Schwanthalerhöhe:Hinter den Dünen

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Der "Quartiersplatz Theresienhöhe" ist eine surreal anmutende Spiellandschaft über den Gleisen

Von Andrea Schlaier, Schwanthalerhöhe

Sie taucht unvermittelt auf wie die Oase in der Wüste, doch wie lange man sich auch die Augen reibt: Diese Fata Morgana verschwindet nicht wieder. Menschen, die auf dem Radl-weg, der Bavariapark und Westpark miteinander verbindet, erstmals angestrampelt kommen, können nicht anders als anhalten, absteigen, sich vorsichtig nähern. Wer sich auskennt, weiß, dass unter der Schneise, die sich hier zwischen flankierenden bunten Neubautürmen unvermittelt auftut, Züge unablässig zwischen Rosenheim und München pendeln. Wer sich nicht auskennt, ist überzeugt: Die Stadtwüste lebt - auf höchst artifizielle Art. Auf dem sogenannten Bahndeckel im Südteil der Theresienhöhe hat die Stadt 2010 für neun Millionen Euro einen Spielplatz gebaut, der einer 300 Meter langen und 50 Meter breiten Kunstlandschaft gleicht. Auch wenn's nicht unbedingt danach aussieht: Betreten ist erlaubt.

Es ist einer dieser sehr warmen Frühlingstage und ganz vorne, zum Max-Hirschberg-Weg hin, sitzt eine junge Mutter mit ihrem Kind in, jawohl, den Dünen. Nur der Oberkörper der beiden ist zu sehen. Die Beine verschwinden in einer breiten, mit Sand gefüllten Kuhle. Die Düne sieht nur aus wie Düne - ist aber Kunststoff. Der Bahndeckel darunter, eine Betonplatte, könnte tonnenschweres Streugut schlichtweg nicht stemmen.

Die empfindliche Statik des Bauwerks stellte die Projektplaner einst vor ungewöhnliche Herausforderungen. Hohe Aufbauten, Rutschen, Schaukeln, Erde und große Bäume waren als Ausstattung ausgeschlossen. Deshalb hat die Stadt für die Gestaltung des Quartierplatzes Theresienhöhe - so der offizielle Name - 2010 weniger auf Natur- als auf Kunstlandschaft gesetzt. In einem eigens ausgelobten Wettbewerb machte das Team der Kölner Künstlerin Rosemarie Trockel das Rennen, die Architektin Catherine Venart aus Halifax und die Berliner Landschaftsarchitekten Topotek 1. Heraus kam eine "bespielbare Landschaftsskulptur".

Fragt man jene, die das schienengleich lang gestreckte Band täglich nutzen, stehen zwei Punkte ganz oben auf der Mängelliste: Auf den 1,7 Hektar fehlen eine öffentliche Toilette und Schatten. Der zu schwache Bahndeckel, das ewige Argument. Gerade das nicht existierende Klo stellt die Besucher vor besondere Herausforderungen. Vor allem diejenigen, die's regelmäßig zu den in den Dünen versenkten Minitrampolinen zieht.

Die federnden Netze sind bei sämtlichen Altersgruppen beliebt und ein surrealer Hingucker obendrein. Wie aus dem Nichts hüpfen hier große und kleine Menschen in die Höhe. Dong, dong, dong. Mitmachen empfiehlt sich aber eben ausschließlich mit geleerter Blase. Auch im Bezirksausschuss Schwanthalerhöhe haben sie schon zigfach gemahnt, dass das kein Zustand sei. Trinken und kaufen könne man auf dem Spielfeld auch nichts. Die Politiker der Schwanthalerhöhe liebäugeln deshalb neuerdings mit einem Kiosk samt WC an der nordwestlichen Ecke des Bahndeckels, die erscheint ihnen tragfähig genug. Entschieden ist noch nichts.

Und gewachsen ist auch nicht viel. Hier kriecht an sommerlichen Tagen nahezu die komplette elterliche Begleitung unter den spärlichen Sonnenschutz, den auf dem gesamten Areal ausschließlich ein paar junge Platanen am südlichen Rand zu spenden in der Lage sind. Alles andere ist hier auf die Dauer heiße Platte.

"Heeee. . . !" Ein Mädchen flitzt mit dem Laufrad von einer der grünen Rampen am östlichen Ende des Bahndeckels geradewegs vor die Füße von zwei Buben, die mit dem Ball unterm Arm aufs Gelände schlendern. "Nein, Lena, hier fährst du nicht", ruft die Mutter der Kleinen von einer der Bänke zu, die bei den schlanken Bäumen aufgestellt sind. Die Buben biegen irgendwo in einen der Innenhöfe ab, die Landschaftsskulptur taugt nicht zum Kicken. Weder der Schein-Sand-Boden noch die grüne Rampe mit Kunstrasen, auf der einsam Turnböcke wie eine Kuh-Herde in der Gegend stehen.

Eine Kindergeburtstags-Clique rennt aufs Terrain, Müller mit der Rückennummer 25 vorneweg. Und stopp. Einer faltet einen Zettel auseinander, liest langsam vor: "Auf die Brücke, auf der man Zugführern zuwinken kann." Ein allgemeines "ich weeeeiß" - und weg ist die Partygesellschaft. Später sieht man sie wieder hinter den Dünen auftauchen bei den quer liegenden mammuthaften Kletterwesen, die wie vor Urzeiten gestrandete Dinosaurier über der Fläche liegen.

Die Sonne brennt, und wenn man sich wieder am Max-Hirschberg-Weg auf den Sattel schwingt und zurückblickt, liegt sie noch immer da, die artifizielle Fata Morgana für Großstadtkinder.

© SZ vom 21.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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