Actionsport:"Es ist nicht nur Traum"

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Wakeboard-Profi Nico von Lerchenfeld, 23, geht beim Munich Mash als einer der Favoriten im Big-Air-Wettbewerb an den Start. Im SZ-Interview spricht der Allgäuer über Rivalitäten und Verletzungsgefahr, die Abhängigkeit von Sponsoren und seine Suche nach Freiheit

Interview von Ralf Tögel und Sebastian Winter

SZ: Ohne Ihnen zu nahe treten zu wollen: Wakeboarden ist doch eher Randsport - w arum wird man Wakeboard-Profi?

Nico von Lerchenfeld: Es ist eine ziemlich organische Sache. Zuerst kommt die Faszination als Kind, die dazu führt, dass man viel Wakeboard fährt und immer besser wird. Dann die ersten Wettkämpfe, die erste Aufmerksamkeit, der lokale Wakeboard-Shop unterstützt einen vielleicht. Dann braucht man auch Glück und gute Voraussetzungen, um später in Europa bei ersten Events dabei zu sein.

Um sich schnell einen Namen zu machen.

Natürlich, es geht darum, dass dein Name immer bekannter wird und irgendwann auf der Liste von potenziellen Sponsoren steht. Das steigert sich dann, bis die Marke sagt: Wir wollen dich auch international im Team haben.

Sie haben aber sicher nicht als Kind beschlossen, Wakeboard-Profi zu werden. Mein Vater ist selbst als Jugendlicher an einer der ersten Wasserski-Anlagen in Deutschland aufgewachsen, das hat ihn so begeistert, dass er inzwischen Chef des Weltmarktführers im Bau von Wasserski-Anlagen ist. Er baut auch die, die hier im Olympiapark stehen wird. Als Vierjähriger war ich auf Skiern, seit ich sechs war, stand Wakeboarden auf dem Tagesprogramm. Und die Schule?

Da war ich recht flott unterwegs. Ich habe mit 17 mein Abi gemacht, dann eine Lehre bei meinem Vater angefangen. Aber ich war bald so viel auf dem Wakeboard unterwegs, dass das irgendwann keinen Sinn mehr gemacht hat.

Wird man da nicht schräg angeschaut: der Überflieger, der dann abzischt in die Wakeparks?

Ich sage mal so: Ich war auf der Schule einer der Besonderen, weil ich immer wieder mal freitags nicht da war, um bei einem Event zu sein, und auch ein bisschen ein anderes Leben hatte, weil ich einfach mit den Leuten vom Wasserskilift viel gemacht habe. Dadurch habe ich diesen Lifestyle ein bisschen in die Schule gebracht.

Und seither sind Sie Profi?

Ja, aber ich habe die letzten beiden Winter ein Fernstudium zum Betriebswirt abgeschlossen, als Sicherheit im Hintergrund.

Ein Studium so nebenbei?

Ich war beide Winter verletzt, hatte Zeit.

Also doch Überflieger.

Ich bin wahnsinnig begeisterungsfähig. Wenn ich noch studieren wollte, um das Uni-Leben mitzunehmen, gibt es mindestens zehn Fächer, die mir so taugen, dass ich mich nicht entscheiden kann.

Im Schatten des Turms: Der Allgäuer Nico von Lerchenfeld springt auf dem Olympiasee um den Sieg. (Foto: Imago)

Sie sind viel unterwegs, haben viele Interessen. Brauchen Sie einen Manager?

In der Regel ist es so, dass die Marken einen Ansprechpartner haben, den Teammanager. Der schaut, dass der Sportler das Material hat, er organisiert Trips, plant Fotoshootings. Aber ich bin letztlich mein eigenes Team, noch ist Wakeboarden klein genug, dass die meisten selbst organisiert sind. Im Snowboarden und Skateboarden haben immer mehr Fahrer Agenten und Manager, teilweise noch Trainer.

Lässt es sich als Profi denn gut leben?

Der Thailänder Daniel Grant, der auch in München startet und einer der Topfahrer ist, fährt im Erwachsenenbereich, seit er zwölf Jahre alt ist. Er kann so gut davon leben, dass sogar sein Vater gesagt hat, er soll sich aufs Wakeboarden konzentrieren, weil das einfach ein Vollzeit-Job ist. Mit 14 hat er dann die Schule abgebrochen.

Und wie viele deutsche Wakeboarder können von ihrem Sport leben?

Ich würde sagen, hier können fünf Wakeboarder davon leben, also nicht sehr viele. Sie zählen dazu?

