Schwanthalerhöhe:Hört die Signale

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Die Stadt will das "Haus mit der roten Fahne" selbst nutzen. Der Verlag "Das freie Buch" und die Druckerei, seit 38 Jahren an der Tulbeckstraße und die letzten Zeugen der Arbeiterbewegung im Westend, müssen ausziehen

Von Andrea Schlaier, Schwanthalerhöhe

Auf dem eisernen Trumm klebt noch immer ein DDR-Aufkleber mit Hammer, Zirkel und Ährenkranz. Wenn der alte Polygraph der Volkseigenen Druckmaschinenwerke Leipzig anspringt, schnauft der tonnenschwere Koloss wie eine alte Dampflok, das eigene Wort ist kaum noch zu verstehen. "1. Mai - Kampftag der Arbeiterklasse" oder "Volksfront statt Mietwucher"steht auf glühend- roten Plakaten, die die Rotation verlassen. In der Hinterhof-Druckerei schlägt seit 38 Jahren das Herz eines politischen Maschinenraums, der, wenn man so will, organisch hervorgegangen ist aus dem einstigen Arbeiterviertel Münchens: der Schwanthalerhöhe.

An der Tulbeckstraße 4f hat der Verlag "Das Freie Buch" samt Druckerei seinen Sitz und veröffentlicht Literatur der Arbeiterbewegung, Schriften des Marxismus, Leninismus, Bücher und Broschüren "für den antifaschistischen und antimilitaristischen Kampf" und obendrein sämtliche Publikationen des Arbeiterbundes für den Wiederaufbau der KPD, der dort auch seinen Treffpunkt hat. Und weil man wirtschaftlich überleben muss, werden außerdem Romane, Dokumentationen, Visitenkarten, Flyer aller Art gedruckt.

Unter dem Dach des Eck-Häuschens findet sich neben einer Bibliothek mit linker Literatur außerdem der Sitz des Vereins des Arbeiterschriftstellers August Kühn und der Stützpunkt der Agitprop-Gruppe "Roter Wecker". Über der Eingangstür flattert ein Stück Stoff, das der Adresse einst ihren Namen gab: "Das Haus mit der Roten Fahne." Die Stadt, der die Immobilie inzwischen gehört, will das Banner bis Jahresende einholen. Eine "städtische Gemeinbedarfseinrichtung" solle hier entstehen. Was genau das sein wird, kann im Rathaus kein Mensch erklären.

Der Widerstand im Viertel läuft bereits auf Hochtouren. "Man muss nicht mit allem einverstanden sein, was im Haus mit der Roten Fahne politisch passiert", differenziert Sarah Seeßlen von den Grünen im Bezirksausschuss, "aber das ist ein Stück Westend-Kultur und -Geschichte, das erhalten werden muss." SPD-Fraktionssprecher Willy Mundigl spricht von der Druckerei als einem "der ältesten Gewerbebetriebe im Westend, es wäre eine tragische Sache, wenn der gehen müsste".

Damit es nicht so weit kommt, klappern der junge Verlagsangestellte Julian Mühlbauer, Wolfgang Smuda, Gründungsmitglied des August-Kühn-Vereins, und Genossen derzeit alle möglichen Stationen ab - auch den Bezirksausschuss. Smuda, 68, sieht man regelmäßig mit einem Rettungs-Banner und Unterschriftenliste vor dem Tengelmann-Markt im Westend oder bei einem kleinen Demo-Zug durchs Quartier. Gefühlt an jedem Laternenmast, jedem Parkautomat oder Stromkasten kleben Protest-Zettel, die um Unterschriften für den Erhalt der "Roten Fahne" werben. "Etwa 1000 Unterschriften haben wir inzwischen zusammen", überschlägt Julian Mühlbauer.

Wer will, kann den 33-jährigen promovierten Historiker Mühlbauer aber auch in der Druckerei treffen. Auch Smuda - phänotypisch ein freundlich-lächelnder Karl Marx nach Friseurbesuch - ist oft da. Vorbei am schweren DDR-Polygraphen und einem Laufband, das Verdi-Flyer broschiert, führen die beiden in eine Welt, die optisch so standhaft in den Sechzigerjahren verharrt, als handle es sich hier um ein Museum. Erste Station: Propaganda-Schleuse. Plakate pflastern die Wand, rufen auf zum "Thälmann-Umzug", zum Antikriegstag 1983, zum Sozialismus als Ausweg aus dem Kapitalismus. Auf den ersten Stufen des hölzernen Stiegen-Aufganges hängt ein verblichenes lichtrosa Stück Stoff mit Hammer und Sichel. "Das ist die selbst genähte, damals noch rote Fahne, mit der die Berliner Arbeiter 1945 der Roten Armee entgegen gegangen sind", erzählt Mühlbauer. Zweite Station: die Bücherei im ersten Stock. Auf den umlaufenden zimmerhohen Bords findet sich alles: von Mao Tse-Tungs "Rede auf der Landeskonferenz der KP Chinas über Propagandaarbeit" bis zu Wladimir Iljitsch Lenins "Die große Initiative". Zuletzt wurde an der Tulbeckstraße eine Biografie von Karl Marx als Jugendbuch gedruckt. An der Seite überm Türstock wacht Wladimir Iljitsch persönlich als Büste über den Raum. Gegenüber eine Wand mit Publikationen von August Kühn, Bertolt Brecht.

