Durchschnaufen? Was für eine blöde Frage. Angelika Gramüller wirkt fast etwas entrüstet. "Zwei Jahre sind schnell rum, wir müssen in die Pötte kommen!", mahnt die Vorsitzende des Münchner Trabrenn- und Zuchtvereins (MTZV) entschieden.
Es ist der zweite Weihnachtsfeiertag. Über der Trabrennbahn in Daglfing geht die Sonne unter - nicht metaphorisch, sondern tatsächlich. Irgendwo hinter Wolkenfetzen. Für Gramüller ist dieser Renntag in vielerlei Hinsicht ein ganz besonderer. "Einen schönen Abschied" hatte sie sich gewünscht, sie meinte: einen Abschied von der Rennsaison 2016. Sie weiß ja nun, dass es hier mindestens noch ein paar Jahre weitergehen wird, wenn auch nicht so, wie manche Mitglieder sich das gewünscht hätten. Aber da ist noch etwas anderes: Das Hauptrennen, der mit 5000 Euro dotierte Weihnachtspreis, trägt eine Art Untertitel: "Peppi-Gramüller-Erinnerungsrennen".
Im Juli hat Angelika Gramüller ihren Mann verloren, im Alter von 62 Jahren, völlig überraschend. Eines Nachts versagte sein Herz. Das kleine Kirchlein in Daglfing sei voll gewesen, erzählt sie, doch davor, im Freien, seien noch viermal so viele Menschen gestanden. Über Jahrzehnte war Josef Gramüller eine schillernde Figur in der Daglfinger Trainergilde. Anstelle von Trauerkränzen hatte sie lieber um Spenden für einen lukrativen Renntag gebeten. An solchen Tagen zeigt sich dann wohl, dass es fernab allen Streits um das Vereinsgelände, der in den vergangenen Jahren das Leben rund um die Trabrennbahn bestimmt hat, immer noch etwas anderes gibt.
Zwei Jahre. Kürzlich haben die Mitglieder beschlossen, den Rechtsstreit zur Rückeroberung ihres 2005 verkauften Grundstücks zu beenden und einem Vergleich mit dem Käufer Günther Karl zuzustimmen. Damit ist der Verein entschuldet und hat in Daglfing noch bis 2022 ein Bleiberecht. Was dann kommt, ist völlig offen. In Maisach steht ein Ersatzgrundstück bereit, zwei Jahre lang will es der Unternehmer Karl dem MTZV reservieren. Bis dahin muss sich der Verein dafür oder dagegen entscheiden. Weil kaum noch ein Mitglied nach Maisach ziehen will, heißt das für Angelika Gramüller, dass sie Alternativen finden muss. So schnell wie möglich. Sie sieht gar nicht ein, jetzt durchzuschnaufen. Auch nicht an einem solchen Tag.
Der Weihnachtsrenntag hat eine besondere Tradition in Daglfing. Über Jahrzehnte war er ein Saisonhöhepunkt, bis 2010 gab es im Hauptrennen noch 30 000 Euro zu verdienen; 2012 stellte der Hauptverband sein Zuchtrennen ein. 2015 stand der Renntag dann sogar ganz auf der Kippe, weil ein Preisgeld von 1000 Euro je Rennen kaum noch Teilnehmer unter dem Christbaum hervorlockte. Dieses Jahr sieht es besser aus. Allerdings, so heißt es im Verein, hätte es der letzte Renntag vor der Insolvenz sein können, wäre keine Lösung gefunden worden - also entweder ein Vertrag mit einem der Investoren, mit denen Gramüller monatelang verhandelt hatte, oder eben der Vergleich mit Karl. Es wäre dann eine andere Art Abschied geworden.
Gerhard Biendl stößt einen tiefen Seufzer aus. "Grundsätzlich steht es schlecht" sagt der alteingesessene Münchner Trainer und Fahrer und schlägt damit in eine ähnliche Kerbe wie seine Kollegen Josef Franzl und Josef Sparber. "Ohne PMU sogar ganz schlecht." Der französische Wettanbieter überträgt ausgewählte Renntage aus Daglfing ins Nachbarland, erzielt damit Wetterlöse und sponsort die Preisgelder. Für Fahrer und Besitzer verspricht dies bessere Einnahmemöglichkeiten, dem MTZV sichert diese Partnerschaft die Renntage. Im kommenden Jahr finden sogar mehr PMU-Rennen statt als noch 2016. Biendl, Franzl und Sparber sehen in diesem Engagement ein positives Zeichen.
