Ortsbild:Massiver geht es nicht

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Zubetonierter Ausblick: Der Lärm verschwindet, die Sicht ist gestört, denn direkt hinter der Baustelle für die neue Wohnanlage ragt die mächtige Schutzwand empor. (Foto: Robert Haas)

Am Englschalkinger S-Bahnhof wurde eine Betonwand errichtet, die den Zuglärm von der neuen Wohnanlage in der Nachbarschaft abhalten soll. Eigentlich war transparentes Material für den Lärmschutz vorgesehen

Von Ulrike Steinbacher, Englschalking

Jetzt steht da also westlich vom Englschalkinger S-Bahnhof eine zwölf Meter hohe, hundert Meter lange Betonwand, die keiner haben wollte. Wenn man dem städtischen Planungsreferat glauben darf, ist aber niemand so richtig daran schuld. Oder alle. Aber keinesfalls das städtische Planungsreferat allein. Die Wand soll die neuen Häuser an der Barlow- und Brodersenstraße vor dem Lärm der S-Bahnen und der Güterzüge schützen, die gleich hinter der Wohnanlage vorbeirattern. Solider Beton war aber als Werkstoff ganz und gar nicht vorgesehen, ein transparentes Material hätte es sein sollen - eines, das sich wieder abbauen ließe, wenn die Bahngleise eines Tages in einen Tunnel verlegt wären, die Wohnanlage also keinen Lärmschutz mehr brauchen würde.

Umso entsetzter waren die Mitglieder des Bezirksausschusses Bogenhausen diesen Juni, als die Arbeiter auf der Baustelle Betonelemente zusammensteckten für eine Mauer, so lang wie der Bahnsteig, so hoch wie die vier- bis fünfstöckigen Häuser und nur mit schmalen transparenten Aussparungen versehen. Die Lokalpolitiker forderten zum einen den sofortigen Abriss der Wand und zum anderen detaillierte Auskunft darüber, wieso statt Glas oder Plastik massiver Beton zum Einsatz gekommen war, sodass die künftigen Bewohner der Häuser beim Blick aus dem Fenster nicht die alten Bäume jenseits der Gleise sehen werden, sondern eine nackte Mauer.

Es ist allerdings offenbar alles mit rechten Dingen zugegangen, weshalb ein Abriss auch nicht in Frage kommt. Denn der Bauherr hat sich an die Vorschriften gehalten. Nur haben sich die zwischendurch geändert und ihm ein Schlupfloch geöffnet, wie aus einem vierseitigen Schreiben des Planungsreferats hervorgeht. Das führte letztlich zu der Wand ohne Durchblick.

Das Ursprungskonzept von PRPM Architekten hatte eine transparente Lärmschutzwand vorgesehen, und so stand es auch im 2014 beschlossenen Bebauungsplan, der Vorgabe der Kommune, nach der sich ein Bauherr richten muss. "Aus verschiedenen Gründen" so die Behörde, habe es aber dann noch fast ein Jahr gedauert, bis die nächsten Verfahrensschritte umgesetzt worden seien. Inzwischen hatte der Bund das Immissionsschutzrecht geändert. Damit fiel der sogenannte Schienenbonus weg. Das heißt, Züge müssen seit Anfang 2015 die gleichen Lärmgrenzwerte einhalten wie Autos, früher durften sie um fünf Dezibel lauter sein.

Für die Lärmschutzwand am Englschalkinger Bahnhof hatte die Änderung Folgen: Sie musste jetzt "hochabsorbierend" gebaut werden, andernfalls bestand die Gefahr, dass der Schall, der an ihr abprallte und auf die Wohnhäuser auf der anderen Seite der Gleise reflektierte, den neuen Grenzwert überschreiten würde. In der Theorie sei auch eine schräg gestellte, transparente Lärmschutzwand hochabsorbierend, schreibt das Planungsreferat, "aber faktisch lagen keine diesbezüglichen Erfahrungswerte vor".

Das Unglück nahm also seinen Lauf: Der Lärmschutzgutachter wollte sich nicht darauf festlegen, dass die transparenten Wände ausreichen würden, die Bürgerinitiative Englschalkings neue Entwicklung (Biene) pochte unterdessen auf hochabsorbierenden Lärmschutz. Daraufhin verwandelte das Planungsreferat die Muss-Bestimmung zur Transparenz in eine Kann-Bestimmung. "Damit war eine transparente Ausführung der Lärmschutzwand optional möglich", schreibt die Behörde. Vorgeschrieben war sie aber nicht mehr.

Der Investor habe die transparente Lösung über die Jahre fest zugesagt, betont das Referat. Erst mit der dritten Tektur, also der dritten Änderung seiner Baupläne, habe er die massive Wand ins Spiel gebracht. "Die über das gesamte Bebauungsplanverfahren verfolgten Bebauungsabsichten des Investors ließen nicht erahnen, dass eine Umwandlung beabsichtigt war", heißt es weiter. Die Genehmigung habe dann aber "nicht verwehrt werden" können. Die Vorschriften gaben es nicht her.

Die Behörde verteidigt sich auch gegen den Vorwurf, die Sache sei klammheimlich abgelaufen. Vielmehr habe man die Öffentlichkeit deutlich auf die Änderung hingewiesen - "mittels eines Hinweisblattes" bei der öffentlichen Auslegung, heißt es. Auch im Internet seien die Informationen abrufbar gewesen. Ein Bebauungsplanverfahren sei eben ein Prozess, "der die unterschiedlichen Interessen und Belange gegeneinander abwägt". In diesem Fall kam für die Anwohner allerdings nicht unbedingt die beste Lösung dabei heraus.

© SZ vom 16.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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