Rollstuhlbasketball:Würfe mit Haken

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„Ich hätte mir mehr von mir gewünscht“: Johanna Welin, hier im WM-Gruppenspiel gegen China, darf sich trotzdem über Edelmetall freuen. (Foto: Martin Rose/Getty)

Als eine von zwei Spielerinnen der München Iguanas hat Johanna Welin bei der Rollstuhlbasketball-WM Bronze gewonnen. Die Paralympics-Siegerin hofft nun auf einen Popularitätsschub für ihren Sport.

Von Sebastian Fischer, Hamburg

Die komplizierten Dinge lässt sie gerne einfach aussehen. Die Wurfuhr lief herunter im Gruppenspiel der deutschen Rollstuhlbasketballerinnen gegen China. Noch drei Sekunden, noch zwei, Johanna Welin hielt den Ball in der rechten Hand, rollte rückwärts in Richtung der linken Spielfeldecke, weg von ihrer Gegenspielerin. Noch eine Sekunde, da schloss sie den Angriff mit einem Hakenwurf ab, dieser einst in der NBA vom legendären Kareem Abdul-Jabbar perfektionierten Technik, bloß dass Welin dabei natürlich saß. Die Sirene dröhnte, Welin traf.

Sie sagt: "Die shot clock ist halt runtergelaufen." Es klingt aus ihrem Mund so selbstverständlich wie: Ich habe mir heute Morgen die Zähne geputzt. Immerhin verewigte sie die gar nicht so alltägliche Szene mit einem Beitrag als Video in den sozialen Netzwerken: #buzzer.

Kompliziertes, das manchmal einfach aussieht: Johanna Welin, 34, hat am Wochenende bei den Rollstuhlbasketball-Weltmeisterschaften Bronze gewonnen, als eine von zwei Nationalspielerinnen aus München, wie Laura Fürst spielt sie in der Bundesliga bei den RBB Iguanas. Welin genoss am Samstag nach dem Sieg im Spiel um Platz drei, noch mal ging es gegen China, die Ovationen in der Halle. Was die Zuschauer nicht sahen: Welin ist die einzige Mutter im Team. Sie hatte mit einer Schulterverletzung zu kämpfen. Sie ist in den letzten Zügen ihres Medizinstudiums.

"War ein hartes Jahr", sagt Welin, Sportler denken Jahre in Spielzeiten. Im März beendete sie die Bundesligasaison mit München auf Rang sechs, im April begann die Vorbereitung mit der Nationalmannschaft, Ende September beginnt die neue Saison. Im nächsten Jahr schreibt sie ihr Examen. "Man muss viel opfern", sagt sie, das könnten sich die meisten Zuschauer gar nicht vorstellen.

Andererseits, und darum geht es in diesen für die Randsportart euphorischen Tagen, ist es vielleicht so wahrscheinlich wie nie, dass sich die Zuschauer das alles bald ein bisschen besser vorstellen können.

Die gebürtige Schwedin Welin, seit einem Snowboard-Unfall 2004 querschnittgelähmt, seit 2011 deutsche Staatsbürgerin und Rollstuhlbasketball-Nationalspielerin, 2012 Paralympics-Siegerin, 2016 Silbermedaillengewinnerin in Rio de Janeiro, hat viel erlebt in ihrem Sportlerleben. Nicht viel war dabei so besonders wie die vergangenen zwei Wochen. Die WM im Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg mit im Schnitt rund Tausend Zuschauern pro Spiel vergleicht sie mit den Paralympics, nur dass diesmal alles im eigenen Land stattfand; dass sie sich diesmal mit deutschen Fans fotografieren ließ und Autogrammkarten schrieb. "Es war ganz anders als alles, was wir bisher erlebt haben."

Das Halbfinale gegen Großbritannien übertrug das ZDF in voller Länge, die deutschen Frauen verloren da das erste Mal im ganzen Turnier. "Man fragt sich natürlich, ob noch mehr gegangen wäre", sagt Welin, und hadert ein bisschen mit ihrer eigenen Leistung: "Ich hätte mir mehr von mir gewünscht." Doch ihr Ziel, eine Medaille, haben die deutschen Frauen auch wegen ihr erreicht, obwohl sie nur im ersten Spiel gegen China für die wichtigen Punkte verantwortlich war. Viele Leistungsträgerinnen hatten nach den Spielen 2016 aufgehört, Bundestrainer Martin Otto musste einen Umbruch moderieren. Welins Rolle, sagt er, sei eine "ganz wichtige", als erfahrene Aufbauspielerin, als "eine der besten Zwei-Punkte-Spielerinnen der Welt". Zwei Punkte, das ist Welins Klassifizierung als Spielerin ohne Bein-, aber mit Rumpfkontrolle.

Welin hofft nun auf mehr Zuschauer für ihre Sportart, auf einen nachhaltigen Effekt der WM. Das erste Bundesligaspiel findet gleich in Hamburg statt, bei den BG Baskets, in der WM-Arena. Während des Turniers beschloss die Liga ein neues Konzept fürs Marketing, es soll vor allem mehr davon geben. Als erste Neuerung wird der Ergebnisdienst der Liga ins System des Basketball-Verbands integriert.

Worauf Welin gar nicht erst hofft, ist Ruhe. Ihr Mann Benjamin Ryklin, Trainer der Iguanas, gehört zum neuen Liga-Vorstand. "Ein Titel, der nicht viel Arbeit bedeutet", habe er gesagt, sie lacht, "ich hoffe, dass das stimmt". Wahrscheinlich wird aber alles komplizierter, als es aussieht.

© SZ vom 28.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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