Porträt:Fernweh nach der Vergangenheit

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Verwandlung: Zieht Markus Naegele den Stetson auf und den Nudie-Suit an, wird er zu Don Marco; einem nostalgisch-romantischen Country-Musiker, der auf Deutsch singt. (Foto: Tibor Bozi)

Eigentlich war der Münchner Verleger Markus Naegele auch mal Musiker und DJ. Um wieder freier musizieren zu können, hat er nun die Kunstfigur Don Marco für sich erschaffen

Von Christian Jooß-Bernau

Ein Song wie ein leicht rotstichiges Foto aus den frühen 90ern, das man beim Aufräumen im Umschlag unten in der Schublade findet. Mit dem wilden Übermut eines schon leicht angesoffenen Partygasts schallert die akustische Gitarre los, von hinten sprintet die E-Gitarre vorbei, das Schlagzeug bolzt sich seinen Weg, und in der Luft ist ein singend heulender Ton. Eine mit E-Bow gespielte Lap-steel, die in ihrer herzlich sägenden Schluffigkeit an J Mascis und Lou Barlow erinnert. So warm fühlt sich das an, wie der alte Frotteemorgenmantel, von dem man sich nicht trennen mag. Und dann ist da die aufgekratzte Stimme von Don Marco, ein alter Bekannter, der in "Osnabrück" mal anfragt: "Wann gehn wir wieder mal ins Kino / Hast Du nicht Lust auf ne Runde Billard / warn ewig nicht mehr unterwegs / es ist doch wirklich nicht so spät". Weil die Zeiten sind, wie sie sind, überfällt einen in diesem Moment die Nostalgie mit einem kleinen Stich Sehnsucht ins Gemüt.

"Gehst Du mit mir unter" heißt das erste Album vom Don Marco & Die kleine Freiheit. Auf dem Cover blickt der Don mit grauem Stetson, auf dem Schoß eine Porzellankatze, aus dem Seitenfenster eines Oldtimer-Pick-ups. Die Haare wallen grau. Und man muss schon etwas älter sein, um den Witz zu verstehen. Hier nachgestellt ist das Cover eines Leon-Russel-Albums von 1978. "Americana" hieß es, und Leon Russels Haare wallten noch ein bisschen grauer. Auf seinem Schoß: ein kleines Hündchen. Don Marco ist ein großer Katzenfreund. Nimmt er den Stetson ab heißt er auch nicht mehr Don Marco, sondern Markus Naegele und leitet als Verleger Heyne Hardcore. Zum Gespräch erreicht man ihn telefonisch in dieser eigenartig virtuellen Atmosphäre, die diese Monate bestimmt. Nicht leicht für Naegele, der ein Mann für den direkten Kontakt ist, für die Begegnung, die Plauderei, die spontane Eingebung und die aus dem Zufall entstandene Umsetzung. Zwischenzeitlich hat er schon an einem Nachfolgealbum gearbeitet, aber bevor er sich selbst überholt, muss das erste Werk ans Licht. Schließlich hat man aufgenommen, gemischt, gemastert, gepresst, Videos gemacht, eine Band für Live-Auftritte zusammengestellt, eine Booking-Agentur gesucht. Und dann verschoben. So drohte auch die Begeisterung auf unbestimmte Zeit verschoben zu werden. Deshalb muss es jetzt sein. Am 31. Januar wird es einen kostenpflichtigen Stream aus der Milla geben. "It's a Rock 'n' Roll Love Letter" heißt er. Ein Abend mit Briefen an und von Musikern, kombiniert mit den Songs von Don Marco & Die kleine Freiheit. In der Live-Band spielen Philip Bradatsch an der Gitarre und Bassist Kevin Ippisch, beide sind auch auf dem Album zu hören. Neu sind Schlagzeugerin Maria de Val und Teresa Staffler an den Keyboards.

