Party-Pionier Mathias Scheffel:Stratege der Nacht

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Angefangen mit öffentlichen Partys hat er in einem Tanzcafé für Senioren, dann machte er Optimol, Filmcasino, Cavos, Catering. Der Unternehmer Mathias Scheffel gilt in München als Urgestein und Party-Pionier.

Philipp Crone

Als er die vier Räder sieht, muss Mathias Scheffel lachen. Sie stehen auf dem Optimolgelände am Ostbahnhof, sind aus Eisen, verrostet und tonnenschwer. "Der Bundesgrenzschutz war neulich da und hat behauptet, die seien gestohlen." Dann hätten die Beamten versucht, die hüfthohen Waggonräder zu bewegen, aber keine Chance. "Immerhin haben sie dann einen Polizeiaufkleber draufgemacht."

Mathias Scheffel, Partys, München (Foto: Stephan Rumpf)

Scheffel macht eine kurze Pause, in der er weiterkichern muss. Der Mann mit dem Scheitel im dünnen schwarzen Haar blinzelt unter seiner Brille. Mit dem fein gezogenen Bärtchen und den ein wenig hängenden Lidern sieht er tatsächlich aus wie eine Mischung aus Kevin Kuranyi und Rainer Brüderle. Er schaut sich einmal kurz um auf dem Hof des Geländes, dann sagt er: "Den Aufkleber hat's natürlich beim nächsten Regen weggewaschen." Scheffel wird schnell wieder ernst. Nur keine Schadenfreude zeigen!

Diese Anekdote könnte auch ein Bild für Mathias Scheffel sein: Er muss sich mit viel Kleinkram und manchmal auch mit Quatsch auseinandersetzen, versucht dabei aber immer gelassen zu bleiben. Vor allem bleibt er da. Auf dem Optimolgelände. Wie die Eisenräder. Auch wenn es alle paar Jahre heißt, jetzt sei nun wirklich Schluss. 1996 hieß es, 2001 sei es vorbei, dann lautete die Deadline 2003, später 2007, 2010 und nun 2014.

"Und auch danach wird es weitergehen", prophezeit Scheffel. Geändert hat sich wenig, statt Kunstpark Ost heißt es nun Kultfabrik und Optimolgelände. Darauf beherbergt Scheffel einen "alternativen Gewerbehof", etwa ein Fotolabor, einen Latin-Club, Künstlerateliers, die Theaterfabrik, die Drei Türme eröffnen am 13. Januar neu. Sein Reich hat der gebürtige Stuttgarter aus seinem Büro im ersten Stock des Hauptgebäudes im Blick. Es ist eines von vier Büros, die der Vater zweier Kinder in München nutzt.

Büros. Schreibtische. Es hat sich einiges geändert, seit Scheffel Mitte der achtziger Jahre zum Studium nach München kam. Da nannte man ihn als DJ "Psycho Billy", und er machte sich daran, die Grundlage dafür zu legen, dass ihn die Weggefährten heute mit großem Respekt als "Mentor, Urgestein und Stratege" bezeichnen, so wie Florian Faltenbacher, der Betreiber der Milchbar.

"Die Tanzdiebe"

Vor Psycho Billy ist Scheffel ein Jura-Student, der sich zusammen mit seinem vier Jahre jüngeren Bruder als DJ seine Miete verdient. Die beiden werden als "Die Tanzdiebe" Partyveranstalter. Florian Faltenbacher ist ihr Plakatierer. "1987, als wir angefangen haben, gab es in München nur zwei Möglichkeiten zum Feiern: In einem Club oder beim Privatfest." Scheffel bietet eine neue Variante: die öffentliche Party. An die erste kann er sich genau erinnern.

"Wir waren in einem Tanzcafé für Senioren", sagt Scheffel. Drei Mark kostete der Eintritt, "und der Ober, der da mit weißen Handschuhen serviert hat, ist nach einer Stunde entnervt gegangen." Die 500 Gäste wollten nicht elegant bedient werden, sondern feiern. "Die Partys haben funktioniert, weil ich als DJ in der Szene vernetzt war."

Es folgten auch viele illegale Feste, und wenn Scheffel von denen erzählt, dann lächelt der 47-Jährige. Je mehr "Sixpacks" in seinen Geschichten vorkommen, desto besser. Die Sixpacks sind Einsatzwagen der Polizei. Zu der Zeit traf sich die Szene der Nachtarbeiter im Baadercafé, man ging dann zu den Löwen, bejubelte ein 7:0 gegen Ampfing in der Bayernliga und feierte im Café Größenwahn. "Das waren die goldenen Zeiten." Als man mit tausend Flyern 700 Leute anlocken konnte. Bis 1992 geht das so.

