Prozess:Tödlicher Wahn

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Paul H. griff am Bahnhof in Grafing vier Menschen an, einer von ihnen starb. Vor Gericht gibt der Angeklagte nun tiefen Einblick in sein gestörtes Seelenleben

Von Korbinian Eisenberger, München

Johannes B. fuhr mit dem Fahrrad vorbei, als ihm Paul H. in den Rücken stach. B., damals 58, überlebte schwer verletzt. Jetzt kommt B. in einen Gerichtssaal in München, er stützt sich auf einen Gehwagen, geht zittrig nach vorne gebeugt. B. ist 14 Monate nach der Messerattacke immer noch gezeichnet, eine Halbseitenlähmung, die bleiben wird. Der Grafinger ist Nebenkläger, er nimmt neben seiner Anwältin Platz. Zwischen ihm und dem Mann, der damals zustach, liegen jetzt sechs Meter.

Montagmittag im Landgericht München, gut ein Jahr nach der Messerattacke in der Kleinstadt Grafing, hat der Prozess gegen den Beschuldigten begonnen. Es geht um Mord und dreifach versuchten Mord, der damals offenbar psychisch kranke Paul H., 28, gesteht, dass er in den Morgenstunden des 10. Mai 2016 am Bahnhof im Wahn vier Menschen mit einem Messer angegriffen hat. Drei Grafinger überlebten schwer verletzt, ein Wasserburger starb. "Ich dachte, ich hätte alles richtig gemacht", sagt H. "In dem Moment hat es alles Sinn ergeben." Eines der Opfer, Siegfried W., erlag den Verletzungen, seine Frau und sein Sohn sind gekommen, sie sitzen als Nebenkläger in einer Saalecke. Die beiden weiteren Opfer, Manfred M., und Jens O., beide 56, sagen als Zeugen aus.

Das Gericht muss klären, ob Paul H. zur Tatzeit schuldfähig war. Ein Gutachten attestiert ihm eine "bipolare affektive Störung", eine Form von Verfolgungswahn. Sollte sich das im Prozess bestätigen, käme es wohl zu einer dauerhaften Unterbringung in einer Psychiatrie.

H. gesteht so gut wie jedes Detail der Anklage: Grafing-Bahnhof um 4.56 Uhr, die erste S-Bahn fährt nach München, da rennt Jens O. über den Bahnsteig und schreit um Hilfe. "Ich wollte ihn umbringen", sagt H., damals 27, das Messer habe er hinter dem Rücken versteckt. Zunächst habe er auf drei Menschen eingestochen, er habe sie töten wollen, sagt er, er verletzte sie schwer. Dann habe er einen vierten Mann angriffen, der ihm "zufällig" über den Weg gelaufen sei: Siegfried W., den er bis in die S-Bahn verfolgte. "Da lag er auf dem Boden, ich habe mehrfach auf ihn eingestochen", sagt H. Laut Staatsanwaltschaft neunmal.

Wer macht so was? Und warum? An diesem Montag gibt es nun erstmals Antworten vom Beschuldigten. H., sauber frisierte Haare, kariertes Hemd, ruhige Stimme, entschuldigt sich bei den Opfern. Mit 13 Jahren, holt er aus, habe er mit Cannabis angefangen, fünf bis zehn Bongs am Tag. Mit 14 wurde er zum ersten Mal mit Haschisch erwischt, seit er 21 ist, trinke er drei bis zehn Bier täglich. 2014 habe er dann bemerkt, dass etwas mit ihm nicht stimme, dass er starke Ausschläge guter und schlechter Phasen habe. Mehrfach habe er versucht sich umzubringen. Seit zwölf Monaten sei er nun medikamentös eingestellt, sagt er, er habe die Krankheit im Griff. Am Tag der Tat jedoch habe ihn seine Psychose in Angstzustände versetzt.

In so einer Phase befand er sich auch am Morgen des 10. Mai. Zunächst war er am Hauptbahnhof in München, von dem dachte er aber, dass er gesprengt würde. Grafing als Ziel der nächstbesten S-Bahn war reiner Zufall. Wirre Gedanken habe er gehabt, von Menschen, die in Konzentrationslagern getötet würden und von Grafing, das "von Muslimen ausgerottet" worden sei. Aus Selbstschutz habe er sich also dem Islam anschließen und "Ungläubige" töten wollen. Vor der Tat habe er "sehr viel Amphetamine" genommen. Als er sein Survival-Messer aus seinem mitgebrachten Camping-Rucksack herauszog, will er sich in seiner eigenen Welt befunden haben. Der Prozess ist auf fünf Verhandlungstage angesetzt.

© SZ vom 08.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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