Prozess:Blutiges Beziehungsende

Lesezeit: 2 min

Angriff in Lokal: War es Körperverletzung oder versuchter Mord?

Von Susi Wimmer

Das letzte Wort vor der Urteilsverkündung hat wie immer der Angeklagte. "Ich schäme mich, ich würde es gerne rückgängig machen, aber das geht nicht. Es tut mir leid für meine Ex-Frau", sagt Enver K. Ob es dem 38-Jährigen, der laut Nebenklageanwalt Reinhard Köppe die Verhandlung "teils amüsiert" verfolgt habe, tatsächlich leid tut, das wird die erste große Strafkammer am Landgericht München I sicher nicht in erster Linie zu beurteilen haben. Vielmehr geht es darum, ob Enver K. wegen versuchten Mordes an seiner Ex-Frau verurteilt wird oder lediglich wegen gefährlicher Körperverletzung. Was sich nach den Plädoyers von Verteidigung und Staatsanwaltschaft am Montag in folgenden Zahlen ausdrückt: fünfeinhalb Jahre Gefängnis oder zwölf.

Staatsanwalt Laurent Lafleur kennt etliche Adjektive, die in seinen Augen die Tat des Angeklagten treffend beschreiben, etwa: feige, rücksichtslos, brutal, gnadenlos. Enver K. war am 10. August 2016 in die Schwabinger Pizzeria Da Bello e Bello in der Elisabethstraße marschiert. Dort stand seine von ihm getrennt lebende Ehefrau gerade an der Spüle, als er ihr von hinten ein Messer in den Rücken stach. Er schnitt ihr anschließend in die Halsseite, traf sie mit dem Messer an der Hüfte und als sie zu Boden sank, packte er sie an ihren langen Haaren und schnitt ihr mit dem Messer durch das Gesicht.

An der Tat selbst konnten weder der Angeklagte noch seine Verteidiger während der Verhandlung rütteln: Sie ist aufgezeichnet von der Überwachungskamera der Pizzeria, in gestochen scharfer HD-Qualität. Auch nach mehrfachem Betrachten der Bilder "raubt mir die Brutalität immer noch den Atem", sagte Lafleur. Das heute 37-jährige Opfer sei nachhaltig traumatisiert, durch einen tiefen Schnitt in die rechte Hand könnte sie diese nur noch bedingt einsetzen. Und auch wenn durch die Stich- und Schnittverletzungen keine Lebensgefahr bestand, so plädierte Lafleuer auf versuchten Mord aus Heimtücke und niederen Beweggründen. Der Angeklagte habe zu Beginn der Verhandlung verlauten lassen, er habe seine Frau nicht töten wollen. "Was dann?", fragt der Staatsanwalt, "nur ein bisschen schneiden, nur ein bisschen stechen?"

"Er wollte sie entstellen, damit sie damit leben muss", so sieht es Verteidiger Sascha Straube. Allein schon dieses "mit den Narben weiterleben", widerspreche einer Tötungsabsicht. Aus Wut und Enttäuschung darüber, dass die Beziehung endgültig gescheitert sei, habe Enver K. nach schlaflosen Nächten "wie in einem Tunnel" zugestochen. Der Stich in den Rücken sei eher leicht gewesen. "Hätte er sie töten wollen, hätte er mit ganzer Wucht angreifen können." Der Verteidiger sieht eine Affekttat, einen schwelenden Konflikt, den Enver K. nicht lösen konnte und der sich in einem "Vulkanausbruch" entlud, außerdem sieht er einen Rücktritt vom Tötungsversuch. Am Ende forderte Straube eine Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung und ein Strafmaß von fünf Jahren und sechs Monaten.

Die Ehe von Enver K. ist mittlerweile geschieden. Seine Ex-Frau, die sich um die drei gemeinsamen Kinder kümmert, sagte in der Verhandlung aus, sie könne nicht ohne Schmerzmittel leben. Und: "Überall wo ich bin, ich habe Angst". Das Urteil wird am 31. Juli verkündet.

© SZ vom 25.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: