Pilotin:Die große Freiheit

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Jacquelyn Banas fliegt nicht nur vorwärts - sie beherrscht eine Cessna genauso wie einen Hubschrauber. Das ist außergewöhnlich. Derzeit arbeitet sie als Ingenieurin für unbemannte Flugzeuge

Von Karl Forster

Nur Fliegen ist schöner! Als die deutsche Firma Opel diesen Slogan 1968 für ihren GT-Sportwagen unters Volk brachte, war Jacquelyn Banas noch gar nicht auf der Welt. Die Luft- und Raumfahrttechnikerin aus Fort Lauderdale in Florida mit aktuellem Wohnsitz in München- Untersendling ist 33 Jahre alt und hat noch nie einen GT-Sportwagen gesehen. Aber der Werbespruch passt zu ihr - vielleicht noch viel besser als zu einem Auto. Denn ein Auto kann nicht fliegen. Jacquelyn Banas verdient nicht nur ihren Lebensinhalt damit, Dinge zum Fliegen zu bringen und in der Luft zu halten. Sie beherrscht, und das ist außergewöhnlich, beide gängigen Flugsysteme. Sie fliegt "Fläche", wie die Piloten zu Flugzeugen wie Cessna, Jumbo oder Tornado sagen. Und sie fliegt Hubschrauber. Auf ihrem türkisen Sweatshirt steht "Aloha Paradise Helicopters Hawaii".

Nun mag der erdgebundene Mensch sich fragen, was daran denn so besonders sei. Hauptsache, man ist in der Luft. Doch ist es eine Sache, ein normales Flugzeug in die Luft zu bringen und dort zu bewegen, eine ganz andere aber, dies mit einem Tragflügler, also mit einem Hubschrauber zu tun. Der Unterschied ist ungefähr so groß wie zwischen Schlittenfahren und Slalomrennen. Beides findet auf demselben Element statt, erfordert aber sehr unterschiedliche Kenntnisse. Ein Flächenflugzeug fliegt ausnahmslos vorwärts, ein Hubschrauber dagegen in alle Richtungen. Für jemanden wie Jacquelyn Banas, klein, blond und auf höchst amüsante Weise mit quirligem Temperament gesegnet, ist klar: Vorwärtsfliegen ist schön, aber in alle Richtungen fliegen ist noch viel schöner.

Dabei ist ihr das Fliegen nicht unbedingt in die Wiege gelegt worden. Die Familie von Jacquelyn Banas war aus Chicago ins sonnige Florida gezogen, ihr Vater ist Cop, also Polizist in Fort Lauderdale, das ältere Münchner vielleicht noch vom Namen her kennen, weil dort einst ein FC-Bayern-Fußballer namens Gerd Müller bei den Fort Lauderdale Strikers seinen sportlichen Austrag verbrachte. "Ich war mit Booten aufgewachsen", sagt Jacquelyn Banas, und mit Computern, die sie mit ihrem älteren Bruder schon im Schulalter zu reparieren und aufzupeppen begann. Ans Fliegen dachte sie nie.

Zu Hause in der dritten Dimension: Jacquelyn Banas im Cockpit einer Cessna 172. (Foto: Privat)

Und doch muss da ein gewisses Flug-Gen in ihr geschlummert haben. Ihr Vater war Pilot in Vietnam, flog zunächst eine Bell UH 1, mit dem Spitznamen "Huey" belegt und bekannt nicht nur aus dem gewaltigen Epos "Apocalypse Now". Es gibt kaum einen Vietnam-Film ohne eine Huey. Der Vater wurde im Vietnam-Krieg abgeschossen, kam ins Lazarett und dann zurück zur Einheit, wo er umschulte auf den Kampfhubschrauber Cobra, bei der der Bordschütze vorne im Cockpit sitzt und der Pilot erhöht dahinter.

Der Vater von Jacquelyn Banas verlor später zu Hause kein Wort über seine Einsätze. Darum spürte Banas zunächst auch nichts von der Faszination des Hubschrauberfliegens. Sie weiß nur, dass nach Ende des Krieges der Markt übervoll war mit Heli-Piloten. Viele schulten um, und als ihr Vater die Chance bekam, Polizist in Fort Lauderdale zu werden, sagte er zu. Auch, weil dort das Wetter wesentlich freundlicher war als in Chicago, der berüchtigten "windy city".

Was angesichts des Viertels, in dem die Familie von Jacquelyn Banas lebte, auch nicht ganz ungefährlich war. Oft gab es Schießereien, manchmal auch Tote. "Die Nachbarn kamen aus Jamaika, Haiti, den Bahamas, der Karibik oder dem Rest Amerikas"; keine einzige Familie aus der "Neighborhood" stammte aus Florida. Genau genommen trifft das auch auf Banas' Familie zu, die "ein bisschen polnisch, ein bisschen deutsch und ein bisschen irisch ist".

Jacquelyn Banas war gut in Mathe, Klassenbeste manchmal. "Ich wurde zum Computernerd", sagte sie, sie lernte Hard- und Software in- und auswendig kennen. Und marschierte also gut gewappnet und mit einem Stipendium in der Tasche nach dem Abschluss auf die St. Thomas Aquinas Highschool von Fort Lauderdale, eine katholische Hochschule, die höchstes Ansehen genießt. "Ich dachte zuerst an Jura", sagt Banas. Sie entschied sich aber dann für das Ingenieurwesen. Zunächst, ohne zu wissen, in welche Richtung das denn führen sollte. Den Wegweiser fand sie auf sehr typisch amerikanische Weise: in einem Sommercamp. Das führte Jacquelyn Banas nach Colorado Springs in die dortige US Air Force Academy. Ein erster direkter Kontakt mit der dritten Dimension, mit Flugzeugen aller Art, mit Piloten, mit dem Abenteuer Fliegen. Und Banas dachte an ihre Lieblingsfilme von früher: An "Top Gun", "Full Metal Jacket", aber auch "The Hunt of Red October", wobei sie noch lachend erzählt, wie ihr Vater ihr damals mitgeteilt habe, dass ein U-Boot das einzige Gefährt sei, auf dem in Amerika Frauen keinen Zutritt haben. "Kannst du dir vorstellen, wie das ist: Männer und Frauen für Monate unter Wasser?" Aber sie wollte ja nicht unter Wasser, sondern in die Luft. Das war jetzt klar.

Hier posiert Jacquelyn Banas stolz vor einer Cessna 172. (Foto: Privat)

Nach dem Highschool-Abschluss 2008 kam sie ein paar Jahre später auf das Georgia Institute of Technology in Atlanta im Bundesstaat Georgia, kurz Georgia Tech genannt und neben dem MIT und Berkeley eine der renommiertesten Hightech-Unis der Vereinigten Staaten. Und weil Jacquelyn Banas ein Mensch ist, der sich nicht mit kleinen Schritten abgibt, waren Weg und Ziel schon nach der Highschool klar definiert: Bacherlor's Degree als Wissenschaftlerin in Antriebstechnik, danach 2008 ein Job als Flugversuchsingenieurin bei der Sikorsky Aircraft Corporation in Jupiter, Florida, einem der größten Helikopterkonzerne der Welt. Dann das Master Degree wieder auf der Georgia Tech.

Fliegen konnte Jacquelyn Banas noch nicht, als sie bei Sikorsky Aircraft anfing. Das änderte sich, weil sie auf dem täglichen Weg zur Arbeit am Flugplatz von Jupiter vorbei kam, den sie dann unbedingt einmal inspizieren wollte. Die Folge des Besuchs: 2012 überreichte man Jackelyn Banas die Privatpilotenlizenz. Ihr bevorzugtes Fluggerät: eine einmotorige Cessna 172s.

Drei Jahre später wechselte die lizensierte Pilotin Jacquelyn Banas also wieder zurück auf die Georgia Tech in Atlanta für das Master Degree. Weil Fliegen in den USA zwar ziemlich unkompliziert, aber für eine Studentin trotzdem sehr kostspielig ist, suchte Banas nach Alternativen. Im Netz fand sie die "Pilots 'n' Paws" (PNP), eine Non-Profit-Organisation, die Hunde und andere Haustiere in Tierkliniken oder zu neuen Besitzern fliegt. Auf dem kleinen Tom B. David Airport nahe der Kleinstadt Calhoun, eine Autostunde außerhalb von Atlanta, flog ein in Sachen Tierschutz engagierter Pilot mit seiner Piper Cherokee Tiere für PNP. Er suchte gerade einen Co-Piloten. Jacquelyn Banas war zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort. Flugstunden zu sammeln war jetzt kein Problem mehr.

