Sendling:Aufatmen am Mittleren Ring

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Weg mit Aussicht (v. li.): Charlotte, Frederik, Judith Mall, Isidor, Eva Wittl und Til Schönecker wollen Verbesserungen in Neuhofen anstoßen. (Foto: Claudia Stäuble/oh)

Im Viertel Neuhofen wollen sich die Bewohner nicht länger damit abfinden, dass ihnen der Autoverkehr die Lebensqualität nimmt. Sie fordern, dass die Stadt Abhilfe schafft und den Fußgängern mehr Sicherheit bietet

Von Birgit Lotze, Sendling

Ja, ein bisschen unwirtlich sei die Lage schon, sagt Til Schönecker. Er wohnt in Neuhofen, an der Engelhardstraße in dem kleinen Sendlinger Viertel. An ihrem Südende verläuft ein schmaler Weg. Es würde idyllisch wirken, wenn er nicht entlang des Mittleren Rings verliefe, hoch oben, während unten die Autos aus dem Brudermühltunnel strömen und dröhnen. Ohne Lärmschutz. Richtung Osten sieht oder erahnt man die Neuhofener Parkanlagen, 7,5 Hektar Naherholung. Allerdings gilt es zunächst acht Fahrspuren zu überwinden, möchte man ins Grüne. "Eine Barriere", sagt Schönecker.

Die Gegend um die Engelhardstraße ist eines der Areale in München, wo man nachspüren kann, was die Autopolitik der vergangenen Jahrzehnte für Folgen hat. Es gibt viel Belastung, aber keinen Ausgleich. Kein Lärmschutz, die Emissionen aus dem Auspuff verteilen sich in der Gegend. Und man ist ein bisschen wie eingekesselt, auch im Norden des Neuhofener Viertels, auf der Albert-Roßhaupter-Straße, zieht der Verkehr mehrspurig durch. In der Engelhardstraße selbst gilt Tempo 30, die Begrenzung bemerken die Autofahrer, die gerade noch auf einer großen Straße unterwegs waren, aber häufig nicht.

Das schnelle Fahren vor der Haustür stört selbst die Anwohner, die sich an den Verkehr halbwegs gewöhnt haben. Einige junge Familien haben deshalb eine Initiative angestoßen, sie wollten die "Gefahren herausnehmen", wie Til Schönecker sagt. Das Thema kam mehr oder weniger von alleine auf, man kennt und trifft sich im Haus, eigentlich sind es sogar drei Häuser, ein Leben im Kessel stärkt wohl auch die Hausgemeinschaft. Sie wollten auch mal ihre Kinder rauslassen können, das war ihnen immer wieder ein Anliegen. "Unter Freunden", sagt Til Schönecker, vier Familien mit Kindern, sechs, sieben, zehn, 14 und 20 Jahre alt, sei die Idee entstanden, sich im Viertel umzugucken, wo man die Gefahr herausnehmen könne, ohne viel Aufwand. "Es muss ja nicht unbedingt hier viel gefährlicher sein als anderswo in München." Entstanden ist ein Plan, der in dieser Woche in Form von sechs Anträgen an den Bezirksausschuss (BA) gelangte. Alle wurden einstimmig angenommen.

"Der gesamte Bezirksausschuss sieht den Bedarf an Verbesserungen in Neuhofen", kommentierte Dagmar Irlinger (Grüne), die Vorsitzende des Unterausschusses Öffentlicher Raum, Mobilität, Gewerbe, der als Erstes mit dem Thema befasst war. Alle wüssten Bescheid: Bei einer Ortsbegehung im Mai seien fast alle Fraktionen vertreten gewesen. Immer wieder hätten Bürger den Verkehr beklagt und punktuell Verbesserungen gefordert. Die sechs Anträge, die nun verabschiedet wurden, seien als Gesamtkonzept zu sehen und könnten übergeordnet für mehr Aufenthaltsqualität sorgen.

In den Anträgen geht es meist um eine Verbreiterung des Gehwegs, um Bürgersteigabsenkungen, um erkennbare Wegeführungen, auch um "Gehwegvorstreckungen", die Fußgängern die Sicht erleichtern. Teil dieses Gesamtkonzepts könnte die Querungshilfe werden, die zum Beispiel an einer schlecht übersichtlichen Stelle an der Eberhardstraße die Möglichkeit bieten soll, ungefährdeter zu dem kleinen Fußweg oberhalb des Mittleren Rings zu kommen. Die Kreuzung der Engelhard- mit der Sylvensteinstraße, für die Anwohner eine wichtige Verbindung zum Harras, wird in den Plänen an allen Ecken gesichert: Autospuren werden schmaler, es gibt durchgehende Fahrradwege, Fußgänger bekommen mehr Platz. Die Alternative könnte auch ein Minikreisverkehr sein, das seien die mit einem Durchmesser von 13 bis 22 Metern, schlägt Antragsteller Til Schönecker für diese Kreuzung vor.

Auch die Neuhofener Parkanlagen könnten mit zwei Querungshilfen für Fußgänger leichter erreicht werden, was auch die Stadt befürwortet. Die Familien-Initiative hat zwei Abbiegespuren von der Plinganser- in die Brudermühlstraße markiert. Die an dieser Stelle schnell fahrenden Autofahrer seien nicht auf Fußgänger an der Stelle vorbereitet. Und Fußgänger sähen die Autos, die vom Süden kommen, oft sehr spät.

Die anderen Anträge beziehen sich auf kleinere Verbesserungen: Beim Trafohäuschen südlich der Wertstoffcontainer soll man eine E-Auto-Ladestation mit zwei bis vier Anschlüssen einrichten, vier Autoparkplätze sollen weichen und zu Fahrradplätzen umgestaltet werden. Insgesamt sechs Bäume sollen im Viertel helfen, die Luftqualität zu verbessern, jeweils einer an der Karwendel- und Sylvensteinstraße, vier in der Engelhardstraße.

Mit einer großflächigen Begrünung oder sogar mit Lärmschutz ist nach dem Konzept im Viertel also nicht zu rechnen. Es gehe darum, Gefahren herauszunehmen, wie Til Schönecker immer wieder betont. Man wolle einfach mal Impulse setzen. Vielleicht entwickle sich daraus ja eine richtige Bürgerinitiative, die den Prozess weitertreibe, mit Website und allem. Vielleicht werde man irgendwann ein grünes Band spannen über den Ring - bis hin zum Heckenstallerpark. "Vielleicht ist das hier dafür der erste Schritt."

© SZ vom 11.06.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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