Schwanthalerhöhe:Eine Frist zur Güte

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Bei der Verhandlung zum festgefahrenen Streit über "Das Haus mit der roten Fahne" macht der Richter einen Vergleichsvorschlag: Die Stadt soll dem Verlag für den Auszug bis zu fünf Jahre Zeit einräumen

Von Andrea Schlaier, Schwanthalerhöhe

Man wähnt sich auf der Wiesn, am Rande des Teufelsrades. Alles dreht sich im Kreis und jede der Parteien, die sich noch auf der Scheibe hält, vermeidet tunlichst eine falsche Bewegung, um ja nicht aus dem Spiel geschleudert zu werden. Bloß, ein Spiel ist das Geschehen in Saal 212 des Landgerichts München I keinesfalls: Es geht darum, ob der linke Verlag Das Freie Buch GmbH mit Druckerei und seinem ins Westend ausstrahlenden Kulturzentrum nach etwa 40 Jahren sein verwinkeltes "Haus mit der roten Fahne" in einem Rückgebäude an der Tulbeckstraße 4f räumen muss. Und warum.

Ist es so, wie Vertreter der städtischen Wohnungsbaugesellschaft GWG sagen, dass in dem Haus benötigter Wohnraum geschaffen werden müsse? Es geht um etwa sieben Ein- bis Zwei-Zimmerappartements. Eigentümerin ist die Stadt München. Oder will man mit der per Stadtratsbeschluss - inklusive 2017 äußerst klassenkämpferisch geführter Debatte - durchgesetzten Räumungsklage eine politisch unliebsame Gruppe loswerden, zu der auch der Verein zum Wiederaufbau der KPD gehört? Möglicherweise um den Preis eines technisch komplizierten und damit unverhältnismäßig teuren Umbaus von Druckereiräumen? Finanziert mit öffentlichen Geldern?

Die Farbe ist Programm: Das Haus mit der roten Fahne fungiert nicht nur als Verlagssitz und Druckerei, sondern ist seit etwa 40 Jahren auch in das kulturelle Leben des Westends eng eingewoben, wie hier beim Konzertauftakt zur Musiknacht 2017. (Foto: Johannes Simon)

Um diese zugespitzten Fragen drehten sich beide Parteien im Justizpalast bald eine Stunde: der Geschäftsführer des Verlags, Stephan Eggerdinger, samt Anwältinnen auf der einen Seite. Auf der anderen Vertreter der GWG, an die das Haus inzwischen von der Münchner Gesellschaft für Stadterneuerung (MGS) übertragen wurde. Vor einem Jahr hatte Richter Andreas Wiedemann die Räumungskläger mit Zusatzaufgaben heimgeschickt: Die Stadt müsse sich als Eigentümerin bei einem solchen Vorgehen von "sachgerechten Erwägungen leiten lassen", andernfalls handle es sich um willkürliches Verhalten. Es bestehe "sekundäre Beweislast". Die sei bislang nicht erfüllt, weil zwar als Räumungsgrund eine "sozial verträgliche Nutzung für Wohnzwecke" genannt sei, es aber keine planerischen Nachweise gebe.

Ein Jahr und viele Gutachten später sitzt man nun wieder zusammen. Im Publikum 30 Westendler, darunter die Witwe des Arbeiterschriftstellers August Kühn, Riyan Münch-Kühn, und die Bezirksausschuss-Vorsitzende Sibylle Stöhr (Grüne), die später feststellen wird: "Es ist offensichtlich geworden, dass bei der GWG kein Konzept da ist, was hier geplant werden soll." Richter Wiedemann war zu einem ähnlichen Schluss gekommen. Zwar sei in einigen Stellungnahmen inzwischen der "sekundären Darlegungslast" nachgekommen. Aber: "Warum ist es Ihnen bisher nicht möglich, mit der Planung zu beginnen, wenn der politische Wille da ist und Wohnraum gebraucht wird?" Dann ließe sich doch ablesen, ob sich unter wirtschaftlichen Bedingungen sogenannter Konzeptioneller Mietwohnungsbau realisieren lasse. Wenn nicht, könne der Verlag ja im Haus bleiben.

Mittendrin ragt ein alter Walnussbaum auf, der Umbauten nicht leichter macht. (Foto: Johannes Simon)

Mindestens 30 000 Euro koste ein planerischer Wettbewerb, argumentieren die GWG-Vertreter; und man sei verpflichtet, den Sieger dann auch bauen zu lassen. Räume der Verlag das Haus aber nicht, setze man das Geld auch noch "in den Sand". Auch wenn der Umbau vergleichsweise teuer geraten sollte, ließe sich die Miete subventionieren, um auf 12,57 Euro pro Quadratmeter zu kommen. Das Wort von "Luxusbaukosten" macht im Saal die Runde. "Wir kämpfen im Bezirksausschuss alle um Wohnraum," sagt Sibylle Stöhr, "aber doch nicht um jeden Preis".

Richter Wiedemann schickt die Parteien mit einem Vergleichsvorschlag nach Hause: Um einen langwierigen Rechtsstreit durch weitere Instanzen zu vermeiden, könnten die Kläger den roten Verlagsleuten eine großzügige Räumungsfrist bis zu fünf Jahren gewähren, so dass diese Zeit hätten, nach Alternativen zu suchen; derweil könne die GWG mit konkreten Umbauplanungen loslegen. Bis 19. Oktober sollen sich beide Parteien schriftlich erklären; am 31. Oktober fällt das Urteil.

© SZ vom 29.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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