Sendling:Nicht verbiegen

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Das Start-up-Unternehmen Etepetete verkauft krummes Bio-Obst und Gemüse neuerdings auch von der Großmarkthalle aus. Die Gründer nutzen die Vernetzungsmöglichkeiten des Standorts

Von Birgit Lotze, Sendling

Es gibt jungen Zuwachs auf dem Großmarkt-Areal. Vor etwa einem Monat ist dort "Etepetete" eingezogen, ein Start-up, das online, na ja, krummes Bio-Obst und -Gemüse verkauft. Das ist begehrt, die drei Gründer Carsten Wille, Georg Lindermair und Christopher Hallhuber haben in kurzer Zeit eine Karriere hingelegt, von der man selbst in der Start-up-Szene meist nur träumt. Wie Carsten Wille erzählt, ist es noch gar nicht lange her, im Sommer 2015, dass sie zu dritt krumme Gurken und dreibeinige Möhren aus einer Garage heraus verkauft haben. Dann zogen sie nach Großhadern, dort konnten sie die Halle einer ehemaligen Druckerei nutzen. Als es auch dort zu eng wurde, gingen sie unter das Dach eines Logistik-Dienstleisters im Allgäu. Die Bestellungen nahmen weiter zu, die Geschäftsidee funktionierte. Deshalb seien sie jetzt auf das Großmarkt-Areal in eine eigene Halle gezogen, sagt Wille, der Wunschplatz für die Drei von Etepetete. "Das ist doch schön, wenn man umgeben ist von lauter Gemüse." Und so gute Klima-Bedingungen hätten sie dem Gemüse und Obst bislang nicht bieten können.

Jetzt, zweieinhalb Jahre nach dem Start in der Garage, thronen sie mehr oder weniger auf 1350 Quadratmetern mit vier Kühlzonen. 30 bis 35 Mitarbeiter arbeiten allein im Pack-Team, 15 Mitarbeiter im Büro. Es fahren Gabelstapler, Menschen in Sicherheitsschuhen und Warnwesten hieven Paletten. Ja, es sei sehr schnell gegangen, sagt Wille. Mehr als 250 000 Gemüse-Boxen habe das Start-up inzwischen insgesamt verschickt. Bezieher der Boxen seien meist Gleichgesinnte, meist in den Zwanzigern und Dreißigern, weiblich und urban lebend. Sie kaufen die Ökokisten, weil sie nicht eine Lebensmittelindustrie unterstützen wollen, die 20 bis 50 Prozent der Ernte ausmustert, nur weil das Obst und Gemüse nicht der Norm entspricht. Krumme Karotten landeten im Müll, in der Biogasanlage oder würden gleich liegengelassen - obwohl sie genauso frisch und schmackhaft seien wie nichtkrumme, sagt Wille.

Essenslieferdienste sind vor allem während der Pandemie schnell gewachsen. Knuspr gibt es allerdings bereits seit 2014. (Foto: Stephan Rumpf)

Es geht Etepetete also nur vordergründig um Dreibeiniges oder Krummes, das ist eher für das Marketing. Die drei 28-Jährigen, sie kennen sich seit der Schulzeit in Neuhausen und auf der Schwanthalerhöhe, sehen sich als Gemüse-Retter. Das Konzept: Sie kaufen Gemüse mit Schönheitsfehlern direkt beim Bio-Erzeuger, verpacken es in nachhaltige Kisten und versenden es an umweltbewusste Kunden. Kurze Wege seien wichtig, sagt Carsten Wille. Die Lage Münchens sei günstig für sie, denn die Plattform vermittle viel Obst aus Italien. Etepetete hat direkte Kontakte zum Erzeuger. Die Felder werden gemeinsam mit den Partnerbetrieben "geplant" - möglichst ressourcenschonend. Konkret heißt das, dass Etepetete die gesamte Ernte abnimmt. "Das macht effektiver", sagt Carsten Wille. Und Etepetete verzichte auf Methoden, die der Schönheitswahn bei Obst und Gemüse hervorgebracht habe - zum Beispiel auf teure Schutzfolien aus Plastik, die, über den Kohlrabi gelegt, verhindern sollen, dass er aufreißt. Kann dann deshalb vielleicht ihre Ware billiger sein als genormte? "Das ist doch kein Müll", antwortet Wille entrüstet. Die zweibeinige Karotte sei genauso gut. "Darum geht's doch."

Den Großmarkt sehen sie in erster Linie als logistischen Stützpunkt - einen Ort, wo man sich ausprobieren kann. "Um 4.30 Uhr in der Halle stehen und zu feilschen - das ist nicht unser Geschäftsmodell." Doch vor allem logistisch sei der Ort günstig, schon weil sich dort der Obst- und Gemüsehandel aus ganz Europa bündele. So habe man gute Logistiker im Umfeld, auch Personal sei schneller zu bekommen als auswärts. Auch möchten die Etepetete-Gründer gerne irgendwann testen, wie eine eigene Auslieferung in der Stadt klappen könnte. Autos dafür haben sie noch nicht, aber "im Blick", sagt Wille. Ziel sei, mit Elektro-Autos auszuliefern, das sei realistisch, dies sei auch Trend bei der Weiterentwicklung der Versanddienstleister. Derzeit arbeiten sie noch mit verschiedenen Partnern und Services zusammen, in München und in Deutschland.

Angekommen: Christopher Hallhuber, Carsten Wille und Georg Lindermair (von links) liefern von der Großmarkthalle aus. (Foto: Stephan Rumpf)

Zum Lebensmittel retten kam Carsten Wille an einer Salattheke im Einkaufscenter. Sie war ständig leer, das Angebot dürftig. Seine Freunde witzelten, dass bestimmt der Salat aus dem geschnippelt werde, was man in der Gemüseabteilung wegwerfe. Carsten Wille hatte dann die Idee, dass man das doch gezielt angehen und vermarkten könne - nicht mit Wegwerfreifem, sondern frisch und anders.

Frisch und anders, so sieht die Standortinitiative "Großmarkt in Sendling- jetzt" den Zuwachs. Der Einzug des Start-ups, noch dazu eines, welches die Trends Bio, Nachhaltigkeit und Digitalisierung in der Lebensmittelindustrie verbinde, zeige, wie wichtig ein innerstädtischer Großmarkt sei, sagt der Sprecher der Initiative, Hans Buchhierl, Geschäftsführer der Umschlag-Gesellschaft UGM. Die Standortinitiative setzt sich für den Verbleib des Großmarkts in Sendling ein. Der ist seit mehr als hundert Jahren Umschlagplatz für Obst und Gemüse, einer der größten Europas. Der Münchner Stadtrat hat zwar angekündigt, ihn dort belassen zu wollen. Doch der geplante, dringend notwendige Hallenneubau wurde im Sommer auf Eis gelegt. Den soll ein privater Investor übernehmen, der bislang noch nicht in Sicht ist.

© SZ vom 24.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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