Prozess:Der Schock im Taxi

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Übergriffe oder nicht? Eine Frau und ihr "Onkel" vor Gericht

Von Susi Wimmer

Monatelang hatte Karen S. mit sich gekämpft. Mit den Erinnerungen an das Gegrapsche in jener Nacht, ihrer Angst vor diesem Mann, gekämpft auch mit dem Ratschlag der Mutter, ja nicht zur Polizei zu gehen. Doch die 22-Jährige nahm irgendwann all ihren Mut zusammen und erstattete Anzeige. Jetzt sitzt die junge Frau mit den langen dunklen Haaren im Gerichtssaal als Zeugin und Nebenklägerin ihrem mutmaßlichen Peiniger gegenüber. Auf der Anklagebank: Kizil S. Der 50-Jährige bestreitet alle Vorwürfe vehement und sagt: "Ich bin doch ihr Onkel."

Das mit dem Onkel stimmt nicht so ganz. Kizil S. ist über mehrere Ecken mit dem Mädchen verwandt, die Familien kennen sich gut. Und man weiß, dass Kizil S. nebenbei Taxi fährt. So kam es zustande, dass der "Onkel" die junge Frau im März 2015 abends um 22.30 Uhr zu einer Party an die Leopoldstraße fuhr. Eine Freundin von Karen S. feierte dort ihren Geburtstag. Gegen 4 Uhr holte der Taxifahrer sie dort wieder ab und steuerte laut Anklage auf dem Heimweg in der Heßstraße nahe der Reithalle einen abgelegenen Parkplatz an, um noch etwas zu trinken. Dort im Taxi soll er sie dann betatscht und versucht haben, sie zu küssen. Laut Anklageschrift sei das Mädchen ausgestiegen, um zu Fuß nach Hause zu gehen. Er sei ihr nachgegangen, habe sie am Arm gepackt und sie gegen das Taxi gedrückt und erneut begrapscht. Karen S. habe sich lautstark bemerkbar gemacht und gewehrt, schließlich habe er von dem Mädchen abgelassen und sie ohne weitere Übergriffe nach Hause gefahren.

Die Version des taxifahrenden Onkels klingt ganz anders. Karen sei schlecht drauf gewesen, als er sie abgeholt habe. Sie habe aus der Disco ein Glas Wein mitgebracht und den Inhalt im Taxi verschüttet, deshalb habe er angehalten. Sie sei aufgeregt gewesen, weil sie bei der Party angebaggert worden sei und habe dann geglaubt, er wolle sie auch anbaggern. Deshalb sei sie aus dem Taxi gestiegen und er habe sie dazu gebracht, wieder einzusteigen. Dabei habe er sie auf den Arm geklopft. Wenig später sagt er, es könnte auch sein, dass er sie umarmt habe, um sie zu trösten.

Nach diesem Vorfall, sagt die heute 24-Jährige, sei sie ihrem "Onkel" aus dem Weg gegangen, nie wieder in sein Taxi gestiegen. Sie vertraute sich ihrem Freund an und ihrer Mutter. Die Mutter sei geschockt gewesen über "die zwei Gesichter" des Onkels, doch habe sie ihr "wegen der Familie" von einer Anzeige abgeraten. Was würden denn da die Eltern sagen und der Bruder und überhaupt. Karen S. sagt, sie habe Überstunden in der Bank gemacht, um ja ihrem Onkel nicht über den Weg zu laufen. "Ich hatte Angst in der ersten Zeit." Als sie merkte, sie werde mit dem Geschehen nicht fertig, habe sie sich anwaltlich beraten lassen und sei dann zur Polizei gegangen. Und: Sie führte mit Kizil S. ein Telefongespräch, das sie aufzeichnete.

Nach kurzer Beratung lässt das Gericht den Mitschnitt des Telefongesprächs als Beweismittel zu. "Seit der Zeit blutet mein Herz", sagt Kizil S. da. "Ich bin dein Onkel, dass es dazu gekommen ist." Und: "Ich schäme mich ganz ehrlich." Karen S. sagt dann: "Ich kann nicht damit umgehen, wie du mich angefasst hast." Er antwortet: "Karen, mir war alles nicht mehr klar."

Die Verteidiger von Kizil S. greifen die junge Frau an, dass sie nach dem Vorfall doch wieder in das Taxi des Mannes gestiegen sei. "Er hatte von sich aus aufgehört", antwortet sie, und "er ist doch mein Onkel". Der Ausgang des Prozesses war bis zum Abend noch unklar.

© SZ vom 12.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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