Und weil der Zufall es weiter gut mit ihr meinte, lag gegenüber von seinem Hangar eine Halle mit ein paar Helikoptern, die einem gewissen Ron Dobbs gehörten. Was lag näher, als Dobbs zu fragen, ob sie einmal so ein Fluggerät ausprobieren dürfe. "Wie wär's mit nächsten Samstag?", fragte Jacquelyn Banas. Dobbs nickte. "Passt!"

Und an diesem Samstag passierte dann, was im Nachhinein ein bisschen unwahrscheinlich klingt: Jacquelyn Banas war sofort eins mit dieser Maschine, einer Schweizer 300, einem amerikanischen Leichthubschrauber. Es dauerte nur ein paar Flugminuten, bis sie die drei Bedienelemente des Helikopters verstanden hatte: die Pedale für den Heckrotor, den Pitch für den Anstellwinkel des Rotors, den Stick für die Flugrichtung. Diese drei Ebenen müssen sich zu einem großen Ganzen fügen, ähnlich wie beim Schlagzeugspielen oder beim Spiel einer Orgel.

Banas' wahre Leidenschaft gilt der Hubschrauberfliegerei, zum Beispiel mit dem kleinen Heli Schweizer 300. (Foto: Privat)

Jacquelyn Banas jedenfalls flog nach einer Viertelstunde Einweisung fast so, als hätte sie ihr Leben lang nichts anderes getan. Am Ende des ersten Flugtags verblüffte sie Dobbs dann noch mit einem der schwierigsten Manöver, dem Schwebeflug, in der Fachsprache "Hovern" genannt. Dabei bleibt der Heli in der Luft auf der Stelle, der Pilot muss nicht nur die drei Systeme millimetergenau beherrschen, sondern auch jeden Windhauch vorausahnen. Für Jacquelyn Banas kein Problem. Nach dem vierten Flug schickte Dobbs sie alleine los. "Ich habe vielleicht den billigsten und besten Platz auf der Welt fürs Heli-Fliegen gefunden", sagt Banas. "Das ist die große Freiheit!"

2016 hatte sie ihr Studium an der Georgia Tech mit dem Master Degree erfolgreich beendet und dann dem Gefühl nachgegeben, dass es in Europa, in Deutschland vielleicht besser sei zu leben und zu arbeiten. Heute kämpft sie ein bisschen mit Heimweh nach den Cessna-Flügen über Florida und den Hubschrauber-Abenteuern rund um Calhoun. Sie arbeitet bei einer Elektronik-Firma im Westen Münchens als Ingenieurin für unbemannte Flugzeuge und ähnlich zukunftsorientierte Projekte. Geflogen ist sie hier noch nicht, das Umschreiben der Lizenzen ist extrem aufwendig und teuer - und die Fliegerei nicht annähernd so frei und einfach wie bei ihr zu Hause in den USA. Aber einen Pilotenstammtisch hat sie schon ausgemacht. Und von da ist der Weg in ein Cockpit ja nicht mehr ganz so weit.

Ihre neuen Arbeitskollegen, viele aus der Bundeswehr, sprechen mit ihr Schwäbisch, Sächsisch, Bairisch. Sie antwortet meist auf Englisch, "obwohl mein Deutsch schon viel besser geworden ist". Und wie arbeitet es sich in einem so männerdominierten Beruf als Flugzeugingenieurin mit dem Master Degree der Georgia Tech? Da atmet Jacquelyn Banas kurz tief durch und erzählt, wie sie einmal ein Gespräch mitbekommen habe des Inhalts, dass einer ihrer Kollegen einen anderen gefragt habe, ob er glaube, dass sie, Banas, in der Lage sei, eine Go Pro Kamera ein- und auszuschalten. Da ist dann Jacquelyn Banas aus Fort Lauderdale in Florida, 33 Jahre alt und ausgebildet in Luft- und Raumfahrttechnik, kurz in die Luft gegangen. Ganz ohne Lizenz.

© SZ vom 02.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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