Prozess:Frostschutzmittel zum Abendessen

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Eine 74 Jahre alte Münchnerin soll ihren Mann mit Glykol vergiftet haben. Der konnte gerade noch einen Notruf absetzen.

Aus dem Gericht von Susi Wimmer, München

Die Story hat alles, was ein guter Krimi braucht: Ein Online-Date, große Liebe, Hochzeit - dann Habgier und Hass und am Ende Gift im Essen. In Gerichtssaal B162 vor der zweiten großen Schwurgerichtskammer geht es aber nicht um Fiktion, sondern um Realität. Auf der Anklagebank am Landgericht München I sitzt Brigitte L., 74 Jahre alt. Die blonde, auffallend stark geschminkte Frau soll laut Staatsanwaltschaft während ihrer Ehe mit dem 82-jährigen Hans L. im März 2018 im Internet nicht nur rosa Pantoffeln, sondern auch Glykol bestellt und ihrem Mann das Frostschutzmittel ins Essen gemischt haben. Hans L. überlebte, weil er auf allen vieren noch zum Telefon kriechen und einen Notruf absetzen konnte. Die Angeklagte ließ über ihren Verteidiger am ersten Prozesstag erklären, dass sie die Tat bestreite und sich nicht äußern werde.

"Ja, mir geht es gut", sagt Hans L. kurz vor seiner Aussage, doch die Anspannung steht ihm ins Gesicht geschrieben. Gleich sieht er die Frau wieder, mit der er "noch" verheiratet ist und die ihn mutmaßlich ermorden wollte. Staatsanwalt Laurent Lafleur zumindest wirft der Frau Heimtücke und Habgier vor. Warum dem Münchner an jenem Abend im Mai plötzlich schlecht war, er sich übergeben musste und vor Schwindel nicht mehr laufen konnte, das konnten ihm damals die Ärzte in der Klinik nicht sagen. Das erfuhr Hans L. erst drei Wochen später: Als eine Tochter von Brigitte L. zur Polizei ging, weil die Mutter ihr am Telefon gestanden hatte, dass sie versucht habe, "den Hans um die Ecke zu bringen".

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Brigitte und Hans hatten sich 2012 "über das Internet" kennengelernt, wie der 82-Jährige erzählt. Er besuchte sie in Berlin, man verstand sich, wenig später zog sie in seine Wohnung in Perlach und ein Jahr darauf feierten sie Hochzeit. "Die ersten drei Jahre waren absolut spitze", erzählt er. Seine Frau sei anfangs liebevoll gewesen, "und dann nicht mehr". Stattdessen habe sie angefangen, ihn zu bestehlen. Und sie habe eine Hungerkur mit Diätdrinks machen wollen, "das konnte ich nicht mehr nachvollziehen". Brigitte L. habe sein Essen abgelehnt - und sie habe sich auch nicht mehr mit 150 Euro am gemeinsamen Lebensunterhalt beteiligen wollen.

Rein finanziell gesehen, glaubt man den Ausführungen des rüstigen Rentners, war die Ehe mit Brigitte L. ein ziemliches Draufzahlgeschäft. Er habe ihre Geldschulden beglichen, sie monatlich mit 500 Euro unterstützt, und als klar war, dass man sich trennen wollte, habe sie 120 000 Euro Abfindung "für alles" verlangt. Obwohl die Anwälte eingeschaltet waren, weigerte Brigitte L. sich, aus der Wohnung auszuziehen. Sie wollte auch nicht im Gästezimmer schlafen, und Hans L. durfte dort nicht nächtigen, "weil, da waren ihre Kleidung und ihr Schminktisch".

"Hoffentlich fährst du dich tot", soll sie im März 2018 ihrem Gatten mit auf den Weg in den Skiurlaub gegeben haben. Kaum war er weg, bestellte Brigitte L. bei Amazon einen Liter Glykol zum Preis von 14,90 Euro. Zuvor hatte sie auf ihrem Handy bereits eine Liste mit verschiedenen Giften angelegt, darunter auch das Stichwort "Frostschutz 400 mg pro Kilo/2 Schluck". Das behauptet die Staatsanwaltschaft.

Was Hans L. am Abend des 7. Mai 2018 aß, weiß er nicht mehr genau. "Maultaschen in der Brühe oder Tortellini mit Pesto rosso", sagt er im Zeugenstand. Einer Bekannten gegenüber soll er erzählt haben, er habe noch Kartoffelsalat mit Würstchen von einer Grillfeier am Vorabend zu sich genommen. Vor dem Fernseher auf der Couch sei er schläfrig geworden, "dann wurde mir sauschlecht". Er habe sich übergeben, konnte nicht mehr laufen. Seine Frau sei an der Türe gestanden und habe gefragt: "Geht's dir ned gut?" Dann sei sie ins Bett gegangen. "Ich habe um Hilfe gerufen", sagt er. Auf allen vieren sei er zum Telefon gerobbt, habe nur noch die erste Kurzwahltaste drücken und lallend eine Freundin verständigen können. Als die Johanniter eintrafen, soll Brigitte L. mit Ohrenstöpseln, Schlafbrille und einer Schlaftablette intus im Bett gelegen sein. Im Klinikum Bogenhausen wurde Hans L. mit Verdacht auf Schlaganfall behandelt. Er überlebte und wurde mit der vagen Diagnose einer Lebensmittelvergiftung entlassen.

Brigitte L. verfolgt die Ausführungen ungerührt. Starke Hustenanfälle schütteln sie in den Pausen, wenn die Kammer unter dem Vorsitz von Norbert Riedmann eintritt, ist alles wieder gut. Über ihren Verteidiger Michael Löffler lässt sie unter anderem den Antrag einbringen, dass die Glaubwürdigkeit ihrer Tochter untersucht werden solle, da diese unter Depressionen leide. Die 28-Jährige erzählt wenig später von dem Geständnis ihrer Mutter am Telefon, ihrem Schock und ihrer Entscheidung: "Ich konnte dieses Wissen und die Verantwortung nicht tragen." Ihre Schwester sei auch von der Mutter eingeweiht worden. "Ich ging dann zur Polizei", sagt die Heilpraktikerin. Der Prozess wird am Donnerstag fortgesetzt.

© SZ vom 27.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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