Prozess um Hungerstreik am Rindermarkt:"Er hat sich halt gewehrt"

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Sie verlangten, dass ihre Asylanträge anerkannt werden - und weigerten sich zu essen. Die Polizei räumte das Camp von Flüchtlingen am Rindermarkt. Ali R. wehrte sich. Jetzt hat der Prozess gegen ihn begonnen - und kommt nicht weit.

Von Christian Rost

Die Flüchtlinge kamen aus Pakistan, Afghanistan, Sierra Leone, Iran, Kongo und Nigeria. Mitten in München, am Rindermarkt, schlugen sie im Juni 2013 ihr Protest-Camp auf und traten in einen Hungerstreik. Sie wollten nicht weichen, ehe ihre Forderungen erfüllt sind: Ein Ende der Residenzpflicht, der Essenspakete, der jahrelangen Unterbringung in Lagern und des Arbeitsverbots.

Außerdem verlangten sie, dass ihre Asylanträge anerkannt werden. Auf die Forderungen ging die Staatsregierung nicht ein. In der Nacht zum 30. Juni wurde das Camp geräumt, weil einige der 44 Flüchtlinge nichts mehr tranken und das Bewusstsein verloren. Polizisten trugen den harten Kern der Protestierenden weg. Auch Ali R. wehrte sich dagegen. Seit Montag muss er sich am Münchner Amtsgericht wegen Widerstands und versuchter Körperverletzung verantworten.

Asylbewerber in München
:Polizei räumt Camp der Hungerstreikenden

Ein Großaufgebot der Polizei hat um 5 Uhr morgens begonnen, das Camp der hungerstreikenden Flüchtlinge am Münchner Rindermarkt zu räumen. Alle Vermittlungsversuche von Stadt und Staatsregierung waren in der Nacht gescheitert. Ärzte hatten befürchtet, dass Menschen zu Tode kommen.

Von Bernd Kastner

Eine Stunde vor Beginn des Prozesses im Strafjustizzentrum an der Nymphenburger Straße versammelte sich ein gutes Dutzend Unterstützer von Ali R. Das Gerichtsverfahren sei die "Fortführung der einschüchternden Struktur dieses Systems, um den wachsenden Protest der Geflüchteten zu brechen", hieß es im Aufruf zu dieser Demonstration. Die Polizei hielt sich im Hintergrund während der Versammlung. Im Gerichtssaal waren dann aber so viele uniformierte Beamte anwesend, dass Verteidiger Hartmut Wächtler laut seinen Unmut äußerte über den seines Erachtens völlig überzogenen Aufmarsch der Staatsgewalt.

Wächtler hatte für seinen 25-jährigen Mandaten Einspruch gegen einen Strafbefehl über 300 Euro Geldstrafe eingelegt. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, sich mit Schlägen und Tritten gewehrt zu haben, als ihn drei Polizeibeamte vom Rindermarkt fortschafften. Mit rund 30 weiteren Teilnehmern des Hungerstreiks hatte R. eine Sitzblockade gebildet, als die Unterstützungskommandos der Polizei anrückten. Zwar wurde durchs R.s angebliche Gegenwehr kein Beamter verletzt, die Staatsanwaltschaft hielt wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung dennoch ein Einschreiten von Amts wegen für geboten, wie das im Amtsdeutsch heißt.

Verteidiger will Video auf mögliche Manipulationen überprüfen

Auf die Vorwürfe ging Ali R. in seiner Stellungnahme vor Gericht nicht ein. Der Iraner nutzte die Aufmerksamkeit für eine Erklärung: "Wir akzeptieren keine Gesetze, die uns nicht respektieren", sagte er. Sein Ziel sei es, die für Flüchtlinge "menschenverachtenden Bedingungen zu verändern". Seine ebenfalls im Saal anwesenden Unterstützer reagierten begeistert mit Applaus.

In der Sache kamen die Prozessbeteiligten nicht sehr weit. Ein Polizist, der R. damals mit seinen Kollegen abtransportiert hatte, sagte, dass er die Tritte und Schläge des Mannes als nicht zielgerichtet gegen empfunden habe. "Er hat sich halt gewehrt", so der Beamte. Mit dieser Aussage wäre zwar der Vorwurf der versuchten Körperverletzung vom Tisch gewesen, nicht aber die Widerstandshandlung R.s.

Für Verteidiger Wächtler war allerdings schon der Polizeieinsatz am Rindermarkt nicht rechtens, weil es zuvor keine "Räumungsaufforderung" an die Hungerstreikenden gegeben habe. In einem als Beweis vorgeführten Video war nichts von einer solchen Aufforderung zu hören. Die Staatsanwältin meinte dazu, die entsprechende Sequenz sei möglicherweise herausgeschnitten worden. Wächtler will das Video nun von einem Sachverständigen auf Manipulationen prüfen lassen. Der Prozess wird fortgesetzt.

© SZ vom 06.05.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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