Schwanthalerhöhe:Happy End in Sicht

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Als SPD und CSU im Rathaus regierten, sollten die Nutzer aus dem linken Spektrum ihr Haus mit der roten Fahne verlassen, der Streit landete vor Gericht. Nun deutet einiges darauf hin, dass die neue grün-rote Mehrheit einlenkt

Von Andrea Schlaier, Schwanthalerhöhe

Es gab ein exaktes Datum für die Erfüllung der Sehnsucht: den Tag der Stadtratswahl am 15. März 2020. Denn sollte dann die SPD im Münchner Rathaus wieder mit den Grünen gemeinsame Sache machen, so hofften Vertreter des Hauses mit der roten Fahne im Westend, könnten sie doch bleiben, wo sie mit ihrem Verlag "Das Freie Buch", der Druckerei und dem Treffpunkt für Arbeiterkultur seit 40 Jahren logieren: im kleinen Hinterhof an der Tulbeckstraße. Denn aus politischen Motiven, das war immer die Überzeugung der weit links ausgerichteten Nutzer-Gruppe, sei ihnen Ende 2016 die Räumungsklage für die städtische Immobilie geschickt worden - veranlasst durch die CSU/SPD-Mehrheit im Rathaus.

Nun ist die Wahl vorbei, Grüne und SPD sind am Ruder, und in nichtöffentlicher Sitzung votierte vergangene Woche ihre Mehrheit des Stadtrats mit der Linken dafür, eine einvernehmliche Lösung mit der Rote-Fahne-Gruppe zu finden, auf dass sie weiter im Haus bleiben kann. Großes politisches Auslöffeln.

Offiziell ist von der Sitzung hinter verschlossenen Türen auf Anfrage auch eine Woche danach nur eine dürre Notiz zu bekommen. "Es wurden in der Sitzung Wege aufgezeigt und beschlossen, um eine einvernehmliche Lösung mit dem Verlag zu finden", ", lässt einzig der Sprecher des Planungsreferates, Ingo Trömer, wissen. Ziel sei es, auf dem Weg eines Vergleichs, "den Verlag am bisherigen Standort zu erhalten und eine Beendigung des Gerichtsverfahrens herbeizuführen". Schließlich streiten der Verlag als Mieter und die Stadt, für die an der Tulbeckstraße die städtische Wohnungsbaugesellschaft GWG die Geschäfte führt, seit dreieinhalb Jahren vor Gericht, ob die Kündigung rechtens war oder nicht.

Schon länger war klar, dass in dem verwinkelten Haus nur schwer Wohnraum zu schaffen ist. (Foto: Stephan Rumpf)

Nach Aussagen mehrerer Teilnehmer der nichtöffentlichen Stadtratssitzung sollen sich GWG und Verlagsvertreter bis nächste Woche einigen, wie nun der Verbleib im Haus genau rechtlich ausgekleidet wird, die Räumungsklage vom Tisch kommt, wer welche Verfahrenskosten trägt. Die Zeit drängt. Für 20. Juli ist der nächste Verhandlungstag am Landgericht München I anberaumt. Allerdings forderte am Donnerstag die Stadtratsfraktion von FDP und Bayernpartei unter dem Motto "Die Stadt hat kein Geld zu verschenken", den Beschluss der grün-roten Mehrheit vom Revisionsamt prüfen zu lassen.

Bei der Diskussion im Stadtrat, so berichten Sitzungsteilnehmer, sei es vor der Abstimmung wieder zu "klassenkämpferischem" Geplänkel gekommen, ähnlich wie 2017 im Stadtrat, als die CSU erklärte, kein Interesse zu haben, "Verfassungsfeinden Räume der Stadt zur Verfügung zu stellen".

Für die CSU war der Fall buchstäblich ein rotes Tuch. In der Tulbeckstraße treffen sich seit 40 Jahren linke Initiativen, zum Beispiel der Verein zum Wiederaufbau der KPD. 2011 gab das die CSU-Stadtratsfraktion unter anderem als Grund in ihrem Antrag an, den bereits unterschriftfertigen Kaufvertrag zwischen Stadt und Verlag, der die Immobilie für seine Zwecke erwerben wollte, zu kippen. Das Gebäude solle stattdessen für Wohnzwecke umgestaltet werden. Der Vorgang gilt vielen als Geburtsstunde des Konflikts.

Ganze viereinhalb Jahre später folgte der Stadtrat 2015 dem Begehr - unter der neuen Rathaus-Combo aus CSU und SPD - und beauftragte eine Nutzungsprüfung. Ende 2016 erreichte die Mieter dann die Räumungsklage mit der Begründung, dass die Stadt den Grund für geförderten Wohnungsbau brauche.

Der Verlag erhob Widerklage, weil "ideologische Überlegungen" hinter dem Rausschmiss stünden. Seit mehr als drei Jahren geht es vor dem Landgericht München I seitdem hin und her: Unterm Strich verlangte der Richter Pläne als Nachweis für den vorgebrachten geförderten Wohnungsbau (sieben Appartements), andernfalls entstehe der Anschein der Willkür, die Kündigung wäre passé. Pläne kamen keine. Stattdessen zog die Stadt einen anderen Nutzungs-Grund aus dem Ärmel: Das Sozialreferat brauche das Eckhaus, um in Koordination mit der eigenen Immobilie an der Westendstraße 35 "Lebensplätze für ehemals wohnungslose Frauen" einzurichten. Der Richter mahnte zum Vergleich. Wie das Planungsreferat mitteilt, könne nach Auskunft des Sozialreferates das Projekt "Lebensplätze" jetzt doch auch ohne das rote Haus verwirklicht werden.

Den Umschwung eingeleitet hat ein Dringlichkeitsantrag von Grünen und SPD-Stadtratsfraktionen im Mai. Darin war eine "einvernehmliche Lösung" gefordert worden, mit dem Ziel, dass die rote Fahne weiterhin über der Tulbeckstraße 4 f flattern darf. Getragen wird die Initiative von vielen Bewohnern der Schwanthalerhöhe und sämtlichen Fraktionen im Bezirksausschuss. Gremiums-Chefin Sibylle Stöhr (Grüne) sitzt neuerdings auch im Stadtrat. GWG und Rote-Fahne-Vertreter setzen sich gerade unter Ausschluss der Öffentlichkeit ins Benehmen - damit alles bleibt, wie's ist. Womöglich hat das Sehnen ein Ende.

© SZ vom 26.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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