Solln:Ladensterben ist anderswo

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Reich wird man nicht mit einem Laden: Ida Maendlen aber resigniert keineswegs in ihrer Sollner Schuhecke. (Foto: Florian Peljak)

Aufbruchstimmung in der guten Stube Sollns: Rings um den Fellererplatz glaubt eineselbstbewusste Geschäftswelt an ihre Zukunft und trotzt dem Online-Handel

Von Jürgen Wolfram, Solln

Bauarbeiten im eigenen Laden können ganz schön an den Nerven zerren. Der Lärm, der Schmutz, die neugierigen Passanten. "Hilft aber nichts, da muss ich jetzt durch", sagt Ida Maendlen. Ihre "Sollner Schuhecke" an der Grünbauerstraße wird gerade einer Modernisierung unterzogen. Kompletter Räumungsverkauf unvermeidlich. So wie andere Geschäftsleute rund um den Fellererplatz tritt die Schuhhändlerin die Flucht nach vorn an. Denn die Zeiten ändern sich gravierend. Zum einen stirbt die Generation ihrer Stammkunden aus Alt-Solln, derzeit noch immer etwa 90 Prozent der Käufer, allmählich aus. Zum anderen, und das ist noch viel bedrohlicher für die Existenz der kleineren Läden in der guten Stube des Stadtviertels, floriert der Online-Handel. Die Internet-affine Jugend zurückzuholen an die Regale und Tresen, das versteht Ida Maendlen als zentrale Herausforderung ihrer Zunft. Deshalb die neuen, lichten Fensterfronten; daher der Trend zu attraktiven Blickfängen; insofern all die Überlegungen zur Neubelebung gewerblicher Gemeinschaftsaktionen.

Es ist ungefähr fünf Jahre her, als gegenüber der mächtigen Kirche St. Johann Baptist ein architektonisch zeittypisches Fünf-Parteien-Wohnhaus hochgezogen wurde. Zuvor war die Gegend ein halbes Jahrhundert lang mehr oder weniger veränderungsresistent vor sich hingedämmert. Der Neubau wirkt anscheinend wie ein Fanal. Seit er steht, geht es rings um den Fellererplatz jedenfalls Schlag auf Schlag: Der Metzger baut um, Münchens bekanntester Feinkosthändler eröffnet eine Zweigstelle, die längst geschlossene Apotheke macht einer "Fischmanufaktur" Platz. Und das "petit"-Café von Rachel Langebröker, vor zwei Jahren in Betrieb gegangen, hält sich gegen die Erwartung so prächtig wie die kleinen Boutiquen in der Umgebung.

Altbewährtes, wie das an die 70 Jahre alte Schreibwarengeschäft neben der Schuhecke, trotzt gleichfalls dem Trend zu immer größeren Verkaufsflächen. Als nächste spannende Frage zeichnet sich ab, ob aus der Tengelmann-Filiale gegenüber der Stadtsparkasse ein Edeka wird; die Kaiser's-Tengelmann-Gruppe wurde unlängst bekanntlich verkauft. So oder so: Ladensterben ist anderswo, mit achtbarem Erfolg stemmt Solln sich in seinem Zentrum gegen die Verödung. Frei nach dem Motto: Wer fährt schon wegen Kleinkram in die Münchner Innenstadt, wenn's vor der Haustür fast alles gibt. Auf der Habenseite steht überdies eine Bevölkerung, die weit überwiegend nicht zu scharf aufs Geld schauen muss.

Ida Maendlen steht seit 35 Jahren in ihrem Schuhgeschäft. Zehn Jahre lang war sie dort angestellt, ehe sie 1992 selbst zur Betreiberin, Geschäftsführerin und Arbeitgeberin avancierte. "25 Jahre selbständig - schönes Jubiläum", sinniert sie. In Alt-Solln ist die 66-Jährige ungefähr so bekannt wie der Oberbürgermeister. Schon weil sie 19 Jahre lang dem Gewerbeverein "Wir Sollner" vorstand und wiederholt legendäre Straßenfeste zu organisieren wusste. Energisch, kontaktfreudig, scharfzüngig - das sind Eigenschaften, die man Maendlen im Viertel nachsagt. Sie will da gar nicht widersprechen, zeigt aber Realitätssinn, was das Erreichen ehrgeiziger geschäftlicher Ziele angeht: "Selbst wenn's einigermaßen läuft, werden sie mit einem Laden keine Reichtümer ernten."

Die Geschäftsfrau vom Fellererplatz hat manche und manches kommen und gehen sehen. Sie verfolgt aufmerksam das Auf und Ab des nahen Wochenmarktes, beobachtete beifällig den Bau des neuen Pfarrheims neben der Kirche, freut sich über die qualitativ aufblühende Gastronomie in Solln. Alles Komponenten, die das öffentliche Leben bereichern. Und wenn in Solln irgendwo ein Händlerkollege mit einer Geschäftsidee reüssiert, sieht sie es mit Befriedigung. Ihre Zukunftshoffnung hat in dieser Hinsicht gerade Konjunktur. "So viel Aufbruch wie in letzter Zeit war selten", sagt Ida Maendlen.

© SZ vom 13.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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