theresienwiese. "Das ist ein beliebter Zufluchtsort", erklärt Lang und betont noch einmal mit Nachdruck: "Ein Zufluchtsort!" Er meint: Sonst bleibt uns ja nichts anderes übrig.

Für den nächsten Winter arbeitet München Skateboarding an einer Übergangslösung, "eine leer stehende Immobilie, die wir in Betrieb nehmen wollen", so Lang. Details will er nicht preisgeben, Lang sagt nur: "Wir brauchen einfach irgendetwas." Aus seinem Mund klingt das nicht wie ein verzweifelter Hilfeschrei. Es ist eher Ausdruck seiner Passion für das Skateboarden. "Wir können nicht einfach den ganzen Winter lang nicht skaten", erklärt er, "wir müssen dann vielleicht nicht täglich aufs Board, aber schon regelmäßig." Auch Adrien Hannart, der Franzose von High Five, sagt: "Wenn ich drei Wochen nicht fahren kann, dann werde ich nervös. Ich brauche das einfach. Skaten ist mehr als nur ein Sport."

© SZ vom 29.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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