Sendling-Westpark:Mensch und Maschine

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Die Hauptwerkstatt der Lebenshilfe versteht sich als Betrieb für Mitarbeiter mit besonderen Bedürfnissen, aber auch als modernes Unternehmen. Jetzt wurde der Bau für 20 Millionen Euro saniert

Von Ilona Gerdom, Sendling-Westpark

Eine große Fensterfront, dahinter viele Maschinen mit je einem Arbeitsplatz. An einem davon sitzt ein Mann. Fritz Pietsch, 50, arbeitet konzentriert. Er legt eine metallene Scheibe in die grüne Maschine. Drückt links und rechts gleichzeitig auf einen Knopf. Die Vorrichtung senkt sich und schweißt kleine Bolzen fest. Es surrt und klappert. Dreimal wiederholt Pietsch den Vorgang an der Punktschweißmaschine. Dann nimmt er das fertige Teil heraus und legt es auf einen Stapel links von sich. Schon seit 31 Jahren arbeitet Pietsch im Metallbereich der Lebenshilfewerkstatt (LHW). Hier finden Menschen mit geistiger Behinderung einen Platz im Arbeitsleben.

1972 wurde die Lebenshilfewerkstatt gegründet. Heute gibt es insgesamt vier Werkstätten, drei Zweigwerkstätten und die Hauptwerkstatt in Sendling-Westpark. 330 Menschen mit geistiger Behinderung arbeiten dort in verschiedenen Arbeitsgruppen. Sie sind wie Fritz Pietsch im Metallbereich tätig, in einer der sieben Fertigungsgruppen oder sie betreiben die Kantine und das Café. Außerdem gibt es den Berufsbildungsbereich (BBB). Dort geht es vor allem darum, herauszufinden, was den Menschen Spaß macht, welche Fähigkeiten sie haben und welche Tätigkeit dazu passt.

Werkstattalltag: Christina Kugler mit einem Kollegen. (Foto: Robert Haas)

Christina Kugler besucht im Moment den Berufsbildungsbereich. Ihre kurz geschnittenen Haare fallen ihr ins Gesicht, wenn sie ihren Kopf konzentriert über die Werkbank beugt. Sie ist damit beschäftigt, Batterien in Vorrichtungen zu stecken. Neben ihr arbeiten noch weitere junge Menschen. Jeder macht einen Arbeitsschritt. Am Ende entsteht ein Aufsteller, der später an der Kasse von McDonalds an wartende Gäste ausgegeben wird. Seit September ist Kugler in der Werkstatt. Direkt nach der Förderschule hat sie das Bildungsprogramm begonnen. Was sie später machen will, weiß sie noch nicht genau. Sie sagt: "Ich will erstmal alles angucken."

Geschäftsführer Andreas Jehn betont, dass sich gerade das BBB an den Wünschen der Teilnehmenden orientiere. Manche von ihnen haben schon Vorstellungen, in welchen Bereich sie später gehen möchten, andere wollen sich zunächst ausprobieren. "Die Teilhabe am Arbeitsleben kann vielfältig sein", sagt Jehn. Das ist eines der Ziele der Lebenshilfewerkstatt: Menschen mit Behinderung die Möglichkeit geben, am Berufsleben teilzuhaben. Zentral ist für Jehn, für jeden "eine möglichst hohe Lebenszufriedenheit" herzustellen. Das definiere jeder anders.

Fritz Pietsch ist seit 31 im Metallbereich der Werkstatt tätig. (Foto: Robert Haas)

Ein wichtiger Schritt in Richtung Zufriedenheit ist aber schon einmal ein Umfeld, in dem man sich wohlfühlt und eine Aufgabe, der man nachgehen kann. Jehn sagt: "Das soll eine Werkstatt für Menschen sein, aber auch eine Werkstatt, in der etwas produziert wird." Die Lebenshilfewerkstatt beliefert teilweise große Firmen wie BMW. Dafür muss die LHW wie jeder andere Hersteller bestimmte Qualitätsvoraussetzungen und Mengenangaben erfüllen. Gerade die Arbeit für große Firmen sei für viele der Mitarbeiter auch identitätsstiftend. Jehn sagt, dass sei, wie bei allen anderen auch. Man definiere sich eben auch darüber, für wen man arbeite.

