Sendling-Westpark:Gefahr aus dem Display

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Groß und gefährlich: Polizisten veranschaulichen den toten Winkel. (Foto: Leiprecht/oh)

Aktionstag hält Schüler an, auf den Verkehr und nicht auf ihr Smartphone zu achten

Von Julian Raff, Sendling-Westpark

An die Aktualität des Themas brauchten Polizeibeamte, Pädagogen und Politiker beim Aktionstag "Augen auf die Straße!" nicht lange zu erinnern. Die meisten Schüler des Ludwigsgymnasiums an der Fürstenrieder Straße haben den tödlichen Unfall einer 15-Jährigen, die vor neun Monaten im Nachbarbezirk Laim von einer Trambahn erfasst wurde, noch gut in Erinnerung.

Natürlich droht gefährliche Ablenkung aus dem Display nicht nur im Münchner Westen. Diskussionen, Aufklärung und Sicherheitstrainings zum Thema Smartphone im Straßenverkehr wären also an jeder anderen Schule ebenso gut aufgehoben gewesen. Dass nach aktuellen Polizei-Stichproben an der Landsberger Straße jeder 14. Münchner Autofahrer verbotenerweise am Steuer telefoniert, liest, textet oder spielt, macht das Leben für Fußgänger an sich schon gefährlich.

Entsprechende Sensibilisierung schon vor der ersten Fahrstunde stand also gleichberechtigt neben dem Anliegen, die fast schon instinktiv eingespielte Einheit von Gehen und Smartphone-Nutzung infrage zu stellen. Etwas zu kurz kam im umfangreichen Programm höchstens die Gefahr für und durch radelnde "Smombies". Der aus "Smartphone" und "Zombie" komponierte Begriff hat es Sprachforschern bei der Wahl zum "Jugendwort des Jahres" 2015 ebenso angetan wie Kultus-Staatssekretär Georg Eisenreich (CSU).

Nicht wenige Schüler des ehrwürdigen, 192 Jahre alten Traditionsgymnasiums hören allerdings in Eisenreichs Eröffnungsrede zum ersten Mal vom "Smombie". Sei's drum. Was und wer gemeint ist, versteht sich von selbst: Fast jeder hat Geschichten von Beinahe-Crashs und leichten Unfällen parat. Dennoch: Mit Unfallbildern und Schocktherapie brauche man jungen Leuten nicht zu kommen, erklärt Diplompsychologe Dominik Hummer. Sein Ansatz, den Schülern die magische Anziehungskraft des Handys "bedürfnisökonomisch" auszudeuten, stößt mal auf Aha-Erlebnisse, mal auf Gleichgültigkeit. Damit will er klarmachen, dass die weitgehend irrationale Angst vorm Nicht-Dazugehören in der Gruppe blind für die Außenwelt macht. Um die eigene Meinungsbildung nicht herum kommen die Jugendlichen dagegen bei Anne Rauch, die Lehrerkollegen in Sachen Verkehr weiterbildet und am Aktionstag Smartphone-gerechte Sicherheitslösungen aus aller Welt vorstellt - von gepolsterten Laternenpfählen in London über Handyspuren auf chinesischen Trottoirs und grell beschrifteten Treppenaufgängen in Tokio bis hin zu den Kölner und Augsburger "Bodenampeln", den "Bompeln".

Die führen prompt das anschließende Schüler-Ranking der Münchner Wunschlösungen an. Da half es auch nichts, dass Michael Haberland vom Automobilclub "Mobil in Deutschland" vom Podium aus die "Bompeln" als "ganz schlechten Irrweg" verdammt hatte, unisono mit acht anderen Experten. Umso besser kommt dafür der vom Verein mitgebrachte Fahrsimulator an. Jung und Alt, Jungs und Mädchen belagern das Gerät, nicht nur wegen der realistischen Simulation von Verkehr und Ablenkungsfaktoren, sondern auch wegen spektakulärer Crashs.

Die analoge, ebenfalls beliebte Variante bietet draußen im Schulhof ein Kettcar-Parcours, auf dem nebenbei eine Smartphone-Rechenaufgabe zu lösen ist. Die Multitasking-Grenzen werden da schnell sichtbar. Am Ende lauert die Gefahr aber manchmal auch in der analogen Welt und den dortigen Sicherheitstechniken: Gleich nebenan demonstrieren Polizeibeamte anhand eines Kleinlasters die eindrucksvollen Ausmaße des toten Winkels - nebst der Möglichkeit, ihn auszutricksen. Ob rund um die Fahrerkabine wuchernde Zusatzspiegel nicht selbst wieder den Fahrer ablenken könnten, müsse erst die Praxis zeigen, da sind sich die Beamten einig.

© SZ vom 29.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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