Vor allem die Standort-Zusicherung bis 2022 lässt Biendl aufatmen. "Wenn man sich die nächsten Jahre anschaut, ist die Rennbahn finanziell abgesichert", sagt er. "Über diesen Zeitraum mache ich mir keine Sorgen." Und danach? Biendl ist 59.
Klar ist, dass im Münchner Nordosten ein riesiges Wohngebiet entstehen soll, eines Tages werden hier wohl die Bagger anrollen. "Am liebsten würde ich in München fahren, bis ich in Rente gehe. Aber das wird sich nicht ausgehen", sagt Josef Franzl, 45. Vom Umzug nach Maisach hält er ebenso wenig wie Biendl oder Sparber. "Wer setzt sich denn in die S-Bahn oder ins Auto, um in Maisach Trabrennen anzuschauen?", fragt Franzl. Sparbers Zweifel klingen ähnlich: "Wenn es in München nicht geht, warum sollte es in Maisach funktionieren?"
Außerdem: Die Trabrennbahn in Daglfing ist 114 Jahre alt, "das gehört einfach zu München", findet Franzl. Auch Stadtbaurätin Elisabeth Merk hatte die Pferdesportanlagen im Münchner Osten vor einigen Monaten als "Gedächtnis des Ortes" bezeichnet, das sie ganz gerne bewahren würde, trotz der großen Wohnbaupläne. Sparber findet, die Stadt müsse "in die Bresche springen und die Galopper und Traber vereinen". Dieses Gedankenspiel gibt es schon lange, auch wenn sich die Galoppsportler in Riem und die Trabrennkollegen in Daglfing nie so ganz grün waren. Denn eine Trabrennbahn würde nun mal ins Innere der Galopprennbahn passen, und auch der Münchener Rennverein hat Schulden. In Hamburg, weiß Franzl, "hat sich die Stadt eingeschaltet und die Traber zu den Galoppern gebracht". Beide tragen ab 2018 ihre Rennen auf einer Doppelrennbahn aus. Auch in der Hansestadt mussten die Traber dem Wohnungsbau weichen.
Es gibt also Alternativen. Das größte Problem wird sein, woher der MTZV noch Geld für einen Umzug herbekommen will. Entsprechen düster sehen die drei Sulkyfahrer die Zukunftsaussichten. Der 56 Jahre alte Sparber hat sich ein Limit gesetzt, "irgendwann muss man auch die Reißleine ziehen", sagt er. Biendl möchte so lange weitermachen, wie es in Daglfing weitergeht. Danach könnte seine Karriere, die ihm mehr als 4000 Siege gebracht hat, enden.
In sieben Rennen startet Franzl am Montag, vier Siege bräuchte er, um im Fahrerchampionat mit Rudi Haller gleichzuziehen. Zwei gelingen ihm, einmal ist Biendl Erster. Im Hauptrennen setzt sich nach einem Fehlstart und einem Sturz von Gerhard Biendls Celestial Light TK Christoph Schwarz mit Pocahontas Diamant durch.
Durchschnaufen? Lächerlich. Angelika Gramüller blickt geschäftig. Ob das nicht fürchterlich gewesen sei, sich nach dem Tod ihres Mannes gleich weiter um die Zukunft der Trabrennbahn kümmern zu müssen? Wieder klingt sie fast entrüstet: "Im Gegenteil", versichert sie, "das hat mich ja total abgelenkt." Es musste weitergehen.
Über ihr und den beiden pferdesportbegeisterten Töchtern sei "die Welt zusammengebrochen", klar. Und sie hätten sich überschätzt: Josef Gramüller hatte zehn Pferde, die er mithilfe eines Angestellten versorgte, "wir dachten, wir könnten das so weiterlaufen lassen". Doch es ging nicht, nach und nach wurden Tiere verkauft. Nun sind noch fünf da, drei Startpferde, eine Mutterstute und Deckhengst Odessa Santana. Nach ihm ist eines der Rennen benannt, ebenso nach der Paradestute Haniwa, einer von drei Derbyhoffnungen Peppi Gramüllers, die sich wegen Verletzungen nicht erfüllten. 638 Fahrersiege gelangen ihm, der letzte 2007 in Daglfing. 2013 beendete er seine Laufbahn. "Ihm hätte dieser Renntag gefallen", sagt Angelika Gramüller. Sie blickt zufrieden. Es ist viel los, die Tribünen sind gut gefüllt. "Wahrscheinlich wäre er selber gern dabei gewesen."