Ja, so bin ich unabhängig, auch von meinen Eltern. Ich kann mir im Winter meine Trips nach Asien und Amerika finanzieren, um da weiterfahren zu können. Dann gibt es sicherlich 20 oder 30, die auf internationalem Niveau dabei sind. Wakeboarden ist noch nicht so groß, dass man sagen kann, dass wir nach unserer Karriere noch lange von dem Geld leben können. Dazu muss es noch massentauglicher werden.

Das Hobby als Beruf, es gibt Schlimmeres.

Ich habe als Profisportler einen der besten Berufe, die ich mir vorstellen kann. Aber fairerweise muss man auch sagen: Es ist dann eben irgendwann Beruf, nicht nur noch Traum und Zuckerschlecken. Man muss hart dafür arbeiten, nicht nur auf, sondern auch abseits des Wassers. Es kommen Verletzungen dazu, die auch psychische Herausforderungen sind. Aber ich hoffe einfach, dass durch Events wie den Mash jetzt das allgemeine Verständnis bezüglich Wakeboarden wächst. Dass nicht mehr dieses laienhafte Bild vorherrscht, Wakeboarden macht man am Meer und lässt sich im Urlaub hinter einem Boot herziehen. Da muss sich noch etwas tun, ist jedenfalls mein Gefühl.

Nico von Lerchenfeld war in der Schule ein Überflieger und hat bereits ein Studium abgeschlossen. (Foto: imago)

Was ist falsch an diesem Bild?

Den Wakeboardern ist wie den Skateboardern, Snowboardern, den Freestyle-Skifahrern oder den Mountainbikern der Style und die technische Schwierigkeit wichtig. Aber das ist nicht so präsent im Verständnis, auch der anderen Actionsportler.

Gibt es den typischen Wakeboarder?

Zum Glück nicht. Es gibt unheimlich viele wahnsinnig passionierte Wakeboarder, die genau dieses Traumleben eben nicht haben. Sondern hart dafür arbeiten, sich ihr Equipment überhaupt leisten zu können.

Also weniger Freigeist mit Wind in den Haaren als sportlicher Handwerker?

Kann man so sagen. Wobei der Unterschied zum Massensport wie Fußball oder Skirennlaufen der ist, dass es um diesen Freestyle-Gedanken geht. Um die Community, wie der Sport organisiert ist. Wir gehen einfach so mit unseren Freunden fahren, haben gemeinsame Sessions, probieren Sachen aus. Ohne Trainer, die neben einem stehen und sagen, was man zu tun und zu lassen hat. Das ist Freestyle: Selber rauszugehen und zu probieren, wo seine Grenzen liegen. Man ist schon freier.

Entsprechend zählen Performance und gute Tricks mehr als Medaillen und Titel?

Innerhalb der Szene definiert sich der gegenseitige Respekt nicht nur durch die Contests, sondern auch durch Leistungen in Videoparts. Letztlich kann den Event jeder gewinnen, die leistungsmäßigen Unterschiede sind klein. Die kommen eher in den Videos raus.

Und damit verdient man dann sein Geld?

Man hat eine Art Gehalt, das von Fahrer zu Fahrer unterschiedlich ist. Fahrer, die ihren Schwerpunkt auf Contests legen, können auch Bonusverträge haben, in denen ihre Sponsoren festlegen, dass sie einen Bonus-Betrag für einen Sieg bekommen. Bei anderen, auch bei mir, geht es eher ums Komplettpaket. Der Sponsor will, dass du Contests fährst, aber auch dein Social-Media-Profil schärfst, dass du zeigst, was du machst, wer du bist, eine Fangemeinde aufbaust. Dann die Coverage in Szenemagazinen und Videoprojekte. Von kleinen Clips fürs Internet bis hin zu großen Filmproduktionen, die den Sport auch prägen.

Besteht dann nicht die Gefahr einer Abhängigkeit von einem Geldgeber?

Ich bin viele Jahre für Monster gefahren, seit Kurzem nicht mehr, weil sie ihr komplettes Wakeboard-Team weltweit gekündigt haben. Das kam für uns alle ziemlich schockierend, auch mein Teammanager hat das sehr kurzfristig erfahren. Ich bin mit anderen Sponsoren gut aufgestellt, trotzdem ist es schade. Nicht nur, weil mir jetzt Geld fehlt, sondern auch, weil es ein Zeichen für andere Marken ist. Genau deswegen bin ich froh, dass es so ein Event in München gibt. Aber aus ethischen Gründen bin ich gar nicht so traurig, dass ich keinen Energydrink mehr repräsentiere.

