Obersendling:Der Trend geht zum Büro

Lesezeit: 2 min

Denkmalschutz mit Spanplatten: Im alten Siemens-Hochhaus entstehen nun doch keine Wohnungen. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Die Umorientierung von Investoren, wie beim Siemens-Hochhaus, trifft den Campus Süd möglicherweise nur partiell. An anderer Stelle in Obersendling aber wird sie spürbarer, zum Beispiel an der Helfenrieder Straße

Von Jürgen Wolfram, Obersendling

Der 75 Meter hohe, 22-geschossige Koloss aus den frühen 1960er-Jahren dürfte eigentlich gar nicht mehr stehen und den Osten Obersendlings dominieren. Denn wiederholt hat der örtliche Bezirksausschuss in der Vergangenheit den Abriss des Siemens-Hochhauses gefordert. Vielen Menschen im Münchner Süden gilt er eher als Bausünde denn als Baudenkmal. Doch der Stadtrat hat das Votum stets geflissentlich überhört. Ihm erschien die Chance auf Umwandlung unzähliger Büros in Wohnungen zu verlockend, als dass er der Betrachtungsweise der Lokalpolitiker folgen wollte. Anfangs wurde zwar eher an Lofts der luxuriösen Art gedacht, also keine Spur vom viel beschworenen "bezahlbaren Wohnraum". Doch nach Rathaus-Lesart machen gut verdienende Aufsteiger dafür andere Wohnungen frei, die sich für Normalmieter eventuell eignen könnten.

Inzwischen sind alle Überlegungen dieser Art Makulatur. Nach mehreren Besitzerwechseln steht fest, dass in der Immobilie an der Baierbrunner Straße 54 überhaupt keine Wohnungen entstehen, so wie es der Immobilienentwickler Hubert Haupt geplant hatte, als er den Turm 2005 vom Elektrokonzern erwarb. Auch die nächste Eigentümerin, die Isaria Wohnbau AG, hatte mit ihrem Projekt "South One" noch die Schaffung von Wohnungen im Sinn, ehe sie es sich anders überlegte und das ehemalige Siemens-Hochhaus an das Schweizer Immobilienunternehmen Empira weiterveräußerte. Empira wiederum setzt jetzt auf Büronutzung.

Weil dies ein Trend ist auf dem Münchner Immobilienmarkt, wo Büromieten noch schneller steigen als solche für Wohnungen, drängt sich die Frage auf, was aus dem Campus Süd (Hofmann-Höfe) wird. Auf dem 9,3-Hektar-Areal, einst ebenfalls von Siemens für Bürozwecke genutzt, sollten ursprünglich mehr als 1000 Wohnungen errichtet werden, teils in sogenannten Hochpunkten. Doch die bis zur Entscheidungsreife vorangetriebene Planung steht still, seit die Patrizia Immobilien AG das Gelände an Rock Capital, Grünwald, verkauft hat. Bekannt ist, dass Rock Capital das Gelände anders, noch intensiver nutzen will als die Patrizia. In einer Stellungnahme stellte Geschäftsführer Peter Neumann einen "Nutzungsmix mit Schwerpunkt Wohnen" in Aussicht. Zur Quartiersentwicklung gehöre jedoch auch die Schaffung "notwendiger und fehlender Einzelhandels- und Gastroflächen".

Diese Aussagen decken sich weitgehend mit dem Kenntnisstand des Planungsreferats sowie der Lokalpolitiker. Eine Umorientierung von Investoren hin zu Bürobauten hat gleichwohl der Vorsitzende des Bezirksausschusses (BA) Thalkirchen-Obersendling-Forstenried-Fürstenried-Solln festgestellt, wenn auch weniger beim Campus Süd. Ludwig Weidinger (CSU) lenkt den Blick in diesem Zusammenhang auf das ehemalige Betonwerk an der Helfenrieder Straße. In diesem Abschnitt des Gewerbebands Obersendling sollen zwar auch 200 Wohnungen entstehen, doch vor allem geht es den Eigentümern um neue Büroflächen. "Und das in Häusern, die selbst für unsere Gegend hoch ausfallen", so Weidinger.

Auf der anderen Seite hat der Bezirksausschuss wiederholt zu erkennen gegeben, dass er die ausschließliche Fixierung auf Wohnungsbau nicht teilt. "Wir brauchen auch Gewerbe in unserem Viertel und Arbeitsplätze", lautet ein Credo von Michael Kollatz (SPD), Sprecher des BA-Unterausschusses Bau und Planung. Wie sehr sich die Stadtteilvertretung dahinterklemmt, dass Obersendling nicht als Schlafstatt endet, zeigte sich, als es um die Zukunft der ehemaligen Produktionshalle der Maschinenbaufirma Deckel ging.

Nicht zuletzt weil die Lokalpolitiker darauf drängten, werden der Industriebau und sein Umfeld nun so "revitalisiert", dass auch kleinteiliges Gewerbe darin Platz findet.

Auf die jüngste Entwicklung beim Siemens-Hochhaus, in dem nun doch keine "270 attraktiven Wohnungen" unterkommen, sowie um die Spekulationen um den Campus Süd machen sich manche Beobachter ihren eigenen Reim. Sie erinnern sich an die Bürgerversammlung für den Stadtbezirk 19 im vergangenen März. Diese glich über weite Strecken einem Aufstand gegen Rathaus-Überlegungen, die Frei- und Ackerflächen zwischen der Siemensallee und der Becker-Gundahl-Straße sowie an der Wolfratshauser Straße für weiteren Wohnungsbau freizugeben. Aus heutiger Sicht liegt der Verdacht nahe, dass auf diese Weise kompensiert werden sollte, was sich an Wohnraum auf dem ehemaligen Siemens-Areal nicht mehr realisieren lässt.

© SZ vom 03.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: