Sendling:Doppelter Dissens

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Wohl gestimmt: Der Tafelchor an der Großmarkt-Essensausgabe. (Foto: Kulturraum/oh)

Lokalpolitiker verweigern Kreativprojekt einen Zuschuss, weil im Gremium behauptet wird, zwischen den Kooperationspartnern herrsche Uneinigkeit. Eine öffentliche Richtigstellung gestattet die Mehrheit nachträglich nicht

Von Birgit Lotze, Sendling

Normalerweise bekommen die Verhandlungen um Zuschüsse, die Bezirksausschüsse Initiativen und Vereinen für Stadtteil-Projekte gewähren, kaum Beachtung in der Presse. Doch diesmal ist ein beim Kulturreferat angesehener Verein, der Kulturraum München, mit einem Antrag vor dem Sendlinger Bezirksausschuss (BA) auf eine Art und Weise gescheitert, die bei Betroffenen Fassungslosigkeit ausgelöst hat.

Der Kulturraum München sieht seine Aufgabe darin, Bürger mit geringem Einkommen mit kreativen und kulturellen Angeboten zum Mitmachen zu bewegen, sie sollen die Gelegenheit bekommen, am Kulturbetrieb teilzunehmen. Das macht Kulturraum einerseits mit kostenfreien Theaterkarten, andererseits durch kreative Aktionen. Eben so eine hat er auch vor der Tafel in der Großmarkthalle vor: Die Künstlerin und Pädagogin Birgit Bode sollte dort während der Ausgabezeiten die Tafelgäste zu schöpferischen Arbeiten einladen und sie gezielt anleiten, diese selbständig weiterzuführen.

Basteln und in der Schlange warten? Passt das zusammen? Mag man, wenn man auf dem Friseurstuhl sitzt, dass jemand versucht, einen zu bespaßen? Solche Fragen stellte man sich im BA schon im August. Der Antrag wurde abgelehnt. Anlass waren die Aussagen einer Stadtviertelpolitikerin der SPD, die sich bei einer Essensausgabe der Tafel über das Projekt informiert hatte. Sie tauschte sich mit Personalchef Axel Schwaiger, der auch Leiter der Verteilstelle in der Großmarkthalle ist, und mit Nikolaus Schön vom Kulturraum-Team aus. Und sie hatte sich, eigenen Aussagen zufolge, auch einen Eindruck von einem Musikprojekt mit Kindern ("Experimentieren mit Drei- bis Siebenjährigen") verschafft, das der Kulturraum und die Tafel mit Finanzierung des Kulturreferates bereits seit über einem Jahr an der Großmarkthalle durchführen. Sie kam zu dem Schluss, dass das Kreativprojekt wohl wenig hilfreich für die Betroffenen sei und die Tafel-Helfer durch solche Aktionen eher gestört würden; sie sprach von einem "Dissens" zwischen Tafel und Kulturraum.

Die Grünen haben in dieser Woche den Antrag noch mal auf die Tagesordnung gesetzt. Er sei unter falschen Voraussetzungen abgelehnt worden, argumentierten sie. Sie konnten sich nicht durchsetzen. Die SPD stellte mit Unterstützung von CSU und FDP einen Geschäftsordnungsantrag (GO-Antrag) auf Ende der Debatte und einen Antrag auf Nichtbefassung. Ihre Begründung: Der Antrag sei bereits behandelt. Die Grünen nutzten die ihnen zugebilligte Gegenrede noch dazu, das unterstützenswerte Engagement des Kulturraums hervorzuheben und für einen Appell, "ohne ideologische Scheuklappen solche Projekte gleichmäßig zu fördern". Doch da war das Thema bereits vom Tisch.

Der Tafel-Chef und Sendlinger Bürgerpreisträger Axel Schwaiger sowie Nikolaus Schön, die in der Versammlung zugegen waren, konnten kaum glauben, dass das Anliegen so abgeschmettert wurde. "Bei uns gibt es keinen Dissens", sagt Schwaiger. "Doch wir haben gar keine Gelegenheit bekommen, dieses Missverständnis aufzuklären." Niemals habe er gesagt, dass die Münchner Tafel sich belästigt fühle durch die Aktivitäten des Kulturraums. "Im Gegenteil, sie sind eine Bereicherung." An der Tafel ständen viele Menschen mit verschütteten Talenten an - auch Kinder mit verborgenen Fähigkeiten, die in dem Projekt entwickelt würden. Durch den Kulturraum bekämen sie die Möglichkeit, sich auszuprobieren.

Die Tafel habe ja mit dem Kulturraum Erfahrung, sagt Schwaiger: Es gebe bereits das sehr schönes Musikprojekt. Daraus habe sich der Tafel-Chor gebildet, der freitags ab und an eine Einlage an der Essensausgabe zum Besten gebe. Beim Kinderprojekt am Samstag werde vor allem getrommelt. "Es ist wunderschön, wenn Menschen, die sich sonst nichts trauen, sich plötzlich öffnen", so Schwaiger. Er könne zwar nicht beurteilen, inwieweit die Höhe der Geldmittel, die beantragt waren (4200 Euro), gerechtfertigt seien. Doch es wäre schön, ein zweites Projekt einzuleiten für diejenigen, die vielleicht weniger musikalisch seien, aber fingerfertig.

Die Kulturraum-Projekte dienten keinesfalls rein der Bespaßung, sondern sollten "ein bisschen wachrütteln zum Mitmachen", sagt Nikolaus Schön vom Kulturraum. Es habe ihn sehr geärgert, wie in den Sitzungen über die Projekte gesprochen wurde. Ausgerechnet in Sendling, dort wo die Kultur-vor-Ort-Projekte gestartet seien. Parallel hat Kulturraum auch Anträge in Moosach und in Neuhausen-Nymphenburg gestellt - in Moosach für eine kreative Schreibwerkstatt im Kaufhaus Diakonia, in Neuhausen ebenfalls für eine mobile Kreativwerkstatt bei der Tafel beim Import-Export. Beide Projekte wurden sofort bewilligt. "Der Sendlinger BA ist der einzige, der uns nicht zur Kenntnis nimmt." Schön hat angekündigt, dass er noch einmal einen Antrag stellen möchte. "Wir wollen zumindest das Projekt korrekt darstellen", sagt er.

BA-Chef Markus Lutz (SPD) wirkt nach der Sitzung nicht wirklich zufrieden, zumal Anja Berger (Grüne) heftige Kritik am Prozedere übt. Die Abstimmung sei keine gegen die Tafel gewesen, auch richte sie sich nicht gegen den Kulturraum, sagt Lutz. Aber nach zwei Ausschüssen - auch der Ausschuss für Budgetangelegenheiten sei befasst gewesen -, sei die Mehrheit der Meinung gewesen, dass genug diskutiert worden sei. Klar sei so ein GO-Antrag auf Ende der Debatte auch "ein politischer Trick", der angewandt werde, wenn jemand den Eindruck habe, es sei genug diskutiert worden. Da er eingebracht wurde, seien ihm als Vorsitzenden rechtlich die Hände gebunden gewesen, er habe keine Wortmeldung mehr zulassen können. Lutz hält zwar fest, dass der Begriff "Dissens" auf ein Missverständnis zurückzuführen ist. Das ändere jedoch nichts, denn auch inhaltlich habe der Antrag auf Förderung keine Mehrheit gefunden. "Er war nicht überzeugend und das Projekt nicht passend".

© SZ vom 17.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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