Oktoberfest:Wie sicher soll die Wiesn noch werden?

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Ein ausgefahrener Poller vor dem Haupteingang des Oktoberfestes. Er soll vor Angriffen mit Fahrzeugen schützen. (Foto: dpa)

In den nächsten 18 Tagen liegen die am besten bewachten 42 Hektar Münchens unterhalb der Bavaria. Dennoch haben viele Leute Angst, aufs Oktoberfest zu gehen.

Von Franz Kotteder

Prägnanter lässt sich die Sache kaum zusammenfassen: "Es kann immer was passieren", sagte Münchens stellvertretender Polizeipräsident Werner Feiler kürzlich auf die Frage, was man denn unter einer "abstrakt hohen Gefährdungslage" für das Oktoberfest zu verstehen habe. Der Satz ist so beruhigend wie banal, er besteht aus einer Alltagsweisheit. Selbst dort, wo nach menschlichem Ermessen alles absolut sicher ist, gilt trotzdem: Es kann immer was passieren.

In den nächsten 18 Tagen liegen die sichersten und am besten bewachten 42 Hektar der ganzen Stadt unterhalb der Bavaria. In den Festzelten, an den Eingängen und auf den Straßen sind ständig mindestens 1600 Ordner im Einsatz, dazu kommen insgesamt 600 Polizisten auf dem Gelände und rund um die Wiesn. 37 Kameras haben das Areal im Blick. Wer rein will, muss sich einer Kontrolle unterziehen. Lieferwagen dürfen nur auf das Festgelände, solange dort keine Besucher sind. Die Fahrer und Beifahrer werden registriert, ihr Leumund wird überprüft. Wer einen Anschlag plant, geht ein hohes Risiko ein, entdeckt zu werden. Und wenn er es doch wagt, wird er es eher an anderen Stellen in der Stadt tun, wo die Überwachung nicht so groß ist.

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Die Angst widerspricht jeder statistischen Wahrscheinlichkeit

Dennoch haben viele Leute nach wie vor Angst, auf die Wiesn zu gehen - der Rückgang der Besucherzahlen im vergangenen Jahr ist wohl im wesentlichen darauf zurückzuführen. Das ist normal, erst jüngst hat eine Umfrage wieder ergeben, dass die Deutschen am meisten Angst davor haben, Opfer eines Terroranschlags zu werden. Das widerspricht zwar jeder statistischen Wahrscheinlichkeit, ist aber nun mal so. Statistik ist ohnehin nur mäßig hilfreich: Für die Wiesn-Toten von 1980 bestand statistisch betrachtet überhaupt kein Risiko, Opfer eines Bombenanschlags zu werden, weil es so etwas bis dahin noch nie gab. Dennoch fand er statt. Und niemand kann heute trotz aller Sicherheitsmaßnahmen verhindern, dass ein radikalisierter Irrer mit dem Messer um sich sticht und andere in den Tod reißt. Es kann eben immer was passieren.

Das Fatale ist aber: Der Terror hat sein Ziel einen Schritt weit schon erreicht. Er hat Schrecken verbreitet. Und er hat das Oktoberfest viel stärker verändert, als die meisten wahrhaben wollen. Das beginnt ganz einfach schon beim Geld. Ein günstiges Vergnügen war die Wiesn noch nie. Aber sie wird sicher nicht familienfreundlicher werden, wenn man die Ausgaben für die Sicherheit drastisch erhöhen muss, wie in diesem Jahr geschehen. Vordergründig sieht es jetzt so aus, als ob die Stadt dafür die Wiesnwirte bluten lässt und sich die zusätzlichen Millionen bei ihnen holt, was in der Öffentlichkeit ja immer gut ankommt. Allerdings führt eine faktische Verdoppelung der Pacht in den seltensten Fällen zu niedrigeren Preisen für Speisen und Getränke.

Das Sicherheitsdenken hat auf der Wiesn das Kommando übernommen

Zwar wird von den Stadtpolitikern gerne gesagt, man solle wegen Terroristen nicht seinen gewohnten Lebensstil aufgeben und sich die Freude am Feiern verderben lassen. Trotzdem hat das Fest natürlich viel von seiner Leichtigkeit verloren. Im Lauf der Jahre wurde die Sicherheit immer wichtiger. Es kamen Poller und Betonsperren, Überflugverbote und Sperrringe um das eigentliche Festgelände, Straßen und Gehwege wurden abgesperrt, schließlich gar ein Zaun rund um das ganze Gelände gebaut, die Kameraüberwachung wurde erweitert, das Sicherheitspersonal und die Kontrollen sowieso. Das Sicherheitsdenken hat auf der Wiesn das Kommando übernommen. Schon zweieinhalb Monate vor Beginn wird das Gelände eingezäunt - nicht aus Terrorangst, sondern wegen Sicherheit am Bau, aber immerhin.

Letzter Höhepunkt war die Anschaffung einer High-Tech-Beschallungsanlage, mit der sich die Festleitung in die Tonanlage eines jeden einzelnen Zelts und jedes einzelnen Fahrgeschäfts einschalten kann. Vier Millionen Euro kostet das in den ersten vier Jahren, denn die Anlage ist nur geleast. Niemand wünscht sich, dass sie je zum Einsatz kommen muss. Damit man aber trotzdem irgendwie noch einen Mehrwert davon hat, wird sie jetzt dazu benutzt, morgens um neun Uhr die Festgäste zu begrüßen und abends vom Festgelände hinauszukomplimentieren. Möge das ihre einzige, wenn auch eigentlich sehr überflüssige Aufgabe bleiben.

So haben sich die Sicherheitsausgaben über die Jahre hinweg immer mehr nach oben geschraubt, und man fragt sich, wo das alles noch enden soll? Die Politik reagiert auf Anschläge in anderen Städten mit noch schärferen Regelungen. Aus Angst, nachher schuld zu sein, wenn doch etwas passiert, stimmen alle zu. Frei nach jener rhetorischen Frage, in der man in Bayern die gesamte hier zur Verfügung stehende Verantwortungsethik zusammenfasst: "Wos is denn dann, wenn wos is?!?" Das ist schon auch verständlich. Wer möchte, wenn auch nur indirekt, verantwortlich sein für den möglichen Tod von Menschen?

Wie sicher soll die Wiesn noch werden?

Dennoch ist es mit dem Festefeiern wie mit der Freiheit oder der Liebe und anderen schönen Dingen. Sperrt man die Freiheit ein, so ist sie weg, und wenn die Liebe nicht mehr wehtun kann, dann ist sie eine matte Sache. Ein Hauch von Risiko gehört halt dazu, auch beim Feiern. Noch ist bislang nicht der Punkt erreicht, an dem der Spaß vorbei ist. Ein paar Kontrollen mehr, das nimmt man schon in Kauf, ein Rucksackverbot auch - aber wo ist der Punkt, an dem die ganze Vorsicht die Angst nicht mehr vertreibt, sondern sogar noch verstärkt, weil man überall an sie erinnert wird? Wie sicher soll die Wiesn noch werden?

Da hilft wohl nur ein bisschen mehr Gelassenheit. Bei den Besuchern sowieso, wenn sie dran denken, was alles getan wird, um das Fest sicher zu machen und wie gering die Wahrscheinlichkeit ist, dass etwas passiert. Bei den Verantwortlichen, die sich gelegentlich mal fragen können, wo möglicherweise des Guten zu viel getan wird und wo man zu übertreiben beginnt. Es ist jedenfalls keine Bankrotterklärung, sondern lediglich die Anerkennung einer Selbstverständlichkeit, wenn man feststellt: Es kann immer was passieren.

© SZ vom 16.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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