Psychologen beim Flüchtlingscamp:"Wir haben einen anderen Blickwinkel"

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Bei der Räumung des Flüchtlingscamps am Sendlinger Tor waren etwa 500 Einsatzkräfte vor Ort - Polizisten, Feuerwehr, Sanitäter - und Psychologen. (Foto: Robert Haas)

Bei der Räumung des Münchner Flüchtlingscamps waren 500 Einsatzkräfte vor Ort - darunter zwei Psychologen. Ihre Aufgabe? Flüchtlinge und Polizei gleichzeitig beraten.

Von Susi Wimmer

"Es war ein schwieriger Einsatz. Es galt, die Nerven zu bewahren und die Luft rauszunehmen. Gleichzeitig standen wir unter Handlungsdruck." Polizei-Vizepräsident Robert Kopp klingt auf der Polizei-Pressekonferenz fast stolz, wenn er vom Ende des Flüchtlingsdramas am Sendlinger-Tor-Platz spricht. Einsatzleiter Kopp und seine Führungsriege waren während der kippeligen Stunden in der Kälte auch gut beraten: Zwei Psychologen vom Zentralen Psychologischen Dienst (ZPD) der Polizei standen ihnen zur Seite.

"Wir haben einen anderen Blickwinkel, keine Begrenzungen beim Aufzeigen von Möglichkeiten", sagt dazu Hans-Peter Schmalzl, Leiter des ZPD. Der Diplom-Psychologe stand mit Kopp unter den Bäumen am Sendlinger-Tor-Platz, versuchte, mit den Flüchtlingen ins Gespräch zu kommen und zu deeskalieren. Einer der Flüchtlinge drohte immer wieder, vom Baum zu springen.

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Gleichzeitig fungierte Schmalzl als Berater der Führung. Er diskutierte die Optionen, die die Polizei in dieser Situation hatte. Die Männer auf den Bäumen belassen und riskieren, dass einer infolge von Kälte und Erschöpfung herunterfällt. Oder sie gefahrlos herunterholen oder einfach abwarten. Und dann gab es weitere Flüchtlinge, die auch auf die Bäume steigen wollten. "Ein Polizeiführer im Einsatz hat einen ganz anderen Orientierungsrahmen", sagt Hans-Peter Schmalzl. Er müsse sich nach gewissen Rahmenbedingungen richten wie Recht und Gesetz, Einsatztaktik, Politik, Medien. Der Psychologe hingegen könne mit "offenem Blick" an die Sache herangehen.

"Polizeiliches Handeln steckt immer voller Psychologie"

1964, zwei Jahre nach den Schwabinger Krawallen, installierte die damalige Münchner Stadtpolizei einen Psychologen in ihren Reihen. "Der hatte es nicht ganz einfach", räumt Schmalzl ein. Doch mittlerweile gehört der ZPD, der bayernweit im Einsatz ist, als feste Größe in die Reihen der Polizei. Gut 20 Angehörige des Dienstes sitzen in München-Schwabing, darunter neun Diplom-Psychologen.

"Das polizeiliche Handeln steckt immer voller Psychologie", sagt Schmalzl, egal, ob ein Streifenbeamter einen Temposünder verwarnt, oder ob ein Fahnder einen Mörder sucht. Der ZPD berät beispielsweise bei Geiselnahmen, versucht bei Suizidandrohungen auf den Lebensmüden einzuwirken, er kümmert sich auch um Polizeibeamte, die traumatische Erlebnisse zu verarbeiten haben. Außerdem halten die Experten Seminare ab, entwickeln Einstellungstests und beraten die Ausbilder. "Die Herausforderungen", sagt Hans-Peter Schmalzl, "werden mit den Jahren sicher nicht weniger."

© SZ vom 29.11.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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