Schwanthalerhöhe:Der sanfte Besessene

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Unvergessen: Pier Paolo Pasolini, hier an einer Hauswand in Monteverde, einem Stadtviertel von Rom. In der Nacht von Allerheiligen auf Allerseelen 1975 war Pasolini in Ostia ermordet worden. (Foto: Matteo Nardone/imago)

Ein Kunstprojekt zu Pier Paolo Pasolini im Köşk

Von Jutta Czeguhn, Schwanthalerhöhe

"Ich bin wie eine Katze, lebendig verbrannt, vom Reifen eines Lastwagens zermalmt, von Halbwüchsigen aufgehängt an einem Feigenbaum, aber immer noch mit mindestens sechs von sieben Leben, wie eine Schlange, die nur noch ein Klumpen Blut, ein Aal, halb zerfressen, die Wangen hohl ...", schrieb Pier Paolo Pasolini in seinem Gedicht "Una disperata vitalità" - eine verzweifelte Vitalität. Sehr ist man versucht, in diesem lyrischen Ich eine Selbstbeschreibung des Dichters zu sehen, eine prophetische zumal, denn Pasolinis Tod scheint jenen Massakern zu ähnlich, für die das Poem grausame Bilder findet. In der Nacht des 2. November 1975 wird er auf einem heruntergekommenen Fußballplatz in Ostia ermordet. Man findet seine verstümmelte Leiche, die offensichtlich mehrmals von einem Auto überrollt wurde.

"Ich lebte lyrisch, wie jeder Besessene" ist ein Projekt übertitelt, das sich Pasolini annähern will mit Auszügen aus Interviews und Zeitungsartikeln, Neuübersetzungen seiner Lyrik, mit atmosphärischer Musik und deutendem Ausdruckstanz. Zu erleben ist das im Kulturraum Köşk des Kreisjugendrings an der Schrenkstraße 8 am Freitag, 21. Februar, 20.30 Uhr, bei freiem Eintritt. Die Interpreten des Abends sind Andrea Gallini (Saxofon, Piano und Gesang, Lesung), Roberta Ragonese und Doris Straßer (Tanz, Perkussion, Lesung) sowie Benedikt Feiten (Cello, Trompete).

Die Künstler wollen die Widersprüchlichkeit dieses brillanten Denkers herausarbeiten, der im Friaul aufwuchs, dort als Lehrer arbeitete, dessen Homosexualität der Pfarrer an die Dorfgesellschaft verriet, in dem er das Beichtgeheimnis preisgab. Daraufhin die Flucht in die Anonymität und das Elend römischer Vorstädte, das er im Roman "Ragazzi di Vita" und in Filmen wie "Accattone" beschreibt. Skandalwerke, die jedoch die Brillanz dieses Intellektuellen, Moralisten und Anarchisten erkennen lassen.

Pasolini legte sich mit allen an. Mit dem Staat, der das Subproletariat sich selbst überlassen hatte, mit den Kommunisten, für die er einmal als Parteisekretär gearbeitet hat, von denen er sich jedoch ebenso verraten fühlte wie von der katholischen Kirche, deren Oberhaupt Johannes XXIII. er jedoch so verehrt, dass er ihm seinen Film "Das erste Evangelium Matthäus" widmet. Ein Exzentriker sei Pasolini gewesen, ein Narzisst, dabei jedoch ein Mann von großer Sanftheit und Menschlichkeit, beschrieb ihn sein Freund, der Schriftsteller Alberto Moravia.

© SZ vom 18.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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