Kooperation bayerischer Kliniken:Schlaganfall-Behandlung per Kamera

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Je schneller ein Schlaganfall-Patient behandelt wird, umso besser sind seine Heilungschancen. (Foto: Jan-Peter Kasper/dpa)
  • Die Zahl der Schlaganfall-Patienten steigt rasant. Die drei Zentren in Bayern - Großhadern, Ingolstadt und Günzburg - können nur einen Bruchteil der Betroffenen behandeln.
  • Um den Patienten schneller und effektiver helfen zu können, arbeiten die Mediziner via Telemedizin zusammen.
  • Das so genannte "Neurovaskuläre Versorgungsnetzwerk" bietet 17 Kliniken in Südbayern die Möglichkeit, die Experten-Meinungen aus Großhadern einzuholen.

Von Stephan Handel, München

Der Patient ist gar kein Patient, sondern Landrat, weshalb er auch keinen Pyjama trägt, sondern Anzug und Krawatte. Wäre ja auch eine schlechte Nachricht, wenn Anton Speer, erster Mann im Landkreis Garmisch-Partenkirchen, tatsächlich einen Schlaganfall erlitten hätte, was er aber nicht hat.

Vielmehr steht Speer im Krankenhaus seiner Kreisstadt vor einer Kamera, damit er ein paar Dutzend Menschen im Klinikum Großhadern, gut 80 Kilometer entfernt, erläutern kann, wie Nevas funktioniert, das "Neurovaskuläre Versorgungsnetzwerk". Es funktioniert gut, findet der Landrat, weshalb er einen telemedizinischen Gruß nach Großhadern schickt: "Machma weiter so."

Bei Schlaganfall-Patienten gilt: "Time is Brain"

Seit knapp drei Jahren arbeitet Nevas, der echte Landrat wäre als falscher Patient der 2000. vor der Nevas-Kamera gewesen, hätten nicht am Tag zuvor zwei reale Schlaganfälle die Statistik verdorben. Nevas bietet 17 Kliniken in Bayerns Südwesten die Möglichkeit, bei Schlaganfall-Patienten Experten-Meinungen aus Großhadern einzuholen - oder aus Ingolstadt oder aus Günzburg, zwei weitere Kliniken, die als neurovaskuläre Maximalversorger über hohe Expertise auf diesem Gebiet verfügen. Die kooperierenden Kliniken hingegen haben keine oder nur kleinere neurologische Abteilungen.

Schlaganfall-Behandlung ist dringlich - zum einen, weil der Satz gilt "Time is Brain": Je schneller der Patient die passende Therapie bekommt, desto größer ist die Chance, dass er die lebensbedrohende Blutgefäß-Verstopfung im Gehirn ohne bleibende Schäden übersteht. Gerhard Hamann, Chef der Neurologie in Günzburg, berichtet von einer Patientin, die nach weniger als einer Stunde versorgt wurde und am nächsten Tag gesund die Klinik verließ - ein Krankheitsverlauf, dem Mediziner den Namen "Lazarus-Phänomen" gegeben haben, nach der biblischen Figur, die Jesus von den Toten auferweckte.

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Die Zahl der Schlaganfälle steigt

Zum zweiten kommt der Schlaganfall-Behandlung immer größere Bedeutung zu, weil die Zahl der Fälle steigt: Gerhard Hamann sagt, die Prognose für das Jahr 2020 sei bereits 2010 erreicht worden, wenn das so weitergeht, werden die Ärzte 2050 ein Plus von 150 Prozent gegenüber den jetzigen Voraussagen zu versorgen haben. In dem Gebiet, das Nevas abdeckt, ist heute pro Jahr mit 10 000 Schlaganfällen zu rechnen - die drei Zentren Großhadern, Ingolstadt und Günzburg können aber nur 3000 behandeln.

Deshalb soll das dortige Expertenwissen online ins Land hinaus gebracht werden. Wenn also etwa eine der Kliniken in Landsberg, Garmisch, Starnberg oder Fürstenfeldbruck - die Nevas-intern Großhadern zugeordnet sind - einen Patienten hat, der wirksamere Behandlung benötigt, als er dort bekommen kann, dann melden sich die Ärzte in München und können mit ihren Kollegen den Fall diskutieren. Diese haben Zugriff auf alle Daten, auf CT-Bilder, per Videokamera können sie den Patienten auch live in Augenschein nehmen.

Wie das geht, zeigt der Großhaderner Nevas-Koordinator Christopher Adamczyk anhand der Schaltung zum immer noch wartenden Landrat Anton Speer in Garmisch - zum Beispiel könnten sich die Ärzte die Pupillen des Patienten anschauen. Ein Druck auf die Fernbedienung, und tatsächlich zoomt die Kamera in Garmisch ganz nahe ran: auf des Landrats Krawattenknoten.

© SZ vom 05.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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