Sendling:Fremdkörpergefühl

Lesezeit: 3 min

Die neue Großmarkthalle samt günstiger Wohnungen soll bis 2030 stehen - hier ein früherer Entwurf. (Foto: Henn Architekten)

Die Mitglieder der Bürgerinitiative "Großmarktareal mitgestalten" organisieren eine Debatte über das geplante bis zu 68 Meter hohe Neubau-Projekt an der Schäftlarnstraße. Sie wollen, dass ihr Viertel lebenswert bleibt

Von Birgit Lotze, Sendling

Mit einer großen Veranstaltung mit Gastrednern, Film und Livemusik geht die neue Bürgerinitiative (BI) "Großmarktareal mitgestalten" am Donnerstag, 24. September, erstmals an die breite Öffentlichkeit. Die Zusammenkunft findet von 15.30 Uhr an auf der Alten Utting statt, wurde mit "Sendling setzt Segel" beworben und war kurz nach dem Bekanntwerden bereits ausverkauft - auch der Corona-bedingten Abstandsregeln wegen. Florentine Schiemenz, die die Bürgerinitiative auf die Schnelle ins Leben gerufen hat, als die Pläne für den neuen Großmarkt vorgestellt wurden, organisiert für den Redner- und Diskussionsteil der Veranstaltung von 19 Uhr an einen Livestream.

Etwa 50 bis 60 Menschen seien aktuell bei der BI aktiv, schätzt sie, die Hälfte davon Anwohner, die anderen "Nachbarn" aus Sendling, der Ludwigsvorstadt-Isarvorstadt, aus Obersendling und Thalkirchen. Alle wünschen sich eine Bürgerbeteiligung bei der Planung, so Schiemenz. Ziel sei, ein lebenswertes Großmarktgelände zu erhalten. Dokumentarfilmer Reinhold Rühl zum Beispiel ist Anwohner, ein "professioneller Beobachter der Umgebung", wie er sagt. Auf der Veranstaltung zeigt er eine Dokumentation über den Großmarkt.

Rühl geht es wie vielen anderen Beteiligten bei der BI auch um die Verkehrsführung rund um das Großmarkt-Gelände. Man rechnet damit, dass in einigen Jahren auf den Straßen deutlich mehr los sein wird - nicht nur wegen des Neubaus, sondern auch wegen der zusätzlichen Bauprojekte: Gebäude für Tausende Arbeitsplätze und neue Wohnungen. Florentine Schiemenz will alle Beteiligten und Betroffenen in den Dialog bringen. "Es geht hier um gegenseitige Bildung", sagt sie. Inhaltlich müsse am Ende ein Konzept umgesetzt werden, das ganzheitlich und zukunftsfähig gedacht sei. Dabei seien auch bisher angedachte Pläne kritisch zu prüfen und gegebenenfalls zu korrigieren.

Der Plan ist nach dem Willen des Stadtrats, dass der Großmarkt in Eigenregie ein neues Gebäude an der Schäftlarnstraße baut und dafür die kleinteilige Struktur zur Thalkirchner Straße hin aufgibt. Oberirdisch fällt für den Neubau eine Nutzfläche von mehr als 200 000 Quadratmetern an - das entspricht einer Fläche von mehr als 30 Fußballfeldern. Die Büroblöcke, die zur Gegenfinanzierung auf die Großmarkthallen-Etagen aufgesetzt werden, sind in der Planung an der höchsten Stelle, zum Heizkraftwerk Süd hin, mit 68 Metern angesetzt. Architekt Fredrik Werner, Partner des federführenden Büros Henn, wird auf der Veranstaltung den aktuellen Entwurf erläutern.

Es ist zu erwarten, dass der Münchner Architekt und Stadtplaner Matthias Castorph, Professor in Kaiserslautern und als nächster Redner auf die Liste gesetzt, sich nicht nur auf den Neubau konzentrieren wird. Er fordert in der Standpunkte-Ausgabe des Münchner Forums, die in dieser Woche zum Thema herauskam, die Planung der neuen Großmarkthalle als Chance für Untersendling zu begreifen, sich keinen "Fremdkörper" ins Viertel zu setzen, sondern städtebauliche Ziele und Wünsche zu definieren und zu verfolgen. Castorph plädiert sogar dafür, das Quartier um den Gotzinger Platz zur neuen Mitte Sendlings zu machen.

Auch ein weiterer Redner, Franz Schiermeier, ist Architekt, wenn auch derzeit mehr Verleger und aktiv in der Geschichtswerkstatt Ludwigsvorstadt-Isarvorstadt und im Münchner Forum. Er bereitet eine Ausstellung über den Großmarkt vor, die in Zusammenarbeit mit der Sendlinger Kulturschmiede entstanden ist, und spricht über den Großmarkt als Beitrag zur Stadthygiene und Daseinsfürsorge. Er ist nicht Mitglied der Initiative, freut sich aber, dass sie Bewegung in das Thema Großmarkt bringt.

Was Schiermeier nicht gefällt, ist die Absicht des Stadtrats, den Großmarktbetrieb in private Hände zu geben. Gerade zu Corona-Zeiten zeige sich, dass man als Stadt die Elemente der Daseinsfürsorge nicht aus der Hand geben solle, urteilt er. Das sei schon vor 135 Jahren Intention der Stadt München gewesen, die auf Anregung des Hygienikers Pettenkofer die Kanalisation, die Wasserversorgung und mit einem eigenen Großmarkt und Schlachthof eben auch die Lebensmittelversorgung ausbaute, sagt Schiermeier. "Erst dadurch konnte sich München zur Großstadt entwickeln."

Als Architekt vermisst auch er eine großflächige Planung seitens der Stadt, einen Ideenwettbewerb. Es gehe schließlich um ein "gigantisch großes städtebauliches Unternehmen", eigentlich entstehe dort ein eigener Stadtteil, der sich an bestehende Sendlinger Strukturen anschließen müsse. Man müsse angrenzende Großprojekte wie das Heizkraftwerk oder die Ausweichhalle für die Philharmonie einbeziehen.

Auch der Vorsitzende des Bezirksausschusses (BA), Markus Lutz (SPD), hätte gerne eine städtische Planung aus einem Guss, am besten soll sie die Gleisharfe integrieren und den Großmarkthallen einen Bahnanschluss sichern. Der Bezirksausschuss fordert seit rund zehn Jahren einen Workshop, damit die Anwohner frühzeitig in die Planung des Geländes einbezogen werden, doch die Mittel dafür hat die Verwaltung bislang nicht freigegeben. Der BA hat nun die Bürgerinitiative mit 10 000 Euro unterstützt. "Die BI will da Schwung reinbringen, auch die Referate ankurbeln. Es ist schön, wenn was vorwärtsgeht."

"Sendling setzt Segel. Infoveranstaltung: Was wird aus dem Großmarktgelände?" kann man im Live-stream auf YouTube am Donnerstag, 24. September, von 18.45 Uhr an unter dem Link https://youtu.be/WIB2Sztq-6o verfolgen. Der Link wird nach der Veranstaltung gelöscht.

© SZ vom 23.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: