Sendling:Hitze aus der Tiefe

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Die Stadtwerke wollen noch mehr Fernwärme-Kunden mit Energie aus der Geothermie versorgen. Dazu bohren sie im Münchner Süden kilometerweit in die Erdkruste, um Thermalwasser nach oben zu befördern

Von Birgit Lotze, Sendling

Das Heizkraftwerk (HKW) Süd, eines der beiden wichtigen Fernwärme-Kraftwerke der Stadtwerke München (SWM), wird für die Geothermie ausgebaut. Bereits im März geht es los. Bis Ende 2019 wird gebaut, danach soll der Schatz gehoben, also angebohrt und nach oben befördert werden: Thermalwasser aus der Malmschicht, mehr als 3000 Meter tief. Zehntausende Münchner Haushalte sollen damit beheizt werden.

Die Geothermie-Goldgräberstimmung der Jahrtausendwende in Bayern ist zwar verebbt: Das heiße Wasser aus dem Untergrund könne eine Energiequelle für Strom und Heizwärme sein, die viele Umweltprobleme und die Ressourcenknappheit löst, so war die Hoffnung. Doch viele der erwarteten sprudelnden Energiequellen erwiesen sich bloß als heiße Luft. So in Gelting bei Wolfratshausen, dort stießen die Bohrer nur auf ein schwaches Rinnsal. Die Anlage musste vor drei Monaten schließen. Mindestens 100 Millionen Euro haben Privatleute und Firmen dort versenkt.

Doch die Münchner Stadtwerke sind außerordentlich optimistisch, was die HKW-Süd-Pläne angeht. "München sitzt auf einem Schatz", sagt SWM-Sprecher Christian Miehling. Das Ergebnis der Seismik-Messungen in der Südhälfte des Stadtgebiets vor zwei Jahren habe die Erwartungen übertroffen. Rund 80 000 Haushalte wollen die Stadtwerke über die Bohrlöcher im HKW Süd von 2020 an mit Wärme versorgen - rund ein Drittel der Münchner Fernwärme-Kunden. Man rechnet mit einer Leistung von 50 Megawatt (MW). Zum Vergleich: In der Geothermie-Anlage Freiham werden derzeit 13 MW Energie gefördert, im weltweit größten Geothermie-Kraftwerk der Welt in Hellisheiði in Island bis zu 400 MW.

Ausbau

Die Arbeiten finden meist im Untergrund statt, nach oben hin werden außer einem etwa 60 Meter hohen Bohrturm und einem kleineren Gebäude für die Anlagentechnik wenig zu sehen sein. Die sechs Bohrlöcher wurden schon vorgebohrt. Noch sind sie schmal und nur 60 Meter tief. Von März an werden sie verbreitert, verlängert und die Rohre eingeführt. Die Bohrlöcher werden einen Kilometer senkrecht nach unten in die Erdkruste geführt, danach in mehrere Himmelsrichtungen auf einer Länge zwischen 2700 und 3400 Metern seitlich verschwenkt - in Richtung Ostfriedhof und Alte Messe, nach Mittersendling, zur Floßlände, in Tierparknähe, zum Schwimmbad Giesing-Harlaching. Jeweils drei Bohrungen sind für die Förderung von Thermalwasser vorgesehen, die anderen drei, Injektionsbohrungen genannt, sollen das Wasser abgekühlt zurückführen. Gebohrt und verrohrt wird nach einem System, das ähnlich wie ein Teleskop funktioniert: Erst wird das dickste Rohr eingesetzt, dann drei weitere, immer etwas schmaler - jedes Rohr ist rund 1000 Meter lang.

Emissionen

Die Planer, die seit Wochen in den Bezirksausschüssen die Anwohner aufklären, haben angekündigt, dass die Stadtwerke, was den Lärmschutz angeht, über die Vorgaben der Behörden hinausgehen. Die Bohrstelle werde lärmtechnisch gesteuert. Es liege ein Lärmgutachten vor, das laufend fortgeschrieben werde. Lärmquellen würden abgeschirmt, Schutzwände eingesetzt, lärmmindernde Materialien genutzt. Die ganze Baustellenlogistik sei darauf abgestimmt. Lärmintensives Liefern oder Abladen solle tagsüber stattfinden.

Vorteile

Wenn an geeigneter Stelle fachgerecht gebohrt wurde, dann soll eine geothermische Quelle nahezu unerschöpflich sein. "Wir werden das System über Jahrzehnte, eventuell sogar Jahrhunderte betreiben", sagen die SWM-Experten, wenn sie derzeit in den Bezirksausschüssen für das Vorhaben werben. Tiefe Geothermie ermöglicht regionale Energieautarkie. Man ist nicht mehr auf fossile Brennstoffe angewiesen. Als großer Vorteil dieser Energieform gilt, dass sie unabhängig von Wind und Wetter nahezu permanent zur Verfügung steht. Auch wird vergleichsweise wenig Fläche verbraucht. Langfristig - bis 2040 - will die SWM "100 Prozent Fernwärme aus erneuerbaren Energien" erzeugen. Den wesentlichen Beitrag soll dazu die Geothermie leisten.