Für Jehn ist es außerdem wichtig, dass der Austausch mit den Mitarbeitern auf Augenhöhe stattfindet. Er sagt: "Wir arbeiten hier mit Erwachsenen." Deshalb gibt es auch einen Werkstattrat, der aus Mitarbeitern besteht und von ihnen auch gewählt wird. Die Mitglieder setzten sich für die Belange der Angestellten ein.

Peter Müller mit Geschäftsführer Andreas Jehn (Mitte) und Kerstin Michel, (rechts). (Foto: Robert Haas)

Aber in der Werkstatt gibt es auch Menschen, die nicht hier sind, um sich beruflich zu entwickeln. In der Förderstätte gibt es 24 Plätze für Menschen mit schwerer geistiger Behinderung. Sie werden hier betreut. Dabei steht im Mittelpunkt, ihnen lebenspraktische Fähigkeiten beizubringen. Das heißt, wie Jehn sagt, "Dinge, die für uns ganz selbstverständlich sind". Zum Beispiel, lernen die Menschen, wie sie ihrem Gegenüber deutlich machen können, dass sie etwas zu Essen oder auf die Toilette möchten.

Die Lebenshilfewerkstatt in Sendling-Westpark ist ein riesiges Gebäude. Die Arbeitsgruppen sind auf verschiedenen Stockwerken angesiedelt. Wenn man sich durch die Flure und Räume bewegt, riecht es noch nach frischer Farbe. Das liegt daran, dass die Werkstatt erst vor kurzem saniert und modernisiert wurde. Sie ist erst seit Mitte August 2019 wieder in Betrieb. Die Modernisierung war dringend notwendig. Einerseits verändern sich die Jobs in der Werkstatt. Entsprechend mussten bestimmte Bereiche technisiert werden. Daneben galt es, das Gebäude zu modernisieren, damit sich die Menschen dort orientieren können. Jehn sagt, es sei wichtig zu sehen, dass zwar die Menschen im Mittelpunkt stehen, es sich aber gleichzeitig um ein wirtschaftliches Unternehmen handelt. Das muss im Gebäude abgebildet sein. Nur so funktioniert der Arbeitsalltag sowohl für die Menschen, als auch für das Unternehmen. Die umfassende Sanierung hat etwa 20 Millionen Euro gekostet.

Michaela Gersbacher, Gruppenleiterin Fertigung, und ein Kollege. (Foto: Robert Haas)

Den Standort zu wechseln, war dabei nie eine Option. Das liegt auch an der Anbindung an die öffentlichen Verkehrsmittel. In weniger als fünf Minuten erreicht man von hier aus die U-Bahn-Station Westpark. So bekommen die Menschen, die hier arbeiten, ein Stück Unabhängigkeit. "Wenn ich die Öffentlichen für den Arbeitsweg nutzen kann, kann ich sie in allen Lebensphasen nutzen", sagt Jehn.

Christina Kugler ist immer noch in die Arbeit vertieft. Zwar weiß sie noch nicht, welchen Beruf sie später machen will, sie ist sich aber sicher: "Arbeiten ist besser als Schule." Hier kann sie immerhin Geld verdienen. Der Lohn der Arbeitnehmer setzt sich aus einem Grundbetrag von 80 Euro und einem Steigungsbetrag zusammen. Ersterer soll bis 2023 bundesweit auf 119 Euro erhöht werden. Zweiterer ist in der Lebenshilfewerkstatt abhängig vom Tätigkeitsfeld. Kugler will ihr Gehalt erst mal sparen. Genauso wie ihr Freund. Ihn hat sie hier kennengelernt. Auch er ist gerade in der Orientierungsphase. Sie sind sich einig: Mit dem gesparten Geld, wollen sie zusammen in den Urlaub fahren.

© SZ vom 08.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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