Null acht neun:Oh Pannenbaum

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Alle Jahre wieder wird über den Christbaum gelästert, der auf dem Marienplatz aufgestellt wird. Warum eigentlich?

Kolumne von Laura Kaufmann

Alle Jahre wieder kommt das Christuskind, und einige Wochen davor kommt der Christbaum auf den Marienplatz. Alle Jahre wieder spendet ihn eine Kommune, die dafür im Rathausinnenhof Glühwein ausschenken darf, und beinahe alle Jahre wieder schlagen die Münchner ihre Hände über den Kopf zusammen: Wie schaut denn der Baum aus? Wie ein zerrupftes Huhn, sagt der eine. Dürre, herabhängende Äste sagt der andere, abgenadelt und bucklig. Der Weihnachtsbaum wird beinahe so kritisch beäugt wie der neue Sparplan der Firma. Der Münchner frönt seiner Lieblingsbeschäftigung Granteln, kaum dass der Baum Münchner Boden berührt.

Die diesjährige Spende stammt aus dem Landkreis Freyung-Grafenau und ist weniger wohlproportioniert als die im vergangenen Jahr, der ursprünglich angedachte Baum war beim Verladen gar komplett auseinandergebrochen. Ganz schlimm kam vor vier Jahren eine dürre Fichte aus Ruhpolding an, woraufhin sich die Nachfolgegemeinde Weiler im Allgäu besonders Mühe mit einer prachtvollen Weißtanne gab. Wahrscheinlich sind die Gemeindemitarbeiter, Angstschweiß auf der Stirn, monatelang im Wald umher gerannt, um sich ja nicht zu blamieren auf dem Marienplatz.

Aber was lässt die Münchner sich so in den Christbaum verbeißen wie einen Dackel in die Wade? Warum erhält er nicht einfach einen gnädigen Kosenamen wie "Struppi" und gut ist's, wo es doch im Winter sowieso vor allem dunkel ist, und mit tausenden Lichtern überzogen wirkt jeder Baum mehr oder weniger gleich? Die Antwort ist simpel: Lästern verbindet, selbst das Lästern über einen Weihnachtsbaum. Über vieles in der Stadt lässt sich vortrefflich kollektiv herziehen. Allein die Mietpreise. Aber bei all dem Preisgerede, selbst beim Bierpreis, steckt stets ein leiser Schmerz dahinter. Die Angst, sich die eigene Stadt irgendwann nicht mehr leisten zu können. Dass sich alles zu schnell verändert.

Christbaum-Grantelei hingegen ist eine völlig harmlose Frotzelei. Der Baum kann es ohnehin nicht hören. So kommt also die Stadt zusammen wie die Familie in der guten Stube, betrachtet mit schief gelegtem Kopf die Fichte, die nun dort steht, und gibt ihre Kommentare dazu ab. Alle Jahre wieder.

© SZ vom 16.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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