"Wir wollen die Geschichte der Arbeiterbewegung zugänglich machen und bewahren", erklärt Mühlbauer, politisch bei der sozialistischen Jugend Deutschland groß geworden, an einem riesigen Tisch zwischen den Buchregalen. Klar, man könne solche Werke noch in einer Staatsbibliothek finden, "aber da hat halt auch nicht jeder die Möglichkeit". In den Räumen hat die Brecht-Tochter Hanne Hiob einst szenische Lesungen geprobt, August Kühn ist gekommen, um in Ruhe und fernab der eigenen Kinderschar seine Bücher zu schreiben - darunter "Zeit zum Aufstehn", sein berühmtestes, in dem er die Lebensverhältnisse seiner Vorfahren auf der Schwanthalerhöhe beschreibt. Das Proletarier-Epos erschien 1975 und wurde vom ZDF verfilmt. Im Haus treffen sich die Mitglieder des 1996 verstorbenen Autors, aus dessen Feder auch "Die Sendlinger Mordweihnacht" stammt, und laden zu Veranstaltungen. "Die Bücherei und die kleinen Büros nebenan", sagt Wolfgang Smuda, "sind ein politisches und kulturelles Zentrum". Das dürfe nicht auch noch der grassierenden Gentrifizierung weichen.

Mit seinem Verlag hat Stephan Eggerdinger den Treff vor 38 Jahren an der Tulbeckstraße 4f manifestiert. Der gelernte Volkswirt gründete den Verlag einst, "damit die demokratische Bewegung selbständige Handlungsmöglichkeiten in Form von Druckereien hat". Und zwar in Münchens Arbeiter-Gegend schlechthin. Hierher kamen die Menschen, seit die Eisenbahn von 1840 an zwischen Augsburg und München verkehrte. Zunächst aus Niederbayern, Franken, Österreich und später als sogenannte Gastarbeiter vor allem aus Griechenland. Und das aus dem immer gleichen Grund: Es gab Arbeit. Ob beim Beladen von Gütern am Hauptbahnhof, beim Augustinerbräu an der Landsberger Straße oder später bei den Gummiwerken von Metzeler an der Trappentreustraße. Dort fanden sie erschwingliche, aber erbärmliche Behausungen in dunklen Hinterhöfen. Hier politisierten sie sich wegen karger Löhne und übler Lebensbedingungen.

Eggerdinger hat sich mit seinem Verlag im Westend immer daheim gefühlt. Daran änderte sich auch nichts, als in den Achtzigerjahren die Münchner Gesellschaft für Stadterneuerung (MGS), eine hundertprozentige Tochter der Stadt, das "Haus mit der Roten Fahne" von einem Privatmann kaufte und zusicherte, das Mietrecht für den linken Verleger zu erhalten. "Seit 1998 hieß es dann immer mal wieder, dass das Haus sozusagen als i-Tüpfelchen der Westend-Sanierung abgerissen werden würde", erzählt Eggerdinger. Im Zuge der städtebaulichen Sanierung verschwanden nach und nach Gewerbe und Handwerk aus den Hinterhöfen, um Platz für Grün zu schaffen - Kritiker sagen, um die Gegend glatt zu bügeln. "Wir wussten jedenfalls nie genau, wie wir dran waren", erzählt Stephan Eggerdinger. Deshalb habe er versucht, das Haus zu kaufen, der Vertrag sei bereits unterschriftsreif gewesen. Das vereitelte im Dezember 2011 ein CSU-Stadtratsantrag mit der Begründung, dass die Druckerei zu laut sei und der Verlag sich für den Wiederaufbau der Deutschen Kommunistischen Partei stark mache. Das Gebäude solle stattdessen für Wohnzwecke umgestaltet werden.

Es sollte lange viereinhalb Jahre dauern, dann beschloss der Stadtrat im September 2015, das Haus nicht an Eggerdinger zu verkaufen; Planungs- und Sozialreferat sollten eine andere Nutzung prüfen. "Das Ergebnis kenne ich bisher nicht", sagt Ulf Millauer, MGS-Geschäftsführer, "ich weiß nur, dass an der Stelle kein Gewerbe bleiben soll." Auch die städtischen Referate bleiben eine konkrete Antwort schuldig. Fest steht allein, dass Eggerdinger Ende 2016 raus muss.

Der 65 Jahre alte Verleger verweist darauf, dass es in nur einem Fall Lärm-Probleme gegeben habe; das sei Vergangenheit. Er will das Haus als kulturelles und soziales Zentrum der Arbeiterbewegung auf der Schwanthalerhöhe erhalten - entweder durch Erwerb von Grundstück und Immobilie mit 300 Quadratmetern Fläche oder alternativ mit einem langfristig geschützten Mietvertrag und der Fortführung des bisherigen Nutzungskonzeptes. Dafür müsste der Stadtrat seinen Beschluss aber wieder aufheben.

Politisch unterstützt eine entsprechende Petition - im Internet zu finden unter www.haus-mit-der-roten-fahne.de - nur der Bezirksausschuss. Man sieht in Druckerei und Verlag ein Denkmal der Münchner Arbeiterbewegung und will nicht auch noch dieses Gewerbe aus der Mitte des Viertels vertreiben. So sehen es auch etliche Nachbarn, berichtet Mühlbauer: "Obwohl viele nicht mit dem einverstanden sind, was wir politisch machen, sagen sie gleichzeitig, dass wir und die politische Richtung trotzdem zum Viertel gehören."

© SZ vom 14.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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