Sendling-Westpark:Rettung aus der Freiheit

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Mit Netzen versuchen Freiwillige, die Schmuckschildkröten aus dem Mollsee im Westpark zu bergen. Die Tiere wurden von verantwortungslosen Haltern ausgesetzt und würden in unserem kühlen Klima sterben

Von Johannes Korsche, Sendling-Westpark

Thomas Türbl ist am Freitagvormittag für die Strategie im Wasser zuständig. Er lotst die etwa 40 Helfer in den grünlichen Neoprenanzügen und Badehosen von einem Ufer des Mollsees im Westpark zum anderen. Sie halten vier Netze, die jeweils zwei Meter lang sind. Die Beute soll so, wie bei einer Treibjagd, an eine bestimmte Stelle getrieben werden - dorthin, wo die anderen Freiwilligen mit Keschern warten. Auf diese Weise will die Münchner Auffangstation für Reptilien die vermuteten 100 Schildkröten im Westpark, allesamt ausgesetzte Haustiere, einsammeln. "Die Netze sollen zusammenbleiben", hört man von den Schildkrötenjägern. Doch lange passiert - einfach gar nichts. "Nur Schlamm im Kescher", sagt Türbl nach dem ersten Durchgang. Keine der Schmuckschildkröten, die bei schönem Wetter zu Dutzenden die Ufer der beiden Seen im Westpark bevölkern, zeigt sich. Nur ein Erpel folgt dem Zug von Helfern durch den Mollsee, in etwa so verwundert wie die Schaulustigen.

Strategisch positioniert: Freiwillige waten durch das Wasser des Mollsees, um möglichst viele Schmuckschildkröten zu fangen und damit zu retten. (Foto: Stephan Rumpf)

So komisch die Szenerie auf den ersten Blick wirken mag, so ernst ist der Hintergrund der "Treibjagd". "Die Leute glauben, sie setzen die Schildkröten in die große Freiheit aus", sagt Patrick Boncourt von der Reptilien-Auffangstation, "aber die Tiere verenden in maximal zwei Jahren qualvoll". Zumeist finde man im Westpark Schmuckschildkröten aus den USA, die nicht an unser wechselhaftes und kühles Wetter angepasst sind. "Jedes Tier symbolisiert einen verantwortungslosen Menschen", sagt Boncourt. Im letzten Sommer gingen Mitarbeiter der Auffangstation durch den Westpark und zählten insgesamt 86 Schildkröten in den Seen des Westparks.

Kontrolle nach dem Fang: Tina Hollandt untersucht die Gelbwangen-Schmuckschildkröte, die als erste gefangen wurde. (Foto: Stephan Rumpf)

Frank Weber, einer der Freiwilligen, sieht eines der größten Probleme in den Online-Zoohandlungen: "Da kann man sich ohne Beratung einfach irgendein Tier nach Hause bestellen", sagt er. Dabei müsse ein Tierhalter über die Bedürfnisse des Tieres aufgeklärt werden. Man müsse vorher wissen, dass eine Schildkröte bis zu 40 Zentimeter groß und bei guter Pflege bis zu 35 Jahre alt werden kann.

Nach einer kurzen Aufwärmpause machen sich die Freiwilligen wieder auf ins Wasser. Zumal sich der Hauptgrund für die magere Ausbeute nun langsam verzieht: die Wolken. Denn scheint die Sonne nicht, verkriechen sich die Schildkröten im Schlamm des Seebodens. Mit Unterstützung der Sonne dauert es auch nicht mehr lange bis zum ersten Fang. "Waltraud" wird die erste gerettete Schildkröte getauft. Die Tierärztinnen Anne Fischer und Tina Hollandt untersuchen die Gelbwangen-Schmuckschildkröte an Ort und Stelle. "Wir schauen nach äußeren Verletzungen und ob der Panzer beschädigt ist", sagt Hollandt. Die 382 Gramm schwere Waltraud ist aber "fit und munter". Nun bekommt sie noch vorsorglich ein Medikament gegen Parasiten verabreicht, ein Band mit einer "1" auf den Panzer geklebt - und schon sitzt Waltraud in einer der 100 mit Handtüchern ausgelegten Boxen für den Transport in die Auffangstation. Dank der Sonne bleibt sie nicht lange alleine - schnell sind mehr als zehn ihrer Artgenossen gefangen.

Boncourt und seine Kollegen verteilen indessen Reusen an den Ufern, um dort einen Monat lang Schildkröten zu fangen. Alleine um den Westsee herum sind es sechs. Reusen sind vergleichbar mit Lebendfallen für Mäuse - nur locken statt der Käsestücke Futterköder mit Shrimps die Schildkröten an. "Das riecht unter Wasser sehr intensiv und klappt zuverlässig", sagt Boncourt. Darüber hinaus stellen sie Schilder auf, die auf die Gefahren für die ausgesetzten Tiere hinweisen. Wer seine Schildkröte nicht mehr daheim halten will oder kann, sollte sein Tier bei der Reptilien-Auffangstation an der Kaulbachstraße 37 abgeben. Dem Erpel auf dem Mollsee bliebe es so erspart, eine weitere Fang-Aktion beobachten zu müssen.

© SZ vom 30.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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