Sendling-Westpark:Das Sterben der Riesen

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Die mächtigen, teils fast 100 Jahre alten Kastanien am Eichendorffplatz sind von einem Bakterium befallen und rettungslos verloren. Nachgepflanzt werden Zierkirschen und robuste Zerr-Eichen

Von Berthold Neff, Sendling-Westpark

Wie ist das wohl, wenn Bäume sterben, wenn der Stamm zu bluten beginnt und rissig wird und ihm die Kraft ausgeht, das lebenswichtige Wasser durch seine Fasern nach oben in die Krone zu pumpen? Wenn den Ästen die Blätter ausgehen, wenn er den Menschen dort unten keinen Schatten mehr spenden kann? Was die Bäume dann fühlen, wissen wir nicht, aber die Menschen erfüllt es mit Trauer, wenn diese großen, starken Geschöpfe sterben müssen. Denn wenn sie nicht mehr da sind, verändert sich viel, manchmal alles. Wie zum Beispiel am Eichendorffplatz.

Traurige Wahrheit: Die Kastanien auf dem Platz in Sendling-Westpark spenden den Menschen heute zwar noch Schatten. (Foto: Lukas Barth)

Wer von der stark befahrenen Albert-Roßhaupter-Straße wenige Minuten lang auf der Eichendorffstraße nach Süden geht, stößt auf die grüne Lunge inmitten von Sendling-Westpark, im Dichterviertel. 9000 Quadratmeter ist der Platz groß und so geschnitten, dass ein Fußballfeld locker darauf passen würde. Gesäumt wird der dunkelgrüne Rasen von stolzen Reihen mächtiger Kastanien, einige davon sind fast 100 Jahre alt. Aber ihre Tage sind gezählt, denn fast ein Dutzend der ursprünglich 52 Kastanien sind einem tückischen Erreger zum Opfer gefallen. Pseudomomas syringae, so der wissenschaftliche Name des Bakteriums, wurde erstmals vor etwa 40 Jahren in Indien auf der Indischen Rosskastanie nachgewiesen. 2007 kam es in Deutschland an, arbeitete sich langsam, aber tödlich vom Nordwesten der Republik in den Süden vor.

Aber ihr Schicksal ist wohl besiegelt. (Foto: Lukas Barth)

Am Eichendorffplatz hat der Erreger schon ganze Arbeit geleistet. Ein Dutzend Bäume sind ihm schon zu Opfer gefallen, kleine Hügel mit Holzschnitzeln markieren die Stellen, wo zuerst die Kettensäge und dann die Wurzelfräse vollendeten, was der Erreger begonnen hat. Es ist ein Jammer, gerade für diejenigen, die im Laufe der Jahre gesehen haben, wie diese Bäume den Eichendorffplatz immer deutlicher prägten, ihm sein Gesicht und die Gestalt gaben.

Wenn die Bäume nicht mehr da sind, verändert sich viel, manchmal alles. So nun zum Beispiel am Eichendorffplatz. (Foto: Lukas Barth)

Etwa für Dieter Meyer, der seit einem halben Jahrhundert in diesem Viertel lebt. Im Bezirksausschuss Sendling-Westpark, dem er seit 1978 angehört, ist er der Sprecher des Unterausschusses Parks und Grünanlagen. Er deutet auf einen der Holzschnitzel-Hügel und sagt, dass diese Kastanie dem Sturm Niklas nicht habe widerstehen können, er habe sie in einem Meter Höhe einfach abgeknickt.

Da die Bäume geschwächt sind, gefährden sie unter Umständen die Menschen, die sich an sie gewöhnt haben. Die Jugendlichen, die sich schon als Kinder hier auf dem Bolzplatz ausgetobt haben. Die Mütter, die vor ein paar Jahren noch den Kinderwagen über die breiten, frisch hergerichteten Wege geschoben haben und nun auf dem Spielplatz zuschauen, wie sich die größer gewordenen Kleinen durch das bunt bemalte Rutschrohr in den Sand plumpsen lassen. In das Kinderlachen mischt sich der Gesang der Vögel, die noch in den mächtigen Baumkronen sitzen.

Einige der Kastanien sind erst vor Kurzem gepflanzt worden, da wusste man noch nicht, dass der Erreger sich dermaßen ausbreiten würde. Sie zeigen noch keine Anzeichen des Befalls, aber auch sie werden weichen müssen. Geplant ist, dass nach und nach - je nach Befall - alle Kastanien gefällt und durch Bäume ersetzt werden, die "zukunftsfähig" sind.

Damit meinen die Fachleute Bäume, die gegen diesen Erreger resistent sind und mit dem Stadtklima zurecht kommen, das möglicherweise noch heißer und trockener werden wird. Der Eichendorffplatz wird schon bald anders aussehen als bisher. Die Blüte der neuen Bäume im Frühjahr wird eine andere sein, Zierkirschen werden die farblichen Akzente setzen. Und im Herbst werden die Kinder keine Kastanien mehr finden, dafür Eicheln. Die Zerr-Eiche, deren botanischer Name Quercus cerris L. lautet, ist der andere Baum, der die Kastanien ersetzen soll: bis zu 30 Meter hoch, frosthart, wärmeliebend, hitze- und trockenresistent und - so die Experten - "ausgesprochen stadtklimafest".

Es ist rund um den grünen Eichendorffplatz einiges gebaut worden in der jüngsten Zeit. An der Jean-Paul-Richter-Straße hat die Bayerische Hausbau dort, wo die Höltypost stand, einen großen Wohnblock hingesetzt, ein paar Dachwohnungen samt Terrasse sind noch zu haben - für mehr als eine Million Euro. Von dort haben es die künftigen Bewohner nicht weit bis zum Eichendorffplatz, ein paar Schritte nur Richtung Norden, vorbei an der Osteria "Da Salvatore", in der ein Helles 3,80 Euro kostet. Von ihrer Dachterrasse werden sie vielleicht sehen können, wie die mächtigen Kronen der Kastanien verschwinden. Und wenn sie lange genug dort oben leben, werden sie bewundern können, wie sich irgendwann die starken Zerr-Eichen Richtung Himmel recken.

© SZ vom 28.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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