Dann lernt er Unternehmer Wolfgang Nöth kennen. Der überzeugt ihn, das Party-Areal im alten Flughafen Riem als Geschäftsführer zu verantworten. Hier zeigt sich, warum er in den folgenden Jahren erfolgreich werden sollte. David Süß, der heute das "Harry Klein" in der Sonnenstraße betreibt und Scheffel in Riem bei der Gründung der Diskothek "Ultraschall" kennenlernte, sagt: "Er kann Leute an einen Tisch bringen." Und: "Er ist ein Geschäftsmann, mit allem, was dazugehört. Der kann auch mal anders. Aber das musst du können in der Branche." Faltenbacher von der Milchbar sagt: "Er ist ein harmoniebedürftiger Mensch, sehr ehrgeizig und darauf bedacht, dass alle miteinander auskommen. Ein Stratege mit Weitsicht." Faltenbacher und Scheffel arbeiten heute zusammen, im Restaurant Cavos in Schwabing.

Der Mann mit Weitsicht beschließt 1996 zusammen mit Wolfgang Nöth auf dem 100.000 Quadratmeter großen ehemaligen Pfanni-Gelände Clubs zu betreiben. "Viele Gastronomen wie zum Beispiel Michael Käfer haben gesagt: Das braucht kein Mensch." Doch sie irren. In der Diskothek Babylon kommen am ersten Abend 300 Gäste, 1000 am zweiten, 1800 am dritten, später bis zu 5000 Besucher. Die goldene Zeit. 33 Gastronomiebetriebe gibt es bald auf dem Gelände, "das war wie Wiesn", sagt Scheffel. "In den besten Kunstparkzeiten kamen an einem Wochenende 50.000 Leute."

Bis 2003. Als Bürgermeister Monatzeder sagte, dass es nicht weitergeht. Was sich als falsch herausstellte. Doch Scheffel und Nöth zogen nach dieser Aussage weiter, nebenan auf das Optimolgelände, wo zuvor eine Ölverarbeitungsfirma lag und heute nur noch wenig übrig ist, etwa die vier Eisenräder eines Waggons.

Heute gibt es in München im Vergleich zu 1996 dreimal so viel Angebot im Nachtleben, sagt Scheffel. Trotzdem ist er mit den Zahlen zufrieden. Wenn in die Kultfabrik, wie der Kunstpark nun heißt, und das Optimolgelände, dessen Ruf durch Flatrate-Partys beschädigt ist, 10.000 Besucher an einem Wochenende kommen.

Scheffel ist mittlerweile in der Gastronomie mit dem Cavos dabei, beim Partyfoto-Portal Isarszene, bei zwei Caterern, den Innenstadt-Clubs Pacha und Max & Moritz und beim Filmcasino, dem ehemaligen Kino, das im vergangenen Jahr unter großer öffentlicher Empörung schließen musste.

"Zum Beispiel mit einem DJ zum Essen"

Scheffel hatte zunächst zusammen mit Constantin Wahl von der 089-Bar das defizitäre Kino 2010 übernommen und wollten den Betrieb gewährleisten. Als trotz steigender Besucherzahlen dann aber in diesem Sommer das Kino geschlossen wurde, war die Aufregung groß, und die Schuldigen schnell gefunden: Wahl und Scheffel. Dessen Version der Geschichte klingt so: "Wir haben das Kino weitergeführt und dabei 100.000 Euro Verlust gemacht. Uns war klar, wir können den Betrieb nur aufrecht erhalten, wenn wir ihn im Sommer mit Gastronomie subventionieren."

Freischankflächen wurden allerdings von der Stadt nicht genehmigt. Ein Kino bekomme so etwas nicht, sei die Antwort gewesen. "Mehr kann man von einem Gastronomen nicht erwarten, als dass er es ein Jahr probiert", sagt Scheffel. So sieht das wohl ein Gastronom. Nun soll eine Mischung aus Restaurant, Bar und Unterhaltung kommen, "zum Beispiel mit einem DJ zum Essen." Das sei in Frankreich schon längst üblich.

Und so etwas ist für einen 47-Jährigen auch vielleicht ein guter langsamer Ausstieg aus dem Nachtleben. In das könnte sich ja bald sein Sohn, 16, stürzen. Da lacht Scheffel noch einmal. "Stimmt, der war neulich schon auf seiner ersten Ü16-Party bei uns auf dem Gelände."

© SZ vom 17.12.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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