Prozess um Flugunfall:Peitschenschlag aus dem Nichts

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Bruchlandung auf der Gotzenalm: Der Pilot entkam diesem Trümmerhaufen nur leicht verletzt. (Foto: dpa)
  • Eines der größten Hubschrauberunternehmen im deutschsprachigen Raum hat einen Schweizer Seil-Hersteller auf Schadenersatz verklagt.
  • Ein Hubschrauber war während eines Transports völlig unvermittelt abgestürzt.
  • Ein gerissenes Transportseil, an dem ein 20 Meter langer Stamm gehangen hatte, war wie eine Peitsche zurückgeschnellt und hatte den Heli förmlich abgeschossen

Von Ekkehard Müller-Jentsch, München

"Ich werde heute nicht sterben!" Mit diesem Gedanken fiel Georg Schuster mitsamt seinem Hubschrauber wie ein Stein aus 35 Metern Höhe zu Boden. Sekunden später kämpfte er sich aus dem völlig zertrümmerten Helikopter: Ein paar Schrammen, Prellungen und schlotternde Knie - der feste Willen des Piloten, am Leben zu bleiben, hatte wie durch ein Wunder gesiegt. Am Mittwoch musste der 53-Jährige vor dem Landgericht München I die letzten Minuten vor dem dramatischen Vorfall Revue passieren lassen.

Denn der sehr ungewöhnliche Flugunfall, der beim Transport von Baumstämmen passiert war, soll aufgeklärt werden: Ein gerissenes Transportseil, an dem ein 20 Meter langer Stamm gehangen hatte, war wie eine Peitsche zurückgeschnellt und hatte den Heli förmlich abgeschossen. Helicopter Travel Munich, eines der größten Hubschrauberunternehmen im deutschsprachigen Raum, hat deswegen den Schweizer Seil-Hersteller auf Schadenersatz verklagt. Die Spezialität des auf dem EADS-Gelände in Ottobrunn beheimateten Flugunternehmens sind schwierige Sonderaufträge.

Ungewöhnlicher Arbeitsunfall

Der Helikopter AS 350 B3 Eichhörnchen von Airbus gilt als zuverlässiges Arbeitsgerät: Eine Maschine dieses Typs rettete beispielsweise im April 2010 drei Alpinisten aus 7000 Metern Höhe im nepalesischen Annapurna-Gebiet - die höchste je mit einem Helikopter zustande gebrachte Bergrettung. Im Oktober desselben Jahres sollte Pilot Schuster mit solch einer Maschine der Münchner Firma am Jenner im Gemeindegebiet von Berchtesgaden einen 1050 Kilo schweren Baum aus einem Wald heben und auf der nahegelegenen Gotzenalm absetzen - als Baumaterial für eine Dachrinne.

Firmenanwalt Ludwig M. Bittner machte bei der Klage vor der 20. Zivilkammer deutlich, dass für den Transport ein aus dem Kunststoff Dyneema gefertigtes Spezialseil verwendet wurde. Diese Seile hat der Hersteller mit sehr hohen Sicherheitsfaktoren zertifiziert: Es hätte erst bei einer Last von 9,8 Tonnen reißen dürfen. Tatsächlich zerfetzte es in diesem Fall bereits bei rund einem Zehntel des Gewichts. Was dann passierte, nennen Piloten "Whiplash-Effekt": Wie mit einem Peitschenhieb wurde der Heckrotor des Helis abgetrennt. Bevor Pilot Schuster realisieren konnte, was geschehen war, setzte "wie aus dem Nichts eine extreme Vibration ein, dann drehte sich die Maschine um ihre Hochachse". Ihm sei wichtig gewesen, nicht gegen eine der Almhütten zu prallen, sagte der bodenständige Tiroler. Einen Wimpernschlag später zerschellte das 1,6 Millionen Euro teure Fluggerät.

Die Firma will nicht auf den Extrakosten sitzen bleiben

Heli Travel wirft nun der Schweizer Firma vor, schon 2009 von vorzeitiger Materialermüdung gewusst zu haben. Diverse Kunden seien damals darauf hingewiesen worden, dass die Transportseile schneller altern, als ursprünglich berechnet und zertifiziert - diesen Alarmruf habe man aber nicht nach München geschickt. "So konnten die Seile nicht rechtzeitig gegen neue, verstärkte Ausführungen getauscht werden", klagt die Firma. Dieser Verstoß gegen die Produktinformationspflicht sei die Ursache für den Absturz.

Die Versicherung hatte den Schrott-Heli zwar rasch bezahlt. Aber die Münchner Firma will nicht auf 100 000 Euro Selbstbeteiligung und wenigstens 20 000 Euro Höherstufung in der Versicherungsprämie sitzenbleiben.

Das Gericht hat einen Sachverständigen beauftragt, der den Piloten ausgiebig befragte. In den kommenden Tagen will der Experte den Unfallort besichtigen. Erst wenn das Gutachten vorliegt, kann die Richterin bestimmen, wann die Verhandlung fortgesetzt wird.

© SZ vom 06.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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