Peter Gabriel in München:Songs wie Sommergewitter

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Peter Gabriel startet seine Deutschlandtournee "New Blood" in München. Nicht wie gewohnt mit Rockmusikern, sondern mit einem 50-köpfigen Orchester. Oft ist das ganz große Oper. Dafür muss der große innovative Mann des britischen Rockpop nicht über die Bühne hechten.

Lars Langenau

Seit Wochen schon versuche ich es mit den alten Platten von Genesis, streue etwas The Who und die Stones ein und lasse am 1. Mai Arbeiterlieder laufen. Das mag eine etwas extreme Spielart des Kulturimperialismus sein, um Louisa auf den richtigen musikalischen Weg zu führen. Louisa ist sieben und singt gern.

München, Olympiahalle: Deutschlandauftakt der Tournee von Peter Gabriel mit dem New Blood Orchestra (Foto: dapd)

Also krame ich die alten Platten von Peter Gabriel raus, vor allem seine Soloalben. Wir trällern morgens bereits kindgerechte Gassenhauer wie Games without Frontiers, versuchen es mit No Self Control oder Humdrum. Louisa lässt alles stoisch über sich ergehen und zeigt erst keine besondere Reaktion. Doch nach einiger Zeit summt sie in unbeobachteten Momenten mit.

Was sich anhört wie eine Lehrstunde aus einem nordkoreanischen Erziehungslager, ist lediglich die sanfte Hinführung auf ein Konzert von Peter Gabriel in München. Mittwochabend ist es soweit. Jugendschutz hin oder: Louisa ist drin in der gut gefüllten, aber nicht ausverkauften Olympiahalle.

Ich glaube, Peter Gabriel mag Kinder. Er hat selbst vier. Das jüngste ist gerade mal drei Jahre alt. Oder Gabriel hat zumindest Verständnis für Eltern, die neben den Konzertkarten in Höhe von 54 bis 95,40 Euro auch noch das Geld für den Babysitter hinlegen müssen. Denn pünktlich um 20 Uhr startet der Brite. Zunächst kündigt er höchstpersönlich seine Backgroundsängerin Rosie Doonan an und lässt ihrer pianountermalten melancholischen Stimme mit zwei Liedern den Vortritt. Und dann kommt er, der große innovative Mann des britischen Rockpop. Der Intellektuelle von Genesis, der einst die kongeniale Rockoper The Lamb lies down on Broadway erschuf.

Nun eröffnet er mit großem Orchester die Deutschlandtournee seiner im vergangenen Jahr veröffentlichten CD New Blood. Gabriel interpretiert darauf ein paar Hits neu. Weg von der klassischen Besetzung eines Rockensembles mit Drums und Gitarren hin zu einem klassischen Orchester mit the Master himself als Frontmann.

Mit großem Pomp und Brimbori

Die Videoinstallationen seines Bühnenbildes zeigen mikroskopische Vergrößerungen von Blutkörpern und ihre Bewegungen. Neues Blut will Gabriel seinen alten Liedern einfließen lassen. Und es gelingt ihm so oft so perfekt, dass man sich fragt, warum diese Stücke nicht schon in ihrer Urversion mit großem Pomp und Brimborium entstanden sind.

Er beginnt mit Wallflower, einem Stück, das er einst den Opfern der Pinochet-Diktatur gewidmet hatte, und nun allgemein den Opfern von Folter. Die ganz besondere, unverwechselbare Tonierung seiner Stimme lässt den Zuhörern nach wie vor einen Schauer über den Rücken jagen. Louisa muss man nun erklären, worum es in diesem Lied geht. "Um Menschen im Gefängnis." "Aha." Pause. "Aber wenn er das hier singt, dann können die ihn doch gar nicht hören." Entwaffnende kindliche Logik.

Gabriel ist inzwischen 62 Jahre alt. Sein Kopf ist kahl und ein Spitzbart ziert seit Jahrzehnten sein rundlich gewordenes Gesicht. Der innovative Kopf, der Genesis einst groß gemacht hat, ist jedoch kein alter Mann geworden. Er ist lediglich würdevoll ergraut, aber noch genauso agil wie früher.

Und er ist nach wie vor ein politischer Sänger, der sein Lied über den einst vom südafrikanischen Apartheitsregime ermordeten Bürgerrechtler Steven Biko, heute der Freiheitsbewegung in der arabischen Welt widmet.

Doch leider ist Gabriels musikalische Interpretation von Biko in orchestraler Größe der vielleicht einzige Schwachpunkt des Konzertes - die eigentümliche Melodik fehlt nun. Und irgendwie scheint das auch Gabriel zu wissen, das Stück fand keinen Eingang auf seine aktuelle Platte. Immerhin dürfen seine Fans jetzt noch einmal kämpferisch die Faust ballen.

Gabriel beweist auch in der Olympiahalle Sinn fürs Drama, den großen Auftritt, fürs Timing - und nach wie vor für Innovationen. Der Mann dessen Sledegehammer einst die Ästhetik der Musikclips entscheidend vorantrieb, kann mit seiner Bühnenschau noch immer mithalten mit den Großen in der Popwelt. Zeitweise gelingt es ihm, dass man sich wie einem Opernhaus zu fühlt.

Peter Gabriel führt ergreifende, mitreißende Stücke wie Red Rain, sensible wie In your Eyes, nah am Kitsch stehende wie Mercy Street auf, die mit Streichereinsätzen noch imposanter klingen, als sie eh schon sind. Bei seinem frühen Hit Solsbury Hill reißt es viele seiner Gäste von ihren Sitzen.

Viele seiner Stücke sind wie ein Sommergewitter: hochdramatisch, leidenschaftlich, reinigend. Das New Blood Orchestra unter der Leitung des jungen Dirigenten Ben Foster setzt Gabriels Kompositionen kongenial um und wächst zeitweise fast beethovenhaft über sich hinaus.

Oft ist das ganz große Oper. Dafür muss Peter Gabriel nicht über die Bühne hechten. Er kann entspannt stolzieren. Und er liefert ein gutes, solides Konzert. Kein überragendes. Kein Muss, ein Kann. Aber wie singt er so schön? Don't Give Up. Und was sagt Louisa? "Der ist so alt wie Opa. Nur cooler."

Weitere Tourneedaten: 3. Mai, Oberhausen. 6. und 7. Mai, Wolfsburg. 9. Mai, Berlin. 11. Mai, Stuttgart

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