Einen Kunden wie Simon hat sich Obike sicher nicht gewünscht. An einem der 6800 gelben Leih-Fahrräder des Unternehmens aus Singapur hat Simon einen Zettel gehängt. Der Mann sucht eine Wohnung, und am Rahmen des auf dem Kopf stehenden Rades in der Klenzestraße kann man gut einen Zettel befestigen.
Immerhin ist das Fahrrad noch funktionstüchtig. Manchmal werden die Räder auch in Gebüsche geworfen, manchmal in die Isar, sie werden in Astgabeln von Bäumen gehängt oder ihnen werden die Bremskabel zerschnitten. Es scheint eine Art Protest einiger Münchner zu sein, die offenbar meinen, durch Vandalismus das Unternehmen schädigen oder zum Aufgeben zwingen zu können. Auf dem Kopf stehende Räder sind noch die mildeste Variante. Was ist da schiefgegangen? Wie sieht das Unternehmen selbst seine Perspektiven? Und wie stellt sich die Stadt die Zukunft der Leihräder in München vor?
Obikes in München:Stören die 7000 Obikes in München - oder nicht?
Die eine kann die Aufregung um die Leihräder nicht verstehen und hält die mehr als 700 000 Autos in München für das viel größere Problem. Die andere fordert die Stadt zum Handeln auf.
Florian Paul, der Radverkehrsbeauftragte Münchens im Planungsreferat, sagt zuallererst: "Ich kann den Missmut über das Unternehmen zwar zum Teil verstehen, aber bei Vandalismus hört es auf." Wenn Bremskabel zerschnitten oder Räder auf Radwege geworfen würden, sei auch die Gesundheit der Menschen in Gefahr. "Das ist nicht Obike, das sind Bürger. Wann fangen die dann an, Privaträder zu zerstören?" Davon gibt es laut Paul circa eineinhalb bis zwei Millionen in München. Und dann sollen 6800 Obikes ein Problem sein?
Der Start in München
Problematisch sei von Anfang an die schlechte mediale Begleitung des Obike-Starts in München gewesen, sagt Paul. Auf einen Schlag standen im Sommer an allen größeren Plätzen 30 gelbe Räder auf einem Haufen. Vom Anbieter wusste man wenig. Außer der Meldung, dass offenbar Nutzerdaten verkauft werden sollten. Auch deshalb entstand der Unmut über Obike. "Die haben in München ein deutlich ausgeprägteres Vandalismus-Problem als in anderen deutschen Städten", sagt Paul. Sicher nervt viele Kunden auch, dass man die Räder nur in einem und dann noch einem kleinen Gang fahren kann. Das ist etwa so, als ob ein Car-Sharing-Anbieter nur Autos mit einem erstem Gang auf Münchens Straßen stellt.
Obike teilt mit - Anfragen werden nur noch schriftlich beantwortet -, dass man vorerst keine weiteren Räder aufstellen werde, im Winter die Flotte nicht verkleinern und dass man die vorhandenen Fahrräder gleichmäßig über die Stadt verteilen wolle. Die Firma arbeite mit der Polizei zusammen bei Fällen von Vandalismus und will Beschädigungen strafrechtlich verfolgen. Wie viele Räder davon betroffen sind, will das Unternehmen nicht sagen. Man habe mittlerweile ein Geofencing-System für die Räder eingeführt. Mit dem kann Obike erkennen, ob ein Rad in einem erlaubten Bereich abgestellt wird. Zudem gibt es eine Hotline. Im November sei man in München "wieder stark gewachsen", schreibt das Unternehmen. Um 240 Prozent, wie Florian Paul erfahren hat. Dazu beigetragen haben diverse Aktionen, Gratis-Angebote und Vergünstigungen, seit einiger Zeit ist auch die Kaution von 79 Euro weggefallen. Die für den Radverkehrsbeauftragten relevanten Daten, wie viele Räder wann welche Strecken gefahren sind, werden von Obike nicht an die Stadt weitergegeben.
2018 soll es noch mehr Räder geben
Die Vertreter der städtischen Referate stünden mit den Verleih-Unternehmen in einem regelmäßigen Austausch, sagt Paul. Nach wie vor soll es keine zusätzlichen Regelungen der Stadt für die sogenannten Free-Floating-Anbieter von Fahrrädern geben. Für ihn ist nicht die Frage, ob mehr Leihräder in München aufgestellt werden, sondern wann, wo und wie viele. "Es gibt eine gute Studie des Institute for Transportation and Development Policy (ITDP) in New York zu Leihrädern in Großstädten, die Fläche und Einwohnerzahl berücksichtigt." Demnach braucht eine Stadt pro tausend Einwohnern zwischen zehn und 30 solcher Räder, pro Quadratkilometer sind es ungefähr zehn. Paul kommt da für München auf etwa 30 000 bis 45 000 Leihräder.
2018 werden es auch wieder mehr. Zu den derzeit insgesamt etwa 10 000 Rädern von Bahn (1200), Obike (6800), MVG (1200) und kleineren Anbietern kommen 2000 weitere MVG-Räder, sagt Paul. Dann fehlen allerdings, wenn man der Rechnung des ITDP folgt, noch immer mindestens 18 000 Leih-Fahrräder, unbeschädigte.