Schauburg:Blick ins Pubertätswirrwarr

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Das Foyer in der Schauburg ist heller geworden - und einen neuen Kiosk gibt es auch. (Foto: Judith Buss)

Die Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen auf der Bühne? Das hat es in der Schauburg bisher nie gegeben. Doch unter der neuen Intendantin wird vieles anders.

Von Sabine Leucht

Die herzkranke Primula kennt Worte wie "Aortenklappeninsuffizienz", kann aber nichts, das nicht seltsam ist. Adam will das Wesen im Brutkasten nicht akzeptieren, dessen Fabrikation seine eigenen Erzeuger die vergangenen zwölf Jahre beschäftigt hat. Und die wütende Fitz springt lieber in einen Vulkan, als über Verliebtheit zu sprechen, denn ihre Eltern sind frisch getrennt. "Gips oder Wie ich an einem einzigen Tag die Welt reparierte" spielt im Roman von Anna Woltz wie auf der Bühne in einem Krankenhaus. Und dass die Emotionen da Flügel bekommen, wissen nicht nur Fernsehserien-Junkies. Also geht es drunter und drüber in dieser Uraufführung, die Theo Fransz mit schönen Schattenbildern und einem nicht immer sicheren Sinn für die Groteske eingerichtet hat. Damit eröffnet das Theater der Jugend die Spielzeit - und leitet den ersten Intendantenwechsel seit 26 Jahren ein.

Kenner des Hauses werden sich jetzt ungläubig fragen: Es wird Lebensweltliches geboten und ins Pubertätswirrwarr geblickt? So etwas hätte es in der alten Schauburg unter George Podt nicht gegeben. Erst recht nicht mit fast musicalhaften Gesang- und Tanzeinlagen auf der immerhin gewohnt abstrakten Bühne. Und es kommt noch dicker. Denn "Gips" ist nicht das einzige Scheidungsstück, das am Wochenende seine München-Premiere feierte.

Auch in der mobilen Klassenzimmerproduktion "Der unsichtbare Vater", die die neue Intendantin Andrea Gronemeyer aus Mannheim mitbrachte, wo sie 15 Jahre lang die Jugendsparte des Nationaltheaters geleitet hat, geht der bald achtjährige Paul auf die Barrikaden, weil die Mutter einen neuen Freund hat. Und bevor er das tut, grinst Philipp Nicklaus so breit ins Publikum, dass den Liebhaber der alten, dezidiert intellektuellen, jede Form des Herabbeugens zum Kind verachtenden Schauburg kurz Gänsehaut überfällt. Denn dass erwachsene Darsteller Kinder spielen, war unmöglich in der alten Ära, die dann gerne auf Distanz ging zur Rolle und auf Prosatext auswich. Und damit viel Tolles, überregional Beachtetes erschuf, aber manchmal eben auch spröde blieb.

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Doch mit Herabbeugen hat das neue und ganz klar andere Konzept nichts zu tun. Ein kleiner Kulturschock ist es trotzdem. Für "Der unsichtbare Vater" üben drei Schauspieler mit den anwesenden Viertklässlern ein Lied ein: einen Zweizeiler nur, aber mit sperriger Tonfolge. Zur Hälfte ist das Stück Mitmachtheater, zur anderen Hälfte der ziemlich mutige Versuch, Kindern zeitgenössische E-Musik näher zu bringen (Komposition: Juliane Klein). Paul wird von einem waschechten Tenor gespielt, der nie spricht, sondern Passagen einer echten Arie über die Dauer der Aufführung verteilt. Mutter, unsichtbarer Vater und neuer Freund kommunizieren vor allem mit Akkordeon, Saxofon und Percussion-Instrumenten. Fürs ungeübte Ohr ist das Krach, der Kenner erkennt auch Atonales, für Paul markiert das akustische Chaos den Zusammenbruch gewohnter Rituale. Auch wenn noch nicht alles stimmt - bei der Premiere war die Akkordeonistin kaum zu hören -, bleibt festzuhalten: Die neue Schauburg erspart ihrem Publikum die Anstrengung nicht, aber sie reicht den Kinder dabei die Hand.

Und enorm nahbar, jederzeit ansprechbar, auch anfassbar präsentierte sich am Eröffnungswochenende das ganze Haus, das jetzt mit Lila, Knallrot und Gelb Signalfarben trägt und Fotos von Mitarbeitern aller Gewerke an den Wänden hängen hat. Man konnte zum Speed-Dating mit den Schauspielern eines der neuen Sofas im Foyer testen - oder einen Workshop im neuen LAB, das künftig auf der alten Bühne unter dem Dach nur noch für die Kinder und Jugendlichen selbst da ist. Und man lernte in einer Rallye die versteckten Orte des Hauses kennen. Im Intendantenbüro stellte Gronemeyer "eine schicke Jacke", einen Taschenrechner, ihre Stimme, ihre Ohren und einen Füller als ihre wichtigsten Werkzeuge vor. Aber auch ein Modell des jetzt offeneren Foyers samt Kiosk, das auch erkennen lässt, dass noch einige Sessel fehlen.

In der Schneiderei trifft man Peter Künzl und Annette Stöhrer, die in dieser Spielzeit mit ihrer bescheiden wirkenden Nähmaschine eine enorm gewachsene Zahl an Produktionen einkleiden werden. Wie die gesamte Mannschaft hinter den Kulissen sind die beiden schon lange am Haus. Die Aufbruchsstimmung hat auch sie gepackt. Auch Neu-Ensemblemitglied Janosch Fries erzählt davon. Der 25-Jährige, der sich in "Gips" als der neue Herzensbrecher des Hauses empfiehlt, empfängt im "Einsingzimmer" - einem vermutlich seit Ewigkeiten von jeder Erneuerung verschonten winzigen Raum. Dort spielt er mit beeindruckender Stimmgewalt ein selbst geschriebenes Lied am Klavier vor, erzählt vom persönlichsten Vorsprechtermin aller Zeiten, eigenen Vorbehalten gegenüber Kindertheater und dem ersten warmen Münchner Applaus.

Die neuen Burgdamen werden es gerade mit ihren Produktionen für jüngere Kinder nicht ganz leicht haben mit den lokalen Kulturredaktionen. Dem Publikum aber machen sie es leicht. Zur "kleinen Burg" kommt man jetzt auch im Rollstuhl, denn sie liegt barrierefrei im Souterrain, wo vormals "der Grieche" seine von vielen geliebte Kneipe unterhielt. Dort unten musste am Samstag ein kleiner Pinguin nicht nur Federn lassen, sondern all seine Gliedmaßen: Die Augen verlor er an den Mond, den Schnabel an ein Murmeltier in den Bergen und die Flügel an einen kleinen Tiger, der vor den Augen eines ziemlich coolen Orang-Utans fast das Fliegen lernte. Wie die junge Schau- und Puppenspielerin Helene Schmitt in ihrem "Schreimutter"-Solo das gleichnamige Bilderbuch von Jutta Bauer erzählerisch weiterspinnt und dabei die vielfältigen Möglichkeiten des Figurentheaters auslotet, ist bezaubernd. Unabhängig davon, dass das Stück auch schon für Vierjährige funktioniert. Wer trotzdem die Nase rümpft, dem ist nicht zu helfen.

© SZ vom 23.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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