Soziale Infrastruktur:Nachjustieren für den Zusammenhalt

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Nach Freiham-Nord werden 8000 Menschen mehr als ursprünglich geplant ziehen. Die Zahl der Nachbarschaftstreffs soll trotzdem nicht erhöht werden. Sozialreferat und Lokalpolitiker fordern Abhilfe

Von Ellen Draxel, Freiham

Das gesamte Wohnviertel Freiham-Nord bekommt nach derzeitiger Planung lediglich drei Nachbarschaftstreffs. Anfangs waren allein für den ersten Realisierungsabschnitt noch vier solch zentraler sozialer Anlaufstellen für die Bewohner vorgesehen. Das wurde nun, bestätigt das Sozialreferat, revidiert. Glücklich ist man in der Behörde damit allerdings nicht.

Dem Amt zufolge sollen in der neuen Siedlung an der westlichen Stadtgrenze in 15 bis 20 Jahren bis zu 27 000 Menschen leben. "Das Quartier", sagt Sozialreferentin Dorothee Schiwy, "benötigt effektive und in ihrer Reaktion flexible offene Einrichtungen". Sie kritisiert, dass trotz der Erhöhung der Einwohnerzahl von anfangs 18 000 bis 20 000 auf jetzt bis zu 27 000 Menschen "keine Nachjustierung bei der Zahl der Einrichtungen der Quartierbezogenen Bewohnerarbeit stattfand". Im Stadtbezirk sieht man das ähnlich: "Drei Nachbarschaftstreffs für ganz Freiham-Nord", sagt die Vorsitzende des Unterausschuss Soziales im Aubinger Bezirksausschuss, Brigitta Bacak (SPD), "das geht gar nicht. Das sind viel zu wenige".

Freiham-Nord wird in zwei Bauabschnitten errichtet. Im ersten Realisierungsabschnitt, der bereits im Bau ist und dessen erste Wohnungen in zwei Jahren bezugsfertig sein sollen, werden die sozialen Angebote der Stadt konsequent über das Gebiet verteilt sein. Es wird ein niederschwellig konzipiertes Familien- und Beratungszentrum mit offenem Café geben, zu dem auch eine Ersatzbetreuung in der Kindertagespflege gehört. Gebaut werden sollen zudem eine Teenie- und Jugendfreizeitstätte auf einer Fläche von rund 400 Quadratmetern und die ersten beiden Nachbarschaftstreffs.

Gewaltige Großbaustelle: In Freiham-Nord entsteht ein Quartier, bevölkerungsreichwie eine Kleinstadt. (Foto: Robert Haas)

Patrycja Marek ist die Leiterin des ersten, an der Ecke Aubinger Allee / Ute-Strittmatter-Straße nördlich des Quartierzentrums situierten Treffs unter der Trägerschaft des Vereins Kinderschutz. Die gebürtige Polin leitete bereits den Treff Mosaik in Nymphenburg-Süd und managte zuvor ein Team von Ehrenamtlichen auf der Theresienhöhe. Die Entwicklung in Freiham beobachtet Marek seit drei Jahren. Es war ihr ganz persönlicher Wunsch, bei der sozialen Integration des neuen Stadtteils aktiv beteiligt zu sein. Zwar werden die künftigen Treff-Räumlichkeiten in einem Gebäude der städtischen Wohnungsbaugesellschaft GWG erst Mitte 2020 bezugsfertig sein, an diesem Freitag, 18. Oktober, feiert die GWG das Richtfest auf ihren Baufeldern. Ein Netzwerk, weiß die Pädagogin und Politologin, lässt sich aber schon vorher aufbauen. "Ich gehe auf Spielplätze und in Grünflächen und rede dort mit den Nachbarn und künftigen Bewohnern."

