Oktoberfest:Fest der Verlierer

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Das ist bisher nur einmal vorgekommen: Ein Gebiss, das im Oktoberfest-Fundbüro abgegeben wurde. (Foto: picture alliance / dpa)

Wer das Oktoberfest besucht, vermisst hinterher oft einiges. Viele verlieren nur ihren Ausweis, andere ihr Gebiss - und manche sogar ihr Herz. Dabei gibt die Wiesn ihren Gästen etwas ganz Entscheidendes zurück.

Von Franz Kotteder

Ach, was sind schon nackte Zahlen! Was sagen sie schon aus über die wahren Dinge, die im Leben zählen? Denken wir nur einmal an das größte Volksfest der Welt, das Münchner Oktoberfest. 1065 verlorene Ausweise, 940 Kleidungsstücke, zwei Eheringe: All das hat das Fundbüro der Wiesn im vergangenen Jahr zur Aufbewahrung und Rückgabe an den Besitzer bekommen. Und doch sagt das nichts aus über die wirklichen Verluste, die täglich mit dieser Volksbelustigung einhergehen.

Denn eigentlich ist das Oktoberfest eine einzige Feier des Verlierens. Zwar glauben alle, die dort hingehen, das Erlebnis eines Festbesuchs würde sie bereichern. Aber das trifft leider nur für die Wirte und die Lagerverwalter des Fundbüros zu. In Wirklichkeit sind wir (fast) alle nur Verlierer: im melodramatischen Sinne, weil wir vielleicht unser Herz an eine flüchtige Wiesnbekanntschaft verloren haben und infolge dessen möglicherweise sogar die Unschuld.

Mit heraushängendem Gemächt im Bierzelt

Manche verlieren die Fassung, wenn sie das alles mitansehen müssen, andere nur den Überblick, wenn sie nach dem Gang zum Pissoir an ihren Platz im Bierzelt zurückkehren sollen oder wenn es auch nur darum geht, den richtigen Knopf zum Schließen der vorderen Zugbrücke an der Lederhose zu finden.

Oktoberfest
:Was Wiesn-Besucher verlieren

Ausweise, Geldbörsen und Schlüssel: Je mehr man sein Blut auf dem Oktoberfest mit Alkohol anreichert, desto höher die Verluste.

Jeden Tag sind im Kampf mit den Knöpfen unschöne Szenen zu beobachten, die beweisen, dass man gewisse Fingerfertigkeiten schon in den frühen Kindertagen lernen muss, weil man sie sich später nicht mehr aneignen kann, schon gar nicht in einem Zustand fortgeschrittener Trunkenheit. Jedenfalls gilt es sogar auf dem Oktoberfest als wenig kleidsam, mit heraushängendem Gemächt im Bierzelt zu erscheinen, so etwas führt mindestens zum Verlust des öffentlichen Ansehens.

629 Alkoholleichen 2013

Überhaupt, die Trunkenheit: Je mehr man sein Blut mit Alkohol anreichert, desto höher die Verluste, die zu beklagen sind. Was der Trinker glaubt, abends an Lebensfreude hinzuzugewinnen, erweist sich bald als Trugbild. Einige haben noch in der Nacht alles, was sie zu sich genommen haben, wieder verloren, entweder bereits beim Verlassen des Festgeländes oder dann im Taxi. Spätestens am nächsten Morgen aber ist aller Spaß dahin, umso größere Trübsal hält Einzug. Manche haben gar das Bewusstsein verloren - allein 629 Alkoholleichen musste die Sanitätsstation der Wiesn 2013 behandeln.

So gesehen ist das Oktoberfest die Einübung in eine milde Form des Zen-Buddhismus: Was sind schon weltliche Dinge, was irdische Genüsse, wenn sie so schnell wieder von uns gehen können? Lust und Verlust, das hängt eng zusammen, was aber bleibt, ist Genügsamkeit: So kann die Wiesn wenigstens Weisheit schenken.

© SZ vom 27.09.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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