Prozess um Kindesmisshandlung:"Jetzt habe ich Mist gebaut"

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Weil seine Tochter sirenenartig schrie, schüttelte ein Vater sie so heftig, dass sie ins Krankenhaus musste. Das Kind ist seitdem körperlich schwerbehindert. Nun muss sich der Vater vor dem Landgericht München verantworten.

Von Christian Rost

Er wollte die Rolle eines modernen Vaters übernehmen, der sich um die Kinder kümmert, während die Mutter arbeitet. Zur Babymassage ging Stefan M. ( Name geändert) mit seinen Zwillingen, zum Kinderarzt, er wickelte, fütterte und badete den Buben und das Mädchen. Doch letztlich war der 49-Jährige der Aufgabe nicht gewachsen.

Wenn seine wenige Monate alte Tochter begann, "sirenenartig" zu schreien, verlor M. die Nerven: Er schüttelte sie. Am 12. Dezember 2013 tat er das so heftig, dass das Mädchen notoperiert werden musste und zeitlebens körperlich und möglicherweise auch geistig schwerbehindert sein wird. Seit Mittwoch muss sich M. wegen Misshandlung und gefährlicher Körperverletzung am Landgericht München I verantworten.

Der Angeklagte ist gelernter Techniker und beschreibt sich als "Perfektionist". Er habe Angst, Fehler zu machen, sagt er zum Vorsitzenden Richter Stephan Kirchinger gewandt. Während seiner Aussage vor der 20. Strafkammer ist Stefan M. tatsächlich sehr bemüht, korrekt auf Fragen zu antworten. "Ja", sagt er und fährt sich mit der Hand nervös übers Gesicht, es stimme, was ihm die Staatsanwaltschaft vorwerfe.

Zwei Mal hatte er seine Tochter geschüttelt

Der Anklage zufolge hatte der Mann seine Tochter zwei Mal geschüttelt. Beim ersten Mal im Juli vorigen Jahres nahm das Kind noch keinen Schaden, weil rechtzeitig die Mutter ins Wohnzimmer kam, wo der Vater das Baby mit ausgestreckten Armen vor sich hielt. Er hörte mit dem Schütteln sofort auf, die Frau reagierte entsetzt: Er wisse genau, dass das zu schweren Verletzungen und sogar zum Tode führen könne, wies sie ihn zurecht.

Die Zwillinge hatten ein sehr unterschiedliches Naturell. Während der Bub ausgeglichen war, neigte seine Schwester zu Schreiattacken, auch nachts. Die Eltern hatten sich ihre Tage deshalb genau eingeteilt, mal kümmerte sich die Mutter um die Kinder, während der Vater die Hausarbeit erledigte, mal war es umgekehrt. Auch bei den anstrengenden Nachtschichten für die Kinder wechselten sie sich ab.

Die ersten Monate nach der Geburt waren auch die beiden Großmütter anwesend, um den jungen Eltern zu helfen. Als der Mutterschutz endete, begann M.s Frau wieder zu arbeiten, weil sie deutlich mehr verdiente als er. Als auch die Großmütter wieder abreisten, war Stefan M. auf sich allein gestellt mit der Betreuung und Pflege der Kinder. Dass ihn das überfordern könnte, hätte er absehen können: Er wusste, das er leicht die Nerven verlor, wenn etwas nicht klappte wie geplant. Als er noch arbeitete, habe er im Zorn öfter gegen eine Wand geschlagen, berichtet M.

Beim Anziehen hatte seine Tochter eine Schreiattacke

Am Vormittag des 12. Dezember 2013 wollte er in ein Fitnessstudio, in dem es auch eine Kinderbetreuung gab. M. war mit den Zwillingen schon einmal dort gewesen, den Kindern hatte es gefallen. An diesem Tag aber kam M. von zu Hause nicht los, weil seine Tochter beim Anziehen eine Schreiattacke bekam. Der Vater ärgerte sich darüber, nahm das sechs Monate alte Kind und drückte es im Zorn fest an sich. Dann hielt er es vor seinen Oberkörper und schüttelte es.

Das muss so heftig gewesen sein, dass die Richter schier erschraken, als der Rechtsmediziner Randolph Penning den Vorgang mit einer Puppe demonstrierte. Nach dem Schütteln hatte Stefan M. das Kind von sich geworfen. Es landete in zwei Metern Entfernung auf dem Sofa auf einem Kissenhaufen.

Der Vater packte es noch an einem Bein, stellte dann aber fest, dass das Mädchen nur noch schwach atmete und schließlich das Bewusstsein verlor: "Jetzt habe ich Mist gebaut", schilderte M. seinen ersten Gedanken - und rief den Notarzt. Bei dem Kind schwoll das Gehirn stark an, es musste in Großhadern notoperiert werden. Das Jugendamt hat das Mädchen in einer Pflegefamilie untergebracht. Der Vater kam in Untersuchungshaft. Der Prozess wird fortgesetzt.

© SZ vom 02.10.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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