Null acht neun:Die Stabi und der Pfützensani

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Wohin mit den alten Ausgaben des Kreiswasserwacht-Magazins und gesammelten Exemplaren des 1860-Stadionheftes? Und wozu gibt es eigentlich die Staatsbibliothek und das Pflichtstückegesetz? Eine Idee und ihre Geschichte

Kolumne von Rudolf Neumaier

Die Jugend der Wasserwacht Perach ist durch einen Baumwipfelpfad gekraxelt. Außerdem erklomm sie in Unterammergau den Pürschling. Auch die Wasserwachtler von Reischach waren rege: Sie nahmen im Fasching beim örtlichen Gaudiwurm teil - als Fußgruppe, wie es heißt. Die 22. Ausgabe des Magazins Der Pfützensani , des Organs der Kreiswasserwacht Altötting, bildet wieder mal das pralle Wasserwachtler-Leben auf dem Lande ab. Als Historiker stellt man sich oft vor, was man in drei-, vierhundert Jahren alles damit anfangen könnte, fiele einem solches Schrifttum aus unserer Zeit in die Hand. Der Pfützensani würde anno 2419 locker eine Bachelor-Arbeit hergeben, Arbeitstitel: "Zwischen Baumwipfel und Maskerade - bayerische Wasserwachten zu Beginn des Klimawandels". So könnten der Respekt vor unseren Wasserrettern und der Begriff Gaudiwurm überdauern.

Publikationen wie Der Pfützensani haben nun erst mal ein Monate auf einem Stapel im Homeoffice überdauert. Der ist so hoch geworden, dass er bei einem Einsturz leicht ein Kind begraben hätte. Eine Katze hätte der Turm glatt erschlagen, was besonders bizarr gewesen wäre, weil er auch Periodika des Tierschutzvereins enthielt. Beim Aufräumen stand direkt vorm Bürofenster die blaue Altpapiertonne. Jedes Heft, das hineinflog in diesen Zeitschriftensarg, war eine Historikerträne wert. Auf CD liefen Orlando di Lassos Bußpsalmen. Fahrt dahin, ihr wunderbaren Schriftquellen unserer Zeit!

Nun kam aber auch ein Magazin der Bayerischen Staatsbibliothek zum Vorschein, das bei seinem Flug aus dem Fenster eine Idee weckte. Haben sie bei der Stabi nicht eine Sammelstelle? Da gibt es doch dieses Pflichtstückegesetz, das vorschreibt, dass Exemplare "von allen mittels eines Vervielfältigungsverfahrens hergestellten und zur Verbreitung bestimmten Texten" bei der Stabi abgeliefert werden müssen! Wenn die Stabi eine gescheite Universalbibliothek ist und ein "Schatzhaus des kulturellen Erbes", wie sie von sich sagt, dann wird sie als "Forschungsstelle von Weltrang" neben den Prachtcodices von Lassos Bußpsalmen, Psaltern und Evangeliaren doch auch die Schätze aus dem Homeoffice-Papierturm hüten. Das war's. Eine Win-win-Lösung. Das Paket kostete sieben Euro.

Es enthielt unter anderem Feuerwehr-Festschriften sowie einige Exemplare des sagenhaften Stadionheftes Da Brunnenmiller der 1860-Fans. Dieses Druckerzeugnis wäre dereinst gerade für lokale Kulturhistoriker von größter Bedeutung, wenn sie das Phänomen "Einmal Löwe, immer Löwe - unheilbarer Massenmasochismus" erforschen. Allein die Freude in der Pflichtstelle der Staatsbibliothek hielt sich in Grenzen. Sie schickte die meisten Hefte ohne Dank zurück. Offensichtlich gelten Texte in Stadion- und Wasserwachtzeitungen bei der Stabi nicht als "vervielfältigte Texte". Man sammle solche Hefte nicht, stand im übellaunig verfassten Begleitbrief. Jetzt ist die Frage: Darf sich eine Bibliothek universal nennen, wenn sie den Pfützensani verschmäht? Und was versteht sie von Kultur, wenn sie ignoriert, dass Da Brunnenmiller mal mindestens so bedeutend werden kann wie Lassos Bußpsalmen?

© SZ vom 10.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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