Prozess in München:Fürsorglicher Erpresser

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  • In München hat der Prozess gegen einen Mann begonnen, der drohte, Immobilien zu zerstören und Züge entgleisen zu lassen.
  • Die martialische Ankündigungen passen nicht zum Wesen des Angeklagten.
  • Die Ermittler kamen dem Mann durch einen Zufall auf die Spur.

Von Christian Rost

Im Februar dieses Jahres holte Karsten E. die Vergangenheit ein. Bei seinem Arbeitgeber war eingebrochen worden, die Polizei sicherte DNA-Spuren am Tatort. Auch die DNA des an sich völlig unverdächtigen Karsten E. kam zufällig mit ins Labor, weil er sich just an der Stelle, wo die Polizei Spuren auflas, kurz vor dem Einbruch geschnitten und die Wunde mit einem Pflaster versorgt hatte. Blutspuren waren zurückgeblieben. Routinemäßig wurden alle genetischen Fingerabdrücke in den Polizeicomputer eingespeist. Während die DNA des Einbrechers nichts ergab, war die von Karsten E. ein Volltreffer: Der Mann wurde seit Jahren wegen eines schweren Erpressungsfalles gesucht. Seit diesem Montag muss sich der 46-Jährige nun vor dem Landgericht München I verantworten.

Der korpulente Mann ist sensibel, immer wieder kommen ihm die Tränen beim Blick zurück, als er 2008 der Münchener Rückversicherung und der Deutsche Bahn Briefe mit massiven Drohungen geschickt und mehrere Millionen Euro gefordert hatte. In den fünf Briefen, die er mit dem Pseudonym Sabine M. unterzeichnete, teilte er zum Beispiel mit, dass vorsorglich alle Feuerwehren in Bayern in Alarmbereitschaft versetzt werden sollten: "Alle 2-3 Tage werden Immobilien oder Lagerhallen verbrannt, Autos zerstört, Züge zum Entgleisen gebracht usw." Er und ungenannte andere aus seiner Gruppe (die es gar nicht gab) würden "gleich beim ersten Mal eine hochwertige Immobilie in Schutt und Asche legen", schrieb E. laut Anklage an die Münchener Rück, von der er zwei Millionen Euro verlangte. Weitere zwei Millionen - und in späteren Schreiben dann vier Millionen - wollte er laut seinem Geständnis der Bahn abpressen. Sollte nicht gezahlt werden, drohte er, Züge entgleisen zu lassen. Von einem "zweiten Eschede" schrieb E. Die Unternehmen zahlten nicht und schalteten die Polizei ein, die erst nach dem DNA-Zufallstreffer auf E. kam.

Verzweiflungstat nach einer Pleite?

Die martialischen Drohungen in den Erpresserbriefen passen überhaupt nicht zum Wesen und Erscheinungsbild des Angeklagten. Als "zuverlässig, fürsorglich und ruhig" beschreibt er sich selbst - und als fleißig. Was bringt so einen Durchschnittsbürger dazu, zwei der größten Unternehmen Deutschlands zu bedrohen? Gerichtspsychiater Béla Serly und der psychologische Sachverständige Günter Lauber werden am Ende dieses Prozesses vor der 19. Strafkammer unter dem Vorsitz von Elisabeth Ehrl ihre Einschätzungen dazu abgeben, was den Angeklagten angetrieben hat. Er selbst sieht sich rückblickend vor allem durch eine geschäftliche Pleite zu der Verzweiflungstat getrieben.

Karsten E. wuchs bei einer dominanten, alkoholabhängigen Mutter und einem meist abwesenden Vater in Niedersachsen auf, zog mit 18 Jahren zu Hause aus und verpflichtete sich bei der Bundeswehr, "nur um weg zu kommen" von seinen Eltern. Nach dem Militärdienst arbeitete er sich in verschiedenen Branchen hoch: bei einem Matratzenhändler und schließlich bei einer bayerischen Großbäckerei bekleidete er Führungspositionen. Nie fuhr er in den Urlaub, alles Geld sparte er. Auch nach einer für ihn teuren Trennung von seiner ersten Lebensgefährtin, mit der er einen Sohn bekommen und ein Haus gebaut hatte, rappelte er sich wieder auf.

In München heuerte er als Selbständiger bei einem Verein an, der Versicherungen und Vermögensanlagen vermittelte. In die Produkte investierte E. auch sein eigenes Geld sowie das von Bekannten und Nachbarn. Als sich der Verein als betrügerisch entpuppte, verlor E. sein ganzes Geld und ging mit 300 000 Euro Schulden insolvent. Die anderen Geschädigten verklagten ihn, weil er ihnen die Anlage vermittelt hatte. "Das ist mir über den Kopf gewachsen. Ich habe keine Chance mehr gesehen, auf die Beine zu kommen", sagte E. Er habe psychische Probleme bekommen und sich gehen lassen. In dieser Phase schrieb er die Erpresserbriefe. Sieben Jahre später, als er sich längst wieder gefangen und eine zweite Familie gegründet hatte, nahm ihn die Polizei fest. Der Prozess dauert an.

© SZ vom 23.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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