Die Energiequelle

München sitze auf einem riesigen Vorrat an Thermalwasser, schwärmen Experten. Gerade in Südbayern seien die Voraussetzungen dafür sehr gut. Dank einer besonderen Gesteinsschicht - des Malms. Diese Schicht liegt wie eine schiefe Ebene im Boden. In ihr fließt das Wasser nach Süden nach unten und wird immer wärmer. Um das heiße Wasser noch oben zu holen, genügt es im Prinzip, an der richtigen Stelle tief genug zu bohren. Aus dem Bohrloch strömt heißes Wasser, mit dem sich über Wärmetauscher ein klassisches Kraftwerk betreiben lässt. Dabei gibt das Wasser Energie ab, kühlt dadurch ab und wird durch ein zweites Bohrloch wieder in den Boden verpresst. Der Malm befindet sich im Münchner Süden, beispielsweise in Sauerlach, wo bereits Geothermie genutzt wird, in einer Tiefe von vier Kilometern, unter dem HKW Süd beim Flaucher liegt die Schicht in 3000 Metern Tiefe, in Freising in 1000 Metern. Die Wärme des Thermalwassers lässt sich optimal zum Heizen nutzen. Unter dem HKW Süd ist das Wasser etwa 100 Grad warm, in Sauerlach beträgt die Temperatur fast 140 Grad, in Unterhaching noch mehr als 120 Grad, im Norden Münchens etwa 65 Grad.

Eingriff ins Ökosystem

Dass das Wasser um 40 Grad kälter zurückgeführt wird als herausgepumpt, betrachten die SWM nicht als Problem. Sprecher Christian Miehling sagt, die eingesetzte Methode zur Nutzung der Erdwärme sei sicher. "Sonst würden wir die Anlagen, die sich teils mitten in der Millionenstadt München befinden, nicht nutzen." Er verweist auf die Erfahrungen der Stadtwerke, sieht sich in Deutschland als Vorreiter. Das erste Geothermie-Heizkraftwerk arbeite seit 2004 in der Messestadt Riem, seit 2013 betreibe München in Sauerlach ein Geothermie-Heizkraftwerk, das neben Wärme auch Strom liefert, seit 2016 laufe die Geothermie-Anlage in Freiham. "Keine dieser Anlagen hat bisher ein Erdbeben ausgelöst, bei dem es zu Schäden gekommen ist." München sei eine tektonisch stabile Region. Auch werde kein zusätzliches Wasser in den Untergrund verpresst, das dann zu Erschütterungen führen könnte. Die Stadtwerke nutzten die Energie des bereits in der Tiefe vorhandenen Thermalwassers und speisten das Wasser nach der Nutzung auch wieder in dieselbe Schicht zurück.

Probleme

In der einst als Gelddruckmaschine gefeierten Geothermie-Anlage in Unterhaching funktioniert die Wärmegewinnung zwar immer noch gut, aber die Stromproduktion wurde gestoppt. Das störanfällige Kalina-Kraftwerk war schon im August abgeschaltet worden, weil wieder einmal die Dichtungen nicht hielten. Auch das Kraftwerk in Poing musste 2017 vorübergehend pausieren. Dort wackelten immer wieder die Wände, Gläser klirrten im Geschirrschrank. Experten bleiben trotzdem gelassen. Es sei ein "Minibeben" gewesen, in etwa so, wie ein Laster es verursache, wenn er über eine holprige Straße fahre. Auch wenn es nur ein wenig bebte - ein Problem wurde den besorgten Bürgern deutlich: Nachweise, dass die Geothermie zu Beben und dann vielleicht auch zu Rissen in Häuserwänden führt, sind wohl kaum leicht zu erbringen.

Risiken

Viele Aspekte der Geothermie sind noch gar nicht erforscht. Es fehlen auch Erfahrungswerte, wie lange ein Kraftwerk der Erde Wärme entziehen kann, ohne dass der Boden auskühlt. Doch selbst Naturschützer wie Herbert Barthel, Referent für Energie und Klimaschutz des Bundes Naturschutz in Bayern, halten die Form der Wärmenutzung verglichen mit fossilen Brennstoffen für eine "sinnvolle und positive Sache", gerade in München. Anders als an anderen Standorten versuche man in München nicht, Gestein zu öffnen oder aufzubrechen, gehe auch nicht mit chemischen Mitteln vor - alles Methoden, die er für risikoreich halte. Und die Bohrungen - teils über mehr als vier Kilometer durch die Gesteinsschichten? U-Bahnen würden ja auch gebaut, meint Barthel. "Man wägt eben immer ab."

© SZ vom 31.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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