So erfahre sie, was die Menschen umtreibt, welche Sorgen und Wünsche sie haben und wo sie helfen kann. Darüber hinaus trifft sich die Treff-Leiterin regelmäßig mit dem Facharbeitskreis "Kinder Jugend Familie" des Sozialnetzwerks Regsam und mit dem Stadtteilmanager für Freiham, Reinhold Petrich. Sie besucht auch den Bildungscampus, die Grundschulen und Kinderhäuser. "Wir hatten schon ein Spielfest anlässlich des Weltkindertags im September am Grünfinger in Freiham", sagt Marek. "Mehr als 400 Personen haben uns an dem Tag besucht, darunter viele, die nach Freiham ziehen werden." Damit der Treff in Freiham nicht von null auf hundert starten muss, hat der Verein Kinderschutz außerdem einen Raum im Ladenzentrum an der Wiesentfelser Straße gegenüber dem SOS-Familienzentrum angemietet. Der Interims-Treff wird derzeit aber noch umgebaut. "Mir ist es wichtig, dass wir vor dem Umzug nach Freiham schon eine Gruppe haben, die mitentscheidet, was gebraucht wird", sagt Marek. Dass es künftig nun nur noch drei Nachbarschaftstreffs in Freiham-Nord geben soll, sieht Marek zwar kritisch. Sie versteht die Aufgabe aber auch als Ansporn. "Das wird auf jeden Fall eine große Herausforderung für die Projektleitungen sein."

Patrycja Marek ist die Leiterin des ersten Nachbarschaftstreffs in Freiham-Nord. Noch bevor die Einrichtung eröffnet wird, versucht sie, ein Netzwerk im neuen Viertel zu knüpfen. (Foto: privat)

Nachbarschaftstreffs fungieren in Neubauvierteln sowohl als Informationsdrehscheibe als auch beziehungsstiftend. Sie bemühen sich um den sozialen Frieden im Quartier, indem sie Vielfalt und Diversität fördern und Einsamkeit entgegenzuwirken versuchen. Für die Standorte zwei und drei hat das Amt für Wohnen und Migration daher bereits einen ersten Entwurf erarbeitet, dem der Bezirksausschuss Aubing-Lochhausen-Langwied zugestimmt hat.

Nachbarschaftstreff Nummer zwei ist laut Papier, das Mitte Dezember dem Stadtrat vorgelegt werden soll, an exponierter Lage am Kreuzungspunkt der künftigen Hauptverkehrsachse Aubinger Allee mit dem südlichen Grünfinger situiert und startet voraussichtlich im Frühjahr 2021. Die Realisierung dieses Treffs sei "dringend notwendig", betont Schiwy. Für die Nachbarn, von denen die meisten in geförderten Wohnungen leben: Der Wohnungsmix des gesamten neuen Stadtteils wird zu zehn Prozent aus frei finanziertem Wohnraum, zu 50 Prozent aus gefördertem Wohnungsbau, zu 20 Prozent aus Genossenschaftswohnungen und zu 20 Prozent aus Baugruppen bestehen, wobei in den beiden letzten Gruppen ebenfalls ein Anteil an geförderter Wohnungen enthalten ist.

Wichtig ist der Treff aber auch, weil es in der Nähe in einem Haus der städtischen Wohnungsbaugesellschaft GWG eine "Sorgende Hausgemeinschaft" geben soll, die unbedingt einen größeren Gruppenraum benötigt. "Die recht kleinen Wohnungszuschnitte der Hausgemeinschaft bieten nicht die Möglichkeit, sich hier zu treffen und auszutauschen", erklärt Schiwy. Bei einer "Sorgenden Hausgemeinschaft" leben ältere Menschen gemeinsam unter einem Dach und unterstützen sich gegenseitig mit nachbarschaftlicher Hilfe.

Der dritte Nachbarschaftstreff im zweiten Realisierungsabschnitt soll dagegen erst zwischen 2023 und 2025 eröffnet werden. Der Standort aber ist jetzt schon avisiert: Er liegt voraussichtlich am zentralen Quartiersplatz, dem geografischen Mittelpunkt dieses Bauabschnitts, und ist damit aus allen Richtungen des Quartiers auf kürzestem Wege erreichbar.

© SZ vom 18.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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