Performance:Dem Himmel entgegen

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Judith Huber (li.) und Eva Löbau im Museum der Erinnerung an 21 Jahre Bairishe Geisha. (Foto: Daniel Kraus)

Die Bairishe Geisha verabschiedet sich und geht auf Pilgerreise

Von Egbert Tholl, München

Wenn die Kinder erwachsen sind, gehen sie weg. Nun feiert die Bairishe Geisha vier Tage lang ihren 21. Geburtstag - und verabschiedet sich. Im Jahr 2000 luden sie zum Gastspiel, ein Jahr später zum Gastmahl, und so ging es weiter. Anfangs waren sie zu dritt, die drei Damen, Eva Löbau und, so das Konstrukt dieser herrlichen Erfindung, ihre zwei Töchter Judith Huber und Marianne Kirch. Nach sechs verschiedenen Publikumsverzauberungen, gastlichen Abenden, poetischen Verstiegenheiten und atemberaubenden Selbstentblößungen stieg Kirch aus. Löbau und Huber, die eine inzwischen "Tatort"-Kommissarin, die andere Co-Theaterleiterin, machten weiter, luden noch mehr Gäste ein als ohnehin schon und wurden mit radikaler Eigenständigkeit im Denken und unverwechselbarer Ästhetik zur weltweit einzigartigen Performancegruppe Münchens. Doch nun mag die Geisha nicht mehr und verschwindet auf einen Berg.

Dieses Verschwinden nennt die Geisha "Schwierigkeiten beim Verständnis", was auf die Lyrik von Fukazawa Shichiro verweist und auf eine japanische Legende. Dieser zufolge wurden in kargen Zeiten die Alten zum Sterben auf einen Berg geschickt, damit die Jungen im Tal gerade noch genug zum Essen hatten. So etwas versteht die Geisha, deren Unternehmungen stets auch fürs leibliche Wohl der Gäste sorgten, falls nötig auch mit selbstgebackener Plazenta. Zudem fühlt sich die Geisha in ihrer derzeitigen Form als alte, weiße Frau, die das Feld Jüngeren überlassen will. Die Filme, die sie bei der Nachfolgerinnensuche zeigen, offenbaren dann allerdings, das ihre Wesenhaftigkeit wohl mit ihr enden wird. Übrigens, um keine Verwirrung aufkommen zu lassen: Man muss die Geisha stets als Entität betrachten, egal aus wie vielen Menschen sie gerade besteht.

Zu diesen Menschen gehören die Besucher ja genauso dazu. Diese sollten nun eigentlich in einer Techno-Trance-Prozession zum Olympiaberg hinanschreiten, doch der Groll des Himmels ob des geplanten Verschwindens verhinderte dies, weshalb der erste Abschiedsabend ausschließlich im Schwere Reiter stattfindet, in welchem Markus Grob ein wundervolles Museum der Erinnerung an 21 Jahre Theater errichtet hat. Mit Kimonos, Gedichten ("Fick mich im Februar"), Reiskochern, Dokumentation und dem Muffat, Geishas Orakel einst beim "Spielart"-Festival. Man sieht Filme, man tanzt zum Techno-Trance, in den herrlich schöne Geisha-Sätze eingewoben sind, man plaudert mit dem Allzweckmusiker Dim Sclichter, man singt. "Dreams are my reality". Eine Realität ist der Traum der Erinnerung an die Geisha.

© SZ vom 26.06.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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