Obersendling:Mutige Meisterstücke

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Kirchenmaler, Lackierer und Vergolder zeigen in einer ungewöhnlichen Leistungsschau, was sie gelernt haben

Von Jürgen Wolfram, Obersendling

Berufliche Träume gehen manchmal spät in Erfüllung. Christiane Lange nahm erst einen Umweg über das Steuer- und Rechnungswesen, ehe sie werden durfte, was sie immer werden wollte. Umso mehr zeugt ihre Arbeit heute von betörender Strahlkraft. "Kirchenmalerin", betont sie, "das ist genau mein Ding". Lange gehört zu einer Gruppe von zwölf Prüflingen, die ihre Ausbildung im Vergolderhandwerk und der Kirchenmalerei erfolgreich abgeschlossen haben. Ihr Meisterstück, die Figur eines Anbetungsengels nach einer Vorlage von Egid Quirin Asam, ist eine von mehr als 80 Arbeiten der Fachhochschul- und Meisterprüfung des Jahres 2015, die nun von städtischen Meisterschulen für Maler und Lackierer, Vergolder und Kirchenmaler bei einer Leistungsschau in der Zeppelinhalle an der Obersendlinger Hofmannstraße ausgestellt worden sind.

Bei der Abschlusspräsentation wurde den neuen Handwerksmeistern viel abverlangt. Auf lediglich vier Quadratmetern und unter Zeitdruck sollten sie zeigen, zu welcher Präzision sie fähig sind. Schon die Anordnung der Werkstücke ist Teil der Bewertung. Von Lange und ihren elf Kolleginnen und Kollegen waren diesmal plastische Objekte verlangt, die im Zusammenhang mit einem Münchner Baudenkmal stehen. Nach dreijähriger Lehre in den Neubauer-Restaurierungswerkstätten, Bad Endorf, zögerte Lange keine Sekunde, zum Ausbildungsfinale eine Figur zu erschaffen, wie sie ihr schon lange vorschwebte: einen Engel. Auf eigene Kosten bestellte sie bei einem Bildhauer die mehrere tausend Euro teure Grundfigur, erwarb für 500 Euro Blattgold und dazu leuchtende Farben, wie sie zum Barock passen. Das Original steht in der Klosterkirche St. Anna im Lehel. Vor der Umsetzung der Idee mit edlen Materialien stand die historische Erforschung des Sujets; das Archiv des Landesamtes für Denkmalpflege war hierbei hilfreich. Ein virtuoser Umgang mit Leim und Steinkreide, Gold und Farben verstand sich von selbst. Abgeschaut hat sich die Filigranhandwerkerin solche Künste unter anderem bei der Einrichtung eines musealen Schauraums in den Bamberger Privaträumen König Ottos von Griechenland.

Florina Haderer zeigt bei einer Leistungsschau ein filigranes Einzelstück. (Foto: Robert Haas)

Zur siebenteiligen Engelsfigur waren weitere Arbeitsproben in die Zeppelinhalle zu drapieren. Christiane Lange hängte eine Tafel mit Fraktur-Pinselschrift und dekorative Gravurplatten an die Wand. Weißgold und Silber auf Faserplatten mit Kreidegrund, Glänzendes und Mattes geschickt kombiniert. Eine andere Absolventin der städtischen Meisterschule für Vergolder und Kirchenmaler steuerte eine goldige Figur zur Ausstellung bei: das "Edelweißmädchen". Das Stück stammt von Florina Haderer aus dem Tiroler Lechtal; sie wollte ein Symbol schaffen für das Edelweißfeld, das ihre Eltern bewirtschaften. Ähnlich ungewöhnlich: eine gerahmte goldene Wanduhr von Andreas Liebl.

"Da haben unsere Schüler mal gründlich überlegt, was ihnen wichtig ist", sagte Klassenleiter Paul Mitschka. In der Wahl ihrer Motive und Hilfsmittel seien die Prüflinge weitgehend frei gewesen. Mitschka, der Kunstgeschichte studiert und selbst die Malermeisterprüfung abgelegt hat, ist stolz auf den Absolventenjahrgang 2015. Nicht nur, weil alle die Prüfung bestanden haben, sondern auch wegen der Qualität der Arbeiten. Das Renommee seiner städtischen Einrichtung ist ohnehin kaum zu toppen - sie bildet Schüler aus allen deutschsprachigen Ländern aus. Und ein Kirchenmaler muss eine Menge wissen. Das reicht von der Materialkunde bis hin zu Kenntnissen über Schadensformen an Kunstwerken. Italienischkenntnisse wären obendrein nicht schlecht. Denn kunsthistorisch betrachtet ist Italien noch immer eine erste Adresse. Zur Illustration dieser Erkenntnis führte die fünftägige Abschlussfahrt der Prüflinge diesmal nach Triest und Venedig.

Christiane Lange präsentierte ihr Meisterstück: Sie hat die Figur eines Anbetungsengels gestaltet. (Foto: Robert Haas)

Vergolder - das klingt exotisch, war nach Auskunft von Mitschka aber auch schon mal ein Modeberuf. Die Zahl der Bewerber sei noch immer beachtlich. Weil aber klassische Auftraggeber wie Kirchen oder auch die staatliche Schlösser- und Seenverwaltung sparen müssten, gehe der Bedarf an solchen Fachkräften seit ein paar Jahren zurück. Schon noch ein Handwerk mit goldenem Boden, aber eben für wenige. Eine davon, Christiane Lange, wird ihr Meisterstück "nie wieder hergeben". Ihr Engel bekommt einen Ehrenplatz im Wohnzimmer. Da passt er hin, denn an den Wänden hängen schon lauter selbstgemalte Bilder von Götterboten.

© SZ vom 03.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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