Sendling-Westpark:Das Glück, vom Hobby leben zu können

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Reiner Stolte hat jahrzehntelang die Buchreihe TKKG illustriert. Auch mit 75 zeichnet er in seinem kleinen Atelier munter weiter

Von Julia Weinzierler, Sendling-Westpark

Im Jahr 1965 wurde das billigste Bild in einer Ausstellung im Haus der Kunst gekauft - ein Werk von Reiner Stolte. Das war ein Meilenstein für den damals 18-Jährigen. Der junge Künstler gab das eingenommene Geld für seine ersten Cowboy-Boots aus, erzählt er lächelnd, es waren halt die Sechzigerjahre. Vom Stadtcowboy-Image ist heute wenig übrig, mit beiger Cap und Holzfällerhemd sitzt Stolte in seinem Garten, der Autolärm dringt unentwegt in die grüne Oase, nur durchbrochen durch Vogelgesang und das Rascheln eines Eichhörnchen im Baum.

Bekanntheit erlangte Stolte durch seine Illustration der Jugendbuchreihe TKKG. Doch auch wenn der gelernte Grafiker bis heute Kinder- und Jugendbücher gestaltet, erprobte er sich früh an gänzlich anderen Genres. Was mit Kinderzeitschriften begann, führte zum Playboy, über Frauenmagazine ging es zu Elternzeitschriften, bis hin zur Werbebranche und zum Spieledesign. "Nachdem ich ein Typ bin, der lieber vielseitig ist, als sich an irgendwas festzubeißen, sind die Sachen halt sehr unterschiedlich", erzählt er.

Reiner Stolte lebt und arbeitet heute in Sendling-Westpark, erinnert sich aber gern an die Sechziger- und Siebzigerjahre im damals wilden Schwabing. (Foto: Catherina Hess)

Besonders gern erinnert sich Stolte zurück an die Vergangenheit. "In den Achtzigerjahren hat ein Job den anderen gejagt. Da lief es wirklich verdammt gut", sagt er mit rauer Stimme. Er sei immer ein Risiko eingegangen, habe vorgearbeitet, ohne zu wissen, ob am Ende des Tages auch Geld reinkommt. Doch Stolte beschreibt sich als Optimist. Ein Glück sei es gewesen, dass er 32 Jahre lang, von 1978 bis zur Einstellung, TKKG illustrieren durfte. Manchmal hatte er nur drei bis vier Tage für einen kompletten Band. Schnelligkeit war in seinem Berufsleben oft die Devise.

Seit 1982 lebt der in Freising aufgewachsene Oberbayer in Sendling-Westpark, wo er seit zwölf Jahren auch arbeitet. Mit seinem Häuschen an der Fürstenrieder Straße verbindet er vor allem Familienglück, Schwabing aber scheint er noch immer verbunden zu sein. Mehrere Jahrzehnte fuhr er mit einem Ford Bronco täglich in sein Atelier an der Zieblandstraße in der Maxvorstadt, nahe Schwabing. Heute weiß auch er nicht mehr, wie er mit diesem "Schiff" dort je einen Parkplatz gefunden hat - und freut sich über die vielen Parktickets, die er sich nun sparen kann.

Das Zeichnen geht dem 75-Jährigen immer noch flott von der Hand. (Foto: Catherina Hess)

Das damalige Schwabing ist für den Illustrator und Cartoonist eine "Institution" gewesen. Am Ende von Stoltes Studienzeit an der "Akademie für das Graphische Gewerbe" wurde an der Leopoldstraße noch ausgestellt, die Leute seien flaniert und haben das ein oder andere Kunstwerk mitgenommen. "Das war ein nettes Taschengeld. Für uns war klar: Wenn der Umsatz gut war, dann sind wir ins Bologna Pizza essen gegangen", erzählt Stolte. Bei schlechtem Umsatz mussten "Würschtel" reichen. "Das war für mich Schwabing, nicht die Kneipen."

Doch diese Zeiten sind vorbei. Heute hat Stolte sein kleines Atelier in Sendling-Westpark, arbeitet an illustrierten Büchern über die griechische Mythologie und bald wohl für die TU München. Viele Aufträge gibt es für Illustratoren nicht, in der heutigen Zeit würde Stolte seinen Beruf nicht erneut ergreifen wollen. Damals aber fand er die perfekte Nische. Dafür hat er nun Zeit, an einem Kinderbuch weiterzuarbeiten, das er Mitte der Siebziger angefangen hat. Trotz seiner nun 75 Jahre ist mit Zeichnen noch nicht Schluss. Für den Illustrator ist es das Höchste, Hobby und Beruf vereinen zu können. "Und ich werde so lange arbeiten, bis mir der Griffel aus der Hand fällt", schmunzelt Stolte. Bis dahin will er weiterhin das Beste geben, das bleibt sein Anspruch - ganz egal, wie viel finanziell dabei rumkommt.

© SZ vom 15.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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