In Dominik Gührs steht der wohl prominenteste Deutsche im Feld. Wer ist denn nun der beste Deutsche?

Unser Fokus ist ein anderer. Es gibt zwei verschiedene Weltverbände, die Events ausrichten, ähnlich wie beim Snowboard. Es gibt aus dem klassischen Wasserski einen Verband, der viele Events macht, da ist Dominik auch durch den deutschen Kader sehr aktiv und einer der erfolgreichsten Fahrer, auch Weltmeister. Ich bin eher bei den Events ohne Verband dabei, der Mash ist ein Beispiel dafür. Das sind eher innovative Events, die Wakeboarden in eine neue Richtung bringen und mir unheimlich viel Anreiz bieten. Dann ist bei mir der Medienfokus noch ein bisschen größer.

Und wer ist nun besser?

Man kann auch nicht sagen, der ist der Beste, weil er Weltmeister oder Weltranglisten-Erster ist.

Ist das nicht auch ein Problem der Sportart, dass sie nicht richtig zu greifen ist?

Ich hoffe, dass da etwas passiert. Es gibt Bemühungen, eine richtig gute Tour auf die Beine zu stellen, die alle vereint. Es ist leider nicht so leicht, wie man am Skateboarden sehen kann, da gibt es auch Bemühungen, dass es olympisch wird. Aber auch innerhalb der Sportart sind die Meinungen gespalten, weil Skateboarden wie viele Actionsportarten so frei ist, dass viele nicht in ein Korsett gepresst werden wollen wie bei Olympia. Ähnliches gilt fürs Wakeboarden.

Der Mash wirbt mit Sprüngen über 25 Meter, acht Meter hoch. Klingt gefährlich.

Ich habe mich im vergangenen Sommer zum fünften Mal am Knie verletzt, Kreuzbandriss, Meniskusriss, da war schon einiges dabei. Klar, das gehört dazu. Es sind Extremsportarten, dadurch sind die Konsequenzen auch teilweise sehr hart. Dessen sind wir uns aber bewusst. Es ist nicht nur plump "No risk, no fun". Wir versuchen, das Risiko zu minimieren, so weit es geht.

Apropos: Beim Mash gibt es einen Big-Air-Contest.

Klar. Dass was passieren kann, wird bei uns allen irgendwie im Kopf sein. Aber wie bei allem: Nur weil mal ein Motorradunfall in der Familie passiert ist, muss man selbst nicht gleich einen Unfall haben, wenn man sich aufs Motorrad setzt.

Kommen Ihnen nie Zweifel?

Es war wie erwähnt nicht das erste Mal, dass ich mich verletzt habe. Das hat irgendwann schon ziemlich an mir genagt, das ganze Wakeboarden für mich infrage gestellt. Ich dachte mir, wenn solche Dinge immer wieder kommen, sagt mir das vielleicht, ich soll mich nach etwas anderem umschauen.

Aber es blieb beim Gedanken.

Ich habe dann gemerkt, dass es eher daran liegt, wie ich es angegangen bin. Ich war noch in die Firma von meinem Vater involviert, habe zehn Sachen gleichzeitig gemacht, bis ich mich so verzettelt habe, dass mir mein Körper sagen musste: Jetzt mach mal ne Pause. Momentan bin ich so entspannt, physisch stark und fokussiert, weil ich mir auch die Zeit genommen, viel trainiert und meine Einstellung geändert habe wie noch nie.

Es wird gesagt, dass die Einstellung zum Gegner bei den Extremsportarten auch eine besondere ist.

Eigentlich ist Dominik mein Gegner beim Contest, ja, aber in Wirklichkeit ist er ein guter Freund. Egal, ob er oben auf dem Podest steht oder ich, wir feiern danach zusammen und freuen uns auf den nächsten gemeinsamen Trip.

Und dann surfen Sie gemeinsam in den Sonnenuntergang?

Ich bin schon auf der Suche nach Freiheit. Wakeboarden ist ein Weg dorthin. Ich will auf keinen Fall irgendwann als Angestellter abwarten, bis die Rente kommt und ich wieder frei habe. Ich möchte mein Leben nach dem Wakeboarden genauso weiterleben. Dass ich im Winter zwei Monate Surfen gehe und danach ein cooles Projekt mache. Dass ich vielleicht einen Laden aufmache, ihn nach zwei Jahren verkaufe, um Snowboarden zu gehen. Solche Sachen.

© SZ vom 23.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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