Pro und contra dritte Startbahn:Zeichen der Zuversicht oder Projekt der Vergangenheit?

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Der Flughafenausbau ist wirtschaftlich unvernünftig, er schadet Mensch und Natur, sagen die einen. München braucht die dritte Piste, um attraktiv für Menschen aus aller Welt zu bleiben, die anderen. Erbittert wurde bis zuletzt über die geplante Start-und Landebahn gestritten. Noch bis 18 Uhr können die Münchner entscheiden.

Christian Krügel und Christian Mayer

Beim Münchner Bürgerentscheid über den Bau der umstrittenen dritten Startbahn am Flughafen München ist die Wahlbeteiligung am Sonntag über die Mittagszeit auf 25 Prozent angestiegen. Das sei ein stärkerer Anstieg als sonst über die Mittagsstunden bei Bürgerentscheiden üblich, sagte der stellvertretende Wahlamtsleiter Joachim Dyllick in München. "Für einen Bürgerentscheid ist das ganz ordentlich." Bis 18.00 Uhr haben die Wahllokale noch geöffnet.

Münchens Oberbürgermeister Christian Ude hat beim Bürgerentscheid über den Bau einer dritten Startbahn am Sonntagvormittag seine Stimme abgegeben. Der SPD-Politiker warb in seinem Wahllokal am Elisabethplatz erneut für den 1,2 Milliarden Euro teuren Flughafenausbau. (Foto: dpa)

Gleichgültig wie der Bürgerentscheid in München zum geplanten Bau einer dritten Startbahn ausgeht, will die Staatsregierung das Ziel der Flughafenerweiterung weiter verfolgen. Bayerns Wirtschaftsminister Martin Zeil (FDP) sagte der Welt am Sonntag: "Wenn die Bürger aber eine dritte Startbahn ablehnen, liegt es in der Hand der Stadt München als Gesellschafterin zu entscheiden, wie sie weiter verfahren möchte. Sie muss für ihr Handeln Verantwortung tragen. Die Staatsregierung bleibt bei ihrer eindeutigen und verantwortungsvollen Haltung - ohne Wenn und Aber - nämlich, den Flughafen bedarfsgerecht auszubauen."

Aber braucht der Münchner Flughafen wirklich eine weitere Startbahn?

Ein Pro von Christian Mayer

Ohne Zuversicht und Mut geht es nicht. Wer für die dritte Startbahn ist, glaubt daran, dass Deutschland der Krise trotzen wird und Europa seine Probleme in den Griff bekommt. Wer die Startbahn will, glaubt auch, dass die Welt weiter zusammenwächst und nicht auseinanderdriftet. Unter diesen Voraussetzungen ist eine Erweiterung des Flughafens richtig und notwendig.

Momentan kommt München zwar noch relativ gut mit zwei Startbahnen aus. Das kann bestätigen, wer den wohlorganisierten, geräumigen Münchner Flughafen mit anderen großen Airports vergleicht, die nicht nur zur Ferienzeit regelmäßig im Chaos versinken. Für das Projekt spricht allerdings die langfristige Entwicklung des Luftverkehrs.

Seit der Eröffnung des neuen Flughafens im Erdinger Moos vor 20 Jahren hat sich die Zahl der Starts und Landungen in etwa verdoppelt, die der Passagiere sogar mehr als verdreifacht. Es spricht viel dafür, dass in einer globalisierten, mobilen Welt dieser Trend anhält, auch wenn die Boomphase mit hohen Steigerungsraten und ständig neuen Rekorden wohl erst einmal vorbei ist. Aber selbst bei einem moderaten Wachstum mit gelegentlichen Dellen wird die Kapazitätsgrenze bald erreicht sein. Und dann braucht man einfach mehr Platz, mehr Piste, mehr Potential.

Natürlich ist der Münchner Flughafen mit seinen 30 000 Mitarbeitern ein bedeutender Jobmotor in der Region. Auch seinetwegen ist der Großraum München als Standort für international tätige Unternehmen attraktiv. Dieses Argument haben die Startbahngegner, die zu Recht auf die Umweltprobleme und die Sorgen der Anwohner hinweisen, nicht entkräften können.

Es gehört zu den Eigentümlichkeiten der Münchner, dass sie mit den Verhältnissen ganz zufrieden sind, solange alles so bleibt, wie es ist. Sie jammern über die hohen Mietpreise, sie regen sich auf, wenn wieder einmal der S-Bahn-Verkehr zusammenbricht, weil es die Politiker in Berlin und München immer noch nicht geschafft haben, das bisherige System mit einer zweiten Stammstrecke zu entlasten. Aber im Grunde sind sie froh, in einer so überschaubaren, sauberen und sicheren Stadt wie München leben zu können, einer Stadt, die genügend Jobs und Lebensqualität bietet und darüber hinaus ein beneidenswertes kulturelles Angebot hat.

Selbstverständlich ist das nicht alles, und man braucht dafür auch die richtigen Leute. In München ist der Chef des Hauses der Kunst ein in New York sozialisierter Nigerianer, der Intendant der Kammerspiele ein polyglotter Holländer, der künftige Generalmusikdirektor der Staatsoper ein junger Russe mit besten Verbindungen nach Liverpool und Oslo. Sie alle sind einmal im Nordosten der Stadt gelandet, ebenso wie viele exzellente Kräfte in der Wirtschaft, der Wissenschaft, im Sport. Das Erste, was sie sahen, war ein gut funktionierender Flughafen.

München muss auch in Zukunft beides verbinden: die gemütliche Bodenständigkeit und eine Weltläufigkeit, deren Voraussetzung der Ehrgeiz ist. Dazu gehört, dass man sich nicht auf seinen Erfolgen ausruht, sondern gelegentlich außerordentliche Anstrengungen unternimmt. Die dritte Startbahn setzt eine solche enorme Anstrengung voraus, aber das ist die Sache wert. München muss attraktiv bleiben für Menschen aus aller Welt, die etwas Besonderes leisten und die Stadt mit ihren Fähigkeiten bereichern.

Darum ist es wichtig, dass die Region einen leistungsfähigen, gut angebundenen Flughafen hat, der als Drehkreuz mit anderen Bewerbern konkurrieren kann - schließlich sitzen in den Maschinen, die von München aus abheben, überwiegend Passagiere aus anderen Städten und Regionen. Wie sehr der Ruf einer Stadt davon abhängt, ob man schnell und zuverlässig dort landen kann, sieht man übrigens beim neuen Großflughafen Berlin-Schönefeld. Er ist ein politisches und finanzielles Desaster: Mehr kann man sich vor den Augen der Welt gar nicht mehr blamieren.

Der Münchner Flughafen ist das sichtbare Zeichen in der Region für Weltoffenheit und Wettbewerbsgeist. Wer so viel in die Airport-Erweiterung investiert, strebt eine Spitzenposition in Deutschland und Europa an. Das kann nur gelingen, wenn man neue Airlines anlockt und neue Flugziele anbieten kann - nicht zuletzt in boomenden Ländern wie China, Indien oder Brasilien.

Ja, man braucht Zuversicht und Mut für dieses Unternehmen, weil heute keiner genau weiß, wie es mit dem Euro weitergeht, wann die nächste Krise auf die Fluggesellschaften durchschlägt und ob die Lufthansa, die treibende Kraft auf dem Terminal 2, vielleicht länger schwächelt.

Auf der anderen Seite wissen die Realisten unter den Startbahn-Befürwortern auch: Wer die dritte Startbahn will, muss sie jetzt durchsetzen, sonst ist die Chance vertan. Bauvorhaben dieser Art in Deutschland zu realisieren, wird von Jahr zu Jahr schwieriger, selbst wenn man gute Argumente hat. Man sollte es also eingehen, das Wagnis.

Ein Contra von Christian Krügel

Das Projekt einer dritten Startbahn am Münchner Flughafen ist das Ergebnis einer antiquierten Wachstumsphilosophie, die nur ein Prinzip kennt: Mehr ist besser. Oder wie es Flughafen-Chef Michael Kerkloh sagt "Stillstand ist Rückschritt." Also braucht es von allem mehr: mehr Flugziele, mehr Starts und Landungen, mehr Passagiere. Die Profitmaximierung muss das Ziel eines Geschäftsführers sein. Mit einer vernünftigen Verkehrs- und nachhaltigen Wirtschaftspolitik hat das aber nichts zu tun.

Natürlich ist es angenehm, weniger lang auf Anschlussflüge warten zu müssen. Natürlich ist es bequem, von München aus in fast alle Feriengebiete der Welt fliegen zu können. Und sicherlich profitiert auch irgendjemand von einer Direktverbindung nach Irkutsk in Sibirien. Den Traum vom Fliegen wird man den Menschen nicht nehmen können, schon gleich gar nicht, wenn er nur 59 Euro für einmal München - Mallorca kostet.

Ökologisch vertretbar ist das aber längst nicht mehr. So, wie sich dieses Land eine Energiewende verordnet hat, braucht es deshalb auch eine Wende in der Verkehrspolitik. Natürlich wird es immer Langstreckenflüge nach Bangkok oder New York geben müssen. Wer aber von München nach Stuttgart, Frankfurt oder Zürich will, für den muss die Bahn zum attraktivsten und günstigsten Reisemittel werden. Es wird weiterhin leistungsfähige Flughäfen brauchen - aber nicht, um jedes Ziel in Mitteleuropa siebenmal täglich zu Billigpreisen anzufliegen.

Der Bund, der Freistaat Bayern und die Stadt München als Gesellschafter des Flughafens tun freilich nichts für eine solche ökologisch und bedarfsorientierte Verkehrspolitik, wenn sie den Bau einer dritten Startbahn durchsetzen. Der Airport-Ausbau wird zwangsläufig neue Angebote, zusätzliche Nachfrage, mehr Passagiere und mehr Flüge bringen. Die Konkurrenz zwischen München und Frankfurt wird schärfer werden, der Wettkampf um die attraktivsten Airlines, besten Ziele, billigsten Angebote härter - "wenn wir nicht das Geschäft machen, macht es ein anderer", sagt Flughafen-Chef Kerkloh.

Und wohin soll das führen? Irgendwann zu einer vierten Startbahn in München, zu einer fünften in Frankfurt? Aus dem Umweltbundesamt kam zuletzt die Forderung nach einer Flugverkehrsplanung für ganz Deutschland, um ein solches Rattenrennen um die meisten Starts und Landungen zu vermeiden. So sehr das nach unrealistischer Planwirtschaft klingen mag, so sinnvoll ist doch der Gedanke. Ausbauprojekte dürfen nicht vom Wachstums-Wunschdenken von Landesregierungen und Flughafen-Gesellschaften abhängen, sondern müssen am echten gesamtwirtschaftlichen Bedarf ausgerichtet sein.

Und der ist im Fall München zumindest mehr als fragwürdig - was gerade die Lufthansa, der wichtigste Partner des Münchner Flughafens, zu spüren bekommen könnte. Sie hat für die neue Startbahn zusätzliche Starts und Landungen zugesagt. Angesichts ihrer aktuellen wirtschaftlichen Nöte könnte es der Fluglinie aber schwerfallen, das zusätzliche Geschäft auch beizubringen. Dann jedoch müsste der Flughafen auf verstärkte Partnersuche bei der Konkurrenz gehen, was wiederum der Lufthansa nicht gefallen kann. Bayerns Finanzminister und Flughafen-Aufsichtsratschef Markus Söder spricht schon von anderen Fluglinien und träumt von einer "Brückenfunktion" des Münchner Airports nach Indien und China.

Reichlich kühne Phantasien, für die aber jetzt große Opfer gebracht werden müssen. Ein halbes Dorf wird unbewohnbar; Zigtausende im direkten Flughafenumland und in der Universitätsstadt Freising müssen mit einer deutlich höheren Lärm- und Umweltbelastung rechnen; die letzten Reste des Erdinger Mooses verschwinden unter vier Kilometern Beton.

Als Kompensation werden 22.000 zusätzliche Arbeitsplätze in Aussicht gestellt, die durch den Bau der dritten Startbahn geschaffen werden sollen. Natürlich ist auch für den erfolgsverwöhnten Großraum München jede neue Stelle ein Gewinn. Neue Arbeitsplätze bedeuten aber auch eine noch größere Attraktivität und weiteren Zuzug. Dem ist diese Region nicht mehr gewachsen.

Miet- und Quadratmeterpreise sind die höchsten in der Republik, weder in der Stadt noch im Umland gibt es Flächen, auf denen bezahlbarer Wohnraum in größerem Stil geschaffen werden könnte. Es fehlen Krippen- und Hortplätze, von Ganztagsschulen ganz zu schweigen. Der öffentliche Nahverkehr kommt jeden Tag an seine Belastungsgrenze, 800.000 Pendler täglich sehnen den Ausbau der S-Bahn, nicht des Flughafens herbei. Und der Airport selbst ist auch 20 Jahre nach seiner Eröffnung am besten aus der Luft zu erreichen: Bund und Freistaat haben bis heute keine leistungsfähige Schienenanbindung hinbekommen.

Der Bau einer zweiten S-Bahn-Stammstrecke ist deshalb für das wirtschaftliche Wohlergehen des Großraums München und für dessen Arbeitsplätze wichtiger als der Bau einer dritten Startbahn. Hier wäre Stillstand wirklich Rückschritt.

© SZ vom 16.06.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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