Prozess gegen U-Bahn-Schläger:Unter Fremden

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Am Montag beginnt der Prozess gegen die U-Bahn-Schläger. Die Angeklagten Spyridon L. und Serkan A. führten ein Leben von beklemmender Randständigkeit.

Bernd Kastner und Joachim Käppner

Am Montag beginnt der Prozess gegen die beiden jungen Männer, deren Tat bundesweit Entsetzen auslöste - weil jede Einzelheit auf Video dokumentiert war. Serkan A. und Spyridon L. sind zu sehen, wie sie einen alten Mann im U-Bahn-Hof Arabellapark fast zu Tode treten. Der Fall beeinflusste Wahlkämpfe und zeigt, wie unerreichbar manche jungen Menschen am Rande der Gesellschaft geworden sind.

Tatort Arabellapark: Das Video einer Überwachungskamera vom Überfall auf Hubert N. wurde bundesweit gezeigt und beeinflusste die Wahlkämpfe in München und Hessen. (Foto: Foto: Polizei München)

Serkan A. sagt, er könne es verstehen. Verstehen, dass der Mann, den sie so zugerichtet haben, nicht verzeihen kann. Serkan A. sitzt seit einem halben Jahr in Stadelheim, Spyridon L. auch, und sie haben, davon darf man ausgehen, viel nachgedacht über jenen Abend damals, kurz vor Weihnachten. Hubert N., 76 Jahre alt, ist den beiden jungen Männern in die Hände gefallen, sie haben ihn fast totgeschlagen und -getreten, im U-Bahnhof Arabellapark war das.

Die ganze Republik weiß, was geschehen ist im Zwischengeschoss, eine Videokamera hat alles aufgezeichnet, die Schläge, die Tritte. Unscharf sind die Bilder, man erkennt nur Schemen, doch man ahnt die Schmerzen der Gestalt, die da so hilflos am Boden liegt. Dreifacher Schädelbruch, werden die Ärzte später feststellen. Hubert N. hatte die jungen Männer aufgefordert, das Rauchen in der U-Bahn sein zu lassen.

Von Montag an stehen Serkan A., 20Jahre alt damals und in München geborener Türke, und Spiridon L., Grieche, der in Stadelheim volljährig geworden ist, vor der Jugendkammer des Landgerichts. Versuchter Mord steht in der Anklage. Beinahe hätten die beiden ein Menschenleben auf dem Gewissen.

Fünf Anwälte auf einmal

Wenige Tage, bevor die TV-Teams ihre Scheinwerfer vor dem Gerichtssaal aufbauen werden, sitzt Oliver Schmidt hinter hohen Aktenstapeln an seinem Schreibtisch und erzählt, was er als Verteidiger in dieser Lage erzählen darf. Noch weiß Schmidt nicht einmal, ob er von Montag an tatsächlich Serkan A. verteidigen wird. Der junge Türke wird von drei Anwälten vertreten, zwischenzeitlich waren es sogar fünf. Das klingt seltsam, schließlich hat A. kein Geld, seine Familie auch nicht, und er wird wohl nicht mal einen der Juristen bezahlen können, geschweige denn drei.

Wahrscheinlich aber sind die vielen Anwälte nur ein Symptom. Da taumelt ein junger Mensch schon lange am Abgrund dieser Gesellschaft, sieht sich nun im freien Fall und versucht nach jedem Strohhalm zu greifen. Einen Tag vor Heiligabend wird A. in der Wohnung seiner Freundin festgenommen. Man bringt ihn zur Polizei in die Ettstraße und dann nach Stadelheim, und langsam wird ihm klar, dass er so schnell nicht mehr rauskommt. Draußen leben seine Freundin und ihre gemeinsame Tochter, vor wenigen Wochen erst ist das Mädchen zur Welt gekommen, der Vater war mit dabei im Kreißsaal.

Und da sieht Serkan A. im Knast diese Karten, die Untersuchungshäftlinge an Anwälte schicken können: Besuchen Sie mich bitte! Hören Sie mir zu! Einige dieser Hilferufe verschickt Serkan, ein Anwalt nach dem anderen kommt nach Stadelheim, eine Vollmacht nach der anderen unterschreibt der Inhaftierte. Irgendwann wird das der Justiz zu viel. Sein Mandant, lässt man Oliver Schmidt wissen, solle es doch bitte nicht übertreiben. In den Monaten danach hat A. mal dem einen Anwalt gekündigt, mal dem anderen, um sie dann wieder zu engagieren, und gerade sind es eben drei.

"Verstanden, was Sache ist"

Schmidt war der erste, den Serkan von der Ettstraße aus anrief. Sonntag war es, der 23. Dezember, und der junge Anwalt war zunächst sauer. Er hatte A. schon zuvor vertreten, und weil der Türke aus einer Therapieeinrichtung geflogen war, diese Therapie aber eine Bewährungsauflage war, dachte der Anwalt, dass der Mandant deshalb Schwierigkeiten hat. Doch das wären banale Probleme gewesen, das weiß Schmidt, als der Haftbefehl eröffnet wird. Die ersten von A. und L. überlieferten Äußerungen gegenüber den vernehmenden Polizisten kündeten nicht gerade von Reue: Provoziert habe sie der Rentner, hätte er sie, die besoffen waren, in Ruhe gelassen, wäre ihm nichts passiert. Inzwischen aber hätten sie "verstanden, was Sache ist", sagt Schmidt.

Die ersten Tage und Wochen müssen schwer gewesen sein für Serkan A.. Nicht nur, weil ihm nach und nach die Tragweite der Tat bewusst wurde. Sondern auch, weil einer, der einen Unterlegenen in dieser Weise schlägt, in der Gefangenenhierarchie ziemlich weit unten steht, nur wenig über den Kinderschändern. Schläge haben ihm die Mitgefangenen angedroht, und zweimal habe A. auch was drauf gekriegt, berichtet Schmidt. Gleichzeitig müssen die Berichte, die aus der Familie an türkische und deutsche Boulevardblätter geliefert wurden, den beiden das Gefühl gegeben haben, Medienstars zu sein. Sie ließen zeitweise nicht einmal Gutachter vor.

A. und L. haben nicht nur Hubert N. an den Rande des Todes getreten, sondern auch ihre Familien in einen Abgrund gestoßen. Von A.s Mutter weiß man, dass sie sehr, sehr wütend ist auf ihren Sohn, dass er aber dennoch ihr Kind ist und bleibt. "Die Familie ist sehr belastet, aber steht zu ihm", sagt Florian Wurtinger, A.s anderer Anwalt. Die ältere Schwester war für Serkan lange Zeit eine Art Mutterersatz, weil die Mama mit ihrem eigenen Leben genug zu schaffen hat. Vom Vater ist die Familie schon lange getrennt, er soll getrunken und geschlagen haben, und als Serkan nach langer Zeit seinen Vater mal wieder traf, soll die Begegnung ebenfalls in Schlägen geendet haben.

Die Randständigkeit begleitet ihn von Kindheit an

Seit Jahren schon kümmerte sich das Jugendamt um den Türken und auch um Spiridon, den Griechen, doch alles Bemühen hatte am Ende keinen Erfolg. Hände, die sich ausstreckten, wurden nicht ergriffen, als seien Suff, Gewalt und soziale Verwahrlosung ein Schicksal, an dem man ohnehin nichts ändern könne. A., der Türke, ist geborener Münchner, die Randständigkeit begleitet ihn von Kindheit an, er fällt durch Gewalttaten auf.

Der junge Grieche kam erst vor einigen Jahren aus der Heimat in die fremde Stadt, erst hier wurde er auffällig. Zwei kurze Lebenswege, mündend in derselben Sackgasse. Schläge, Alkohol und Drogen daheim und der völlige Mangel an einer Vorstellung, wie ein sinnvolles Leben aussehen könnte. Die beiden Migrantenkinder sind herausgefallen aus der Gesellschaft, und als Hubert N. sie in der U-Bahn wegen der Zigarette ermahnte, haben sie ihn beschimpft. Scheiß Deutscher!

Nun, da der Prozess bevorsteht und die Nervosität zunimmt, beschäftige Serkan A. eine Frage: Was machen die mit mir? So wie er anfangs zu den Anwalts-Karten gegriffen hat, so klammere er sich nun an eine Argumentation, die in etwa so geht: Ja, die Tat war schlimm, ein großer Fehler. Aber andere haben viel Schlimmeres gemacht, und die kommen oft glimpflich davon. Ich hab doch keinen umgebracht!

Fünf Verhandlungstage

Anwalt Schmidt und wohl auch seine Verteidiger-Kollegen werden versuchen, die auf gemeinschaftlich versuchten Mord lautende Anklage abzubiegen. Die beiden hätten sich nicht zur Tat verabredet und den Tod ihres Opfers keineswegs beabsichtigt. Ansonsten darf man gespannt sein auf die Verteidigungsstrategie. Schmidt sagt, aus dem Video gehe klar hervor, dass Spyridon L. dem Opfer wesentlich gravierendere Tritte verpasst habe, vor allem am Schluss: Der Täter nahm ein paar Schritte Anlauf und trat so gegen die Kopf des Opfers, dass die Zeitungen das mit einem Strafstoß beim Fußball verglichen. Sein Mandant, sagt Schmidt, müsse im Strafmaß also auf jeden Fall unter dem des Kumpels liegen.

Wolfgang Kreuzer, Spyridon L.s Verteidiger, will sich vor dem Prozess nicht äußern. Bekannt ist nur, dass er einen Antrag auf Ausschluss der Öffentlichkeit stellen möchte. Sein Mandant war erst 17 zur Tatzeit. Serkan A.s Verteidiger werden sich dem Antrag wohl anschließen, erklärt Wurtinger, und das Gericht wird dann abwägen müssen zwischen der Schutzbedürftigkeit der jungen Angeklagten und dem enormen öffentlichen Interesse. Fünf Verhandlungstage sind vorerst angesetzt, am kommenden Freitag könnte schon das Urteil fallen.

Dass es so schnell geht, ist gut möglich, denn die Tat ist komplett dokumentiert. Es dürfte in den Zeugenvernehmungen vor allem um die Vorgeschichte der Angeklagten gehen und um ihren Alkoholkonsum am Tattag. Und alle wissen, dass es von Vorteil wäre, wenn man nicht auch noch die reservierten Termine im September bräuchte. Es stehen wieder Wahlen an, diesmal zum bayerischen Landtag, und die U-Bahn-Schläger sind schon in zwei Wahlkämpfen instrumentalisiert worden, in Hessen und in München. Den Politikern hat das keineswegs genutzt, aber dem Opfer und Serkan A. und Spiridon L. auch nicht gerade.

© SZ vom 21.06.2008/af - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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