Die Mangafiguren scheinen auf der Stadt zu tanzen. Sie turnen um die Gebäude und Wahrzeichen herum, surfen auf der Welle, genießen den Wind auf den Dächern. Sie eignen sich den Raum an und nutzen ihn für Entfaltung. Das ist München für die Künstlerin Berrin Jost. Das ist es, was sie in ihrem Gemälde darstellen möchte, wenn sie an die Großstadt denkt, die in mancherlei Hinsicht doch sehr klein wirken kann. "Man sagt ja auch, dass München ein Dorf ist, oder?", sagt sie lachend.
Für Jost ist München eine bunte Stadt. Sie sieht in ihr alte und junge Menschen. Menschen aus verschiedenen Ländern, mit verschiedenen Religionen und auch sexuellen Orientierungen. Es ist eine Stadt, in der im Kulturraum Köşk des Kreisjugendrings im Westend eine vom Kulturplanungsbüro "Dükkan" organisierte Ausstellung stattfinden kann, die sich bewusst "Kruzitürkn" nennt. Kuratiert haben die Schau Hilke Bode und Maresa Bucher. Es geht ihnen um Sichtbarkeit und, durch die Aneignung des problematischen und meist als Fluch gebrauchten Wortes, auch um Selbstermächtigung. Denn die Künstler und Künstlerinnen Berrin Jost, Aylin Neuhofer, Timur Lukas und Timur Tokdemir sind selbst zur Hälfte türkisch.
Aber nicht "nur" das. Im Titel steckt zwar eine nationale Zuschreibung, aber sie reduziert die Ausstellenden nicht darauf. So haben einzig die Werke der fünften Künstlerin ohne türkische Wurzeln einen Türkei-Bezug. Mara Pollak beschäftigt sich in Fotografien mit der unter den Folgen des Ilısu-Staudamm-Projekts versinkenden Stadt Hasankeyf (kurdisch: Heskîf). Ihre Themen sind Vergänglichkeit, Staatsmacht und die sozialen sowie ökonomischen Folgen für die aus ihrer Heimat Vertriebenen. An der Wand hängen, als fließende Poster, zwei Bilder eines Lebens vor dem vollständigen Versinken. Eine einzelne rote Blume auf einem Tisch ins Wasser gestellt, und ein weiteres Foto zeigt die Stadt, bevor der Stausee sie sich zu eigen machte. Eingefangene Szenen, die es so wohl nicht mehr geben wird. In scharfem Kontrast sind vor den beiden fließenden Bildern feste Boxen aufgestellt, in denen Fotos von "Neu-Hasankeyf" zu sehen sind. Der Versuch, für diejenigen, die es sich mit der geringen Abfindung leisten können, dorthin umzuziehen, einen Wohn- und Lebensersatz zu bieten. Mara Pollak schafft so ein Gesamtbild, welches beklommen macht und über die Bedeutung des Lebens und Wohnens im Spannungsfeld zwischen individuellen Erfahrungen und politischen Machtmechanismen nachdenken lässt.
Das Individuum mit seinen persönlichen Assoziationen und Erlebnissen steht auch bei Aylin Neuhofer an oberster Stelle. Die Künstlerin verbrachte 21 intensive Tage in einer "Artist Residency" auf Madeira; einem Ort, an dem viele verschiedene Kreative aus aller Welt zusammenkommen und gemeinsam arbeiten. Sie selbst setzte sich das Ziel "one painting a day". Heraus kam eine spannende Komposition, die zwar ihren Ursprung in der Gedankenwelt und den Erlebnissen der Künstlerin hat, den Betrachtern aber viel Raum für eigene Interpretationen lässt. "Da ist nichts selektiert und ausgewählt", erläutert Neuhofer. Die intime und von täglichen Intuitionen geleitete Arbeit hat kein festes Schema. Die einzelnen Bilder sind untereinander austauschbar, das eine muss nicht zwangsweise auf das andere folgen. Die Themen sind, wie der Titel "I love you in every language" andeutet, geprägt vom kreativen Austausch zwischen den verschiedenen Menschen auf Madeira, aber auch von Liebe und Sexualität. So erinnern einige der Darstellungen an eine Vulva oder einen Penis. Aber nicht zwangsläufig. "Ich mag gezielt diese Verschmelzungen und Interpretationen durch verschiedene Auslegungsarten", beschreibt sie ihre Kunst. Am liebsten hat es Neuhofer, wenn Menschen sich trauen, sie direkt nach der Bedeutung der Formen zu fragen und sich nicht schämen dabei, eventuell sexuelle Motive zu erkennen. Denn dies kann zwar sein, muss aber nicht. "Formen wiederholen sich in der Natur", erklärt sie. Diese Mehrdeutigkeit stellt sie auf eine sehr freie und flexible Art und Weise dar.
Varianz und Individualität stechen beim Rundgang durch die Kruzitürkn-Ausstellung besonders hervor. Der Titel gibt eine Richtung vor, die Erwartungen werden durch den Inhalt aber teilweise gebrochen. Denn ja, es geht um Personen mit türkischem Hintergrund, aber nicht nur. Es geht um mehr, wie die Ausstellungsobjekte von Timur Lukas, der sich mit Kindheitserinnerungen beschäftigt, oder die von Timur Tokdemir, der in seiner Video-Installation Kritik an einer medial vermittelten und geschönten Form des Tourismus übt, zeigen. Lukas' Bilder wirken wie durch die Augen eines Kindes wahrgenommen, das stark selektiert und alles in größerem Format erfasst. Alltagsobjekte wie Vasen oder Bäume sind disproportional zueinander dargestellt. Es geht um das Individuum und einen persönlichen Blick auf Formen und Figuren der Kindheit. Tokdemirs Arbeit, die es übrigens auch als Spiel zu kaufen gibt, übt immanente Kritik an einer Urlaubs- und Konsumgesellschaft, welche die eigentlichen prekären Bedingungen der einzelnen Länder außer Acht lässt. Das Werk "Defective Holiday" verbindet dies zu einer verwirrenden Reise.
Eine Reise, auf die auch die Ausstellung führt, welche von Identität erzählt, aber auch eine gesamtgesellschaftliche Perspektive in politischen Spannungsräumen als Aspekte hat. Es geht, wie der Titel nahelegt, um Türkinnen und Türken. Aber irgendwie auch wieder nicht.
Die Ausstellung "Kruzitürkn" läuft noch bis Samstag, 4. Juli, von Dienstag bis Samstag im Kulturraum "Köşk" an der Schrenkstraße 8. Während der Öffnungszeiten von 16 bis 19 Uhr sind die Künstlerinnen und Künstler sowie die Kuratorinnen anwesend.