Mit dem Veranstalten von Text-Musik-Abenden kennt sich Naegele aus, die "Heyne Hardcore Night" ist seit einer ganzen Weile die anfassbare Umsetzung des Verlagsprogramms. Dass Naegele jetzt als Don Marco erscheint, ist auch der Versuch, das Berufliche vom Musikalischen klar zu trennen. Zweiteres hat eine lange Vorgeschichte in seinem Leben: "Ich war immer mehr Musikexperte als Buchexperte", sagt er ganz offen. Don Marco ist sein alter DJ-Name aus Frankfurter Tagen, so Ende der 80er, Anfang 90er: "Ich hab da früher in Frankfurt auch schon angefangen, Platten aufzulegen in Clubs, Band gemanagt, für Zeitungen geschrieben und ein Label gemacht, und so weiter ...." Don Marco ist der Undsoweiter-Typ. Einer, der dies macht, wenn er nicht das macht und 2016 mit Fuck Yeah das erste Album veröffentlichte. Es wurde eine kurze aber wahrnehmbare Bandkarriere mit zwei Alben, die dann im Proberaum versickerte, zwischen Diskussionen, die immer mehr Raum einnahmen und die Musik zur Tür hinaus drängten.

Der zweite späte musikalische Neustart des Markus Naegele hat mit Udo Lindenberg zu tun und mit Homerecording. Als Naegele vor einer Weile gemeinsam mit seiner Frau Gesangsunterricht nahm und dabei Lindenberg-Nummern singen musste, die der vom Englischen ins Deutsche übertragen hatte, stellte er erstaunt fest, wie das funktionieren kann. Denn statt der schönen phonetischen Schlichtheit zwingt einen das Deutsche dazu, "außenrum" zu singen. Und um das für sich und sein eigenes Material auszuprobieren nahm Naegele Songs mit einem günstigen Acht-Spur-Gerät auf; und fummelte solange daran herum, bis er sich traute, damit hinaus in die Welt zu gehen.

Auf dem Album haben sich ein paar Demos als Bonustracks erhalten. Hier scheint bei Don Marco natürlich der Verleger durch, der vom ersten Album an gleich eine umfassende und kritische Werkausgabe liefert. Glücklicherweise ist die editorische Professionalität gebrochen durch den Antifolk-Gestus der Demos. Die rappelig,staksende Ästhetik der Drummachine, die Don Marco als Notbehelf nutzte, hat sich auch auf zwei Studioversionen erhalten. Die wurden weitgehend ungeprobt eingespielt, was dem Album eine unbekümmert organisch frische Note gibt. "Ein Song ist erst dann ein Song, wenn man ihn auch pfeifen kann." So sieht das Don Marco. Und dieser Happy-Sound geht gut zusammen mit der grundfreundlichen Einstellung der Texte zu Leben und Scheitern. Sollte jemand vergessen haben, was den Slacker der 90er ausmacht, kann er dies in "Der Antrieb ist hin" nachhören.

Wichtiges Klangmoment der Aufnahmen ist Kristof Hahns Lapsteel. Naegele kannte Hahn als Übersetzer. Eher zufällig kamen sie auf Musik, und Hahn beschloss, sich in einen Flixbus zu setzen und im Studio vorbeizukommen. So formte sich etwas aus Zufall und dem Gestaltungswillen Naegeles, den man niemals unterschätzen sollte, wenn es um Detailfragen geht. Denn sein Don Marco ist auch ein Spiegel für alles, was ihm von Folk über Country über den Soul bis tief in den Underground heilig ist. Jahrelang träumte er von einem Nudie Suit, wie ihn Nudie Cohn für Gram Parsons, Elvis Presley und alle schneiderte, die wirklich etwas darstellen wollten. Es ist eine lange Geschichte, wie Naegele ohne Erfolg das Internet nach Originalen leersuchte. Am Ende hat er ihn sich anfertigen lassen. Wenn er ihn anzieht, wird er zu Don Marco, einem Typen, der ein bisschen mehr ist als das normale Leben.

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It's a Rock'n'Roll Love Letter, Live-Stream: Sonntag, 31. Januar, 18 Uhr, Karten unter https://milla-club.reservix.de/p/reservix/event/1646493

© SZ